Horaz

Hier am Ufer des Sees, der mir von Süden her
Unterm Hauche des Föhn hoch an die Brüstung spritzt,
Wandl' ich lesend und sinnend,
Meinen alten Horaz zur Hand;
[429]
Noch das nämliche Buch, draus in der Prima schon
Lang versunkener Welt Zauber mich angerührt;
Denn es kehrt zu der ersten
Lieb' uns immer das Herz zurück.
Und ich denke, wie früh ernst ich beflissen war,
Dem Venusischen Schwan zagenden Flügelschlags
Mich auf rhythmischen Flügen
Nachzuschwingen begeistrungsvoll;
Wie ich groß mich gedünkt, wenn im alkäischen
Oder sapphischen Maß eine der Oden mir
Nachzustammeln geglückt war
In pedantischem Schülerdeutsch.
Damals zog ich zumeist jene Gedichte vor,
Drin ein zärtlicher Hauch wittert der Leidenschaft
Und des Leides, mit dem die
Falschheit immer der Treue lohnt.
Pyrrha glaubt' ich zu sehn, von dem begünstigten
Neuen Liebsten umarmt unter der schattigen
Rosenlaube, dieweil sich
Stolz der Dichter zurückezog;
Und in eigener Brust fühlt' ich der Eifersucht
Brand, wenn Lydia frech rühmte des Telephus
Ros'gen Nacken, die schönen
Arme, weiß wie aus Wachs geformt.
Gute Jugend! Es liest jeder ein andres sich
Aus den Versen heraus eines Poeten, dem
Als dem Liebling der Götter
Wenig Menschliches ferne blieb.
Jetzt, da längst ich wie du hing an der Tempelwand
Auf mein triefendes Kleid, als ein Votivgeschenk
Jenem Gott, der im Hafen
Wohlbehalten mich landen ließ,
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Lausch' ich, alter Horaz, lieber verständnisvoll
Deinem klugen Gespräch, wenn du vom Weltenlauf
Mit gelassner Entsagung
Sprichst und rühmst die Genügsamkeit.
Dein Kollege Katull drüben auf Sirmio,
Ruhlos bis an den Tod brannte das Herz in ihm.
Du taugst besser zum weisen
Hausfreund einem Gealterten.

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TextGrid Repository (2012). Heyse, Paul. Gedichte. Gedichte. Ein Wintertagebuch. Horaz. Horaz. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-6687-2