[377] Frühling am Gardasee

1897


Und so seh' ich doch dich wieder,

Mein Italien, teures Land! –

Vicenzo Monti

Vision

Durch mein Fenster, wenn ich kaum die Augen
Aufgeschlagen, von der Küste drüben
Grüßt mich schon die junge Morgenröte,
Droht mir lächelnd mit dem Rosenfinger,
Daß ich faul mich noch im Bette dehne,
Da sie selbst so pünktlich aufgestanden.
Holde Göttin! ruf' ich, hier an deinem
Schönen See in Ferienlaune weil' ich,
Aller Arbeit ledig, als nur etwa
Einen Brief zu schreiben in die Heimat,
Oder lieber noch ein Cartolinchen.
Gönne mir's, auf meinem Lotterbettlein
Noch ein Weilchen dämmernd hinzuträumen,
Bis die strenge Herrin dir, die Sonne,
Folgt, die abhold allem Müßiggange.
Zeit dann wird es sein, mich aufzuraffen.
Und die Göttin hört's und scheint's zufrieden.
Aber heut, da wieder mit verstohlnem
Kuß auf meine Augen sie mich, weckte,
Wen erblick' ich ihr zur Seite schwebend?
Ist's ein Nebelspuk, dem See entstiegen?
Nein, ein Frauenbild, in duft'ge Schleier
Eingehüllt; und jetzt empor sich schwingend,
Langsam, wie ein Schwan zum Äther aufstrebt,
Dann sich wieder senkend, steten Fluges
Mir entgegen strebt sie. Ja, nun kenn' ich
Dich, geliebtes Antlitz meiner Muse,
Die geheimnisvollen Götteraugen,
Die mit ernster Frage jetzt mich anglühn.
Ist's bedauernd, ist's mit leisem Vorwurf?
Doch alsbald mit beiden Lilienarmen
[378]
Winkend, wie man einen Säumigen antreibt,
Nachzufolgen, in die obern Lüfte
Schießt sie wie ein Sternbild und verschwindet.
Und ich starr' ihr nach. O hehre Göttin,
Ruf' ich, Freundin du der Morgenröte,
Dank dir, daß du kamst, mich zu beschämen!
Und nun will ich rüstig mich ermannen,
Deiner Spur zu folgen. Aber wirst du,
Wenn ich schweifend im Olivenwäldchen,
Oder dort am Seegestad dich suche,
Wie ein Liebender der Liebsten nachgeht,
Gern dich finden lassen, deinem Treuen
Helle Lieder in die Seele hauchend,
Süßmelodische, wie du in den Tagen
Unsrer jungen Liebe sie mir gönntest?

Vorfrühling

Sieh, die Kastanien – noch nicht entfalten
Sie ihre Knospen, harzig gebräunt.
Den weißen Schneehut hat aufbehalten
Der Monte Baldo, mein alter Freund.
Der schöne Frühling kommt zögernd heuer;
So warm der Mittag, die Nacht ist rauh.
Auch im Kamin ist ein kleines Feuer
Noch sehr willkommen der lieben Frau.
Jungfräulich herbe sind noch die Lüfte,
Noch hat kein Vogel sein Nest gebaut,
Doch von der Halde wehn Veilchendüfte,
Süß wie der Atem der jungen Braut.
Wer weiß, wie bald uns der Lenz beschieden,
Des holde Nähe sich schon verriet.
Ich fand heut früh an des Märzen Iden
Schon Pfirsichblüten und dieses Lied.

[379] Salò

Straßen, arm an Sonnenschein,
Kieselpflaster, spitz und klein,
In der kellerkühlen Luft
Käse-, Öl- Limonenduft,
Trockner Fisch, Johannisbrot
Und was sonst zum Schmausen not,
An den Fenstern junge Fraun,
Die aus schwarzen Augen schaun,
Kinder mit zerzaustem Haar,
Dem kein Kamm gefährlich war,
Dunkle Läden, vor der Tür
Fleißig Handwerk für und für,
Draußen überm blauen See
Möwen kreischend in der Höh,
Fern im goldnen Sonnenstrahl
Greises Berghaupt, weiß und kahl,
An dem Hafen dichtgereiht
Kleine Barken, fahrtbereit,
Aus der Ferne dann und wann
Schrillt des Dampfers Pfiff heran,
Männer, im Café zuhauf,
Blicken von der Zeitung auf,
Ihres süßen Nichtstuns froh – –
»Wenn ich solche Worte singe,
Braucht es dann noch großer Dinge,
Dich zu preisen«, mein Salò?

Letztwillig

Und schließ' ich einst die Augen zu,
Nie wieder aufzuwachen,
So gilt mir's gleich, wo man zur Ruh
Mir wird das Bette machen.
Doch schlüge mein letztes Stündlein hier
An dieser Seeflut Borden,
So wünscht' ich, man erließe mir
Die Brennerfahrt gen Norden.
[380]
Man grübe mir ein stilles Grab
Dort unter den Zypressen,
Wo ich in wonnigen Träumen hab'
So manchesmal gesessen.
Mein Deutschland, immer liebt' ich dich
Vor allen Ländern der Erden,
Doch nach Italien flüchtet' ich
Gar oft, um warm zu werden.
Es heißt, ein armer Toter soll
Manchmal vom Schlaf erstehen,
Neugierig und gedankenvoll
Ein bißchen spuken gehen.
Im Norden sind die Nächte rauh,
Da schlotterten mir die Gebeine.
Hier unten weht die Luft so lau
Nachts im Zypressenhaine.
Da säß' ich nieder in guter Ruh
An meines Sees Gestade
Und hörte dem Rauschen der Wellen zu,
Dem Zirpen der Zikade;
Und grüßt' hinüber, wo dämmrig glänzt
Das Berghaupt schlummertrunken
Des Monte Baldo, die Stirn umkränzt
Von kleinen Sternenfunken.
Italiens Himmel strahlte herab
Ins Tal der Tränen so heiter –
Da schlüg' es Eins. Zurück ins Grab
Schlüpft' ich und schliefe weiter.

Toscolano

Ja, das sind die alten Gassen,
Mauerschluchten, schauerkühl,
Wie ich damals dich verlassen,
Mein gesegnet Herbstasyl!
[381]
Über jener dunklen Türe,
Die sich gastlich mir erschloß,
Hängt verwittert noch das früh're
Herbergsschild, das »weiße Roß«.
Kahl und düster war mein Zimmer,
Doch das Bette breit und rein;
Eßbar wohl die Kost nicht immer,
Aber trinkbar stets der Wein.
Und wie herrlich all die Pfade
Bei dem Kirchlein steil hinab,
Wo am blauen Seegestade
Mir der Ölwald Schatten gab!
Steil hinauf zu den Zypressen
Um Gainos Klösterlein,
Wo ich saß und weltvergessen
Träumte weit ins Land hinein.
Wenn die Sonne dann versank, o
Wie beglückt ich heimwärts ging,
Wo mich im cavallo bianco
Mein frugales Mahl empfing!
Bracht' ich doch im Skizzenbuche
Manches Landschäftchen mit heim,
Sehr bescheidne Pfuschversuche
Und dazwischen manchen Reim.
Dann mit meinem Wirt vertraulich
Schwatzt' ich noch im Gärtchen lang,
Wenn die Nachtluft weich und laulich
Überm See die Flügel schwang.
Liebste, und es nimmt dich wunder,
Daß ich gern hier blieb zu Gast,
Da mir all der eitle Plunder
Der Kulturwelt tief verhaßt?
[382]
Ihre Fratze stört mich minder
Hier am Busen der Natur,
Unter Menschen, die wie Kinder
Harmlos gehn auf ihrer Spur.
Etwas Einsamkeit und Stille,
Etwas Schönheit ringsumher,
Traum und Zauber der Idylle –
Was bedarf ein Dichter mehr?
Da ich all dies hier besessen,
Dünkt mich wie ein Zauberschloß
Trotz dem mangelhaften Essen
Toscolanos »Weißes Roß«.

Am frühen Morgen

Verschlafen glimmt der Morgen herauf,
Die Sterne versanken.
Ich stütz' in meinem Bette mich auf
In dunklen Gedanken.
Des Mondes bleiche Sichel verschwimmt
Hoch oben im Blauen.
Mein lauschend Ohr nur leise vernimmt
Ein rieselndes Tauen.
Kein Menschenlaut, kein Vogelsang
In dämmernder Weite.
Ein einzler Kahn fährt unten entlang,
Ein Totengeleite.
Zum Friedhof drüben rudert er fort
Mit lässigem Kiele.
Der schlichte Sarg ragt über den Bord,
Bald ist er am Ziele.
Du Armer, den zu Grabe man fährt,
Bald bist du geborgen.
Doch hast du gern den Rücken gekehrt
Dem tauenden Morgen?
[383]
Ein bunter Kranz umwindet dir heut
Die hölzerne Truhe.
Hast lebend wohl nicht oft dich erfreut
So spät noch der Ruhe!
Und doch – wie jetzt die Sonne sich hebt,
Wer wünschte zu scheiden
Vom goldnen Licht, und hätt' er erlebt
Nur Sorgen und Leiden!
Vom Lager spring' ich glühend, als sei
Ein Glück mir begegnet.
Du neuer Tag im sprossenden Mai,
O sei mir gesegnet!

In der Barke

Zwei fröhliche Leutchen,
Nicht lang noch vermählt.
Er hat sich zum Bräutchen
Die Schönste gewählt.
Ihr sonniger Nachen
Die Wellen durchfliegt.
Die Augen ihr lachen,
Dicht an ihn geschmiegt.
Mit schwellendem Segel
Den gleitenden Kahn
Umflattern die Vögel
Auf leuchtender Bahn.
Sie wirft, um zu locken
Die gierige Brut,
Weißschimmernde Brocken
Hinaus in die Flut.
Das Herzchen, von reiner
Glückseligkeit voll,
Verlangt, daß nicht einer
Leer ausgehn soll.
[384]
Und wie sie sich zanken
Und tauchen zum Grund,
Von süßen Gedanken
Verklärt sich ihr Mund.
Sie flüstert so munter
Zum Liebsten empor.
Der beugt sich hinunter
Und küßt ihr das Ohr.
Der Alte, der Ferge
Mit braunem Gesicht,
Blickt still in die Berge,
Als merkt' er es nicht.
Er denkt wohl: O blieben
Sie lang in Salò!
Wie macht junges Lieben
So königlich froh.
Vor Kosen und Küssen
Er wünscht nicht einmal
Die Taxe zu wissen,
Der junge Gemahl.
Mir kommt es gelegen;
Denn landen wir an,
Wie Könige pflegen,
Bezahlt er mich dann.

Resignation

Eine warme Regennacht
Hat am Feigenbaum im Garten
Alle Zweig' in Flor gebracht,
Die noch kahl des Frühlings harrten.
Zu den Blättlein dicht gesellt
Schauen tausend winz'ge Knollen
Putzig in die grüne Welt,
Die zu Früchten reifen sollen.
[385]
Doch die süße Lieblingsfrucht
Soll mir ungenossen bleiben,
Wird mich doch der Tage Flucht
Nur zu bald von hinnen treiben.
So auch an der Menschheit Baum
Seh' ich manche Knospe sprießen,
Und zu hoffen wag' ich kaum,
Ihrer Reife zu genießen.
Los des Alters! Das sei fern,
Drum zu trauern im Gemüte.
Nur noch aufblühn säh' ich gern
Eine junge Menscheublüte,
Jenes vielgeliebte Kind
Mit den strahlend großen Augen,
Die so übermütig sind,
Wie sie wohl zum Hexen taugen.
Gerne kennt' ich noch den Mann,
Der sich zähmt die süße Wilde,
Säh' als Frau und Mutter dann
Selig lächeln meine Thilde.
Ach, auf diesen Lieblingstraum
Kann ich nicht so leicht verzichten,
Wie daß dort der Feigenbaum
Mich noch labt mit seinen Früchten!

San Guiseppe

Warum so festliches Geläut?
Wem gilt der frohe Lärm? Ja so!
Sie feiern San Guiseppe heut
In allen Kirchen von Salò.
Man dankt es ihm, daß er nicht fern
Und schmollend bei der Krippe stand,
Als überm dürft'gen Stall der Stern
Den Kön'gen winkt aus Morgenland.
[386]
Nährvater sein dem Gottessohn –
Die Ehr' und Mühe war nicht klein,
Und er empfing als Himmelslohn
Den wohlverdienten Heil'genschein.
Drum macht er auch an seinem Fest
Zumal bei jungen Frauen Glück,
Und selbst im allerkleinsten Nest
Bleibt keine von der Kirch' zurück.
Zudem, in Welschland Sitte war's
Von je: geht einer ein und aus
Als Hausfreund eines Ehepaars,
Beschenkt er heut die Frau vom Haus.
Naive Theologen sind
Des Südens Kinder allzumal.
Auf der Mysterien Deutung sinnt
Ihr kecker Geist gar sehr real.
Und scheint, was sich hier unten schickt,
Uns Nordischen manchmal Blasphemie,
Die gute Mutter Kirche drückt
Eine Auge zu und duldet sie.

Stille nach dem Sturm

Ach, den Zauber dieser Stille
Nach des Ungewitters Graus,
Dieses Friedens Segensfülle –
Keine Lippe spricht sie aus!
Jugendfrische reine Lüfte
Hauchen überm See heran,
Und es füllt ein süß Gedüfte
Rebenhald' und Wiesenplan.
Nur am Weg die jungen Blüten,
Die der Sturm vom Baume riß,
Mahnen an des Wetters Wüten
In der nächt'gen Finsternis.
[387]
Ach, sie blühten wohl vergebens,
Da kein Sommer mehr sie reift.
Aber wenn der Sturm des Lebens
In die vollen Zweige greift,
Und der Seele nach der schwülen
Leidenschaft der Friede kehrt,
Ist, genesen sich zu fühlen,
Nicht ein Blütenopfer wert?

Lebensgeheimnis

Und sie fragen, was mich jung erhält,
Da ich lang' schon wandre durch die Welt,
Und sie staunen, daß noch nicht sich satt
Meine Seel' am Licht getrunken hat!
Fangt nur auch, so wie ich stets getan,
Jedes Frührot neu zu leben an,
Jedes Tags alltäglichen Gewinn
Als ein neues Wunder nehmt ihn hin!
Ist's der Jugend holdes Vorrecht doch:
Alles Leben überrascht sie noch.
Unerschöpft im Brunnenschacht der Brust
Sprudeln Quellen ihr der Lebenslust.
Ein Geheimnis dünkt ihr jedes Ding,
Märchenhaft, im weiten Weltenring.
Noch verhüllt ihr eines Zaubers Duft
Den erbarmungslosen Spuk der Gruft.
Noch umfangen zukunftslos vom Heut,
Rafft sie an sich, was die Stunde beut,
Und doch hebt sie überm Wust das Haupt,
Da sie schwärmend noch an Ew'ges glaubt.
Oft betrogen immer neu vertraun,
Freudig auf den Sieg der Wahrheit baun,
Als ein arglos frommes Kind der Welt –
Und sie fragen, was mich jung erhält!

[388] Nur ein Laie

Heut traf ich einen Gelehrten an,
Schien mir soweit kein übler Mann,
Ein Professor der Universität,
Allwo er hoch in Ehren steht,
Chemie und auch Physik doziert
Und fleißig experimentiert.
Und da im Laboratorium
Die Schüler lauschen in Ehrfurcht stumm,
Nistet' Allwissenheitsbewußtsein
Sich allgemach in seine Brust ein,
Und heiter sprach er fort und fort
Über all und jedes das letzte Wort.
Nun kam die Rede natürlich auch
Hier in Italien auf Sitt' und Brauch
Des Volks, sein Wesen und seinen Sinn,
Und unter anderm warf ich hin:
Versagt wohl sei ihm manche Gabe,
Die hohen Preis im Norden habe,
Doch was von jeher mir gefiel
An diesen Menschen: sie haben Stil.
Der Professor zog die Brauen hinauf:
Wie meinen Sie das?
Und ich darauf:
Stil hat, was mit ureigner Kraft
Die rechte Form seinem Wesen schafft,
Von innen her gestaltet wird,
Durch keinen fremden Zwang beirrt
Der Bildung oder Konvention.
So lebt hier jeder Muttersohn
Aus hohem oder niederm Haus
Sich unverlegen harmlos aus
Und läßt im Guten wie im Schlimmen
Nur vom Naturtrieb sich bestimmen.
Und da das südlich heiße Blut
In Lieb' und Haß, in Scherz und Wut
Die Adern ihnen höher schwellt,
Als Kindern einer kühlern Welt,
[389]
Ergeht sich auch in Ernst und Spiel
Ihr Tun und Reden in größerm Stil,
In Formen, die sich trefflich schicken,
Poeten und Maler zu entzücken.
Und er darauf: Der Form entspricht
Nur leider oft der Inhalt nicht.
Man sieht's an jeder hohlen Blase.
Hier in Italien herrscht die Phrase.
(Woher erfuhr's der große Mann?
Kam gestern erst hier bei uns an.)
Doch wer da pflegt in allen Fällen
Zunächst die Fakta festzustellen,
Wie mir's Bedürfnis wurde, kraft
Meiner exakten Wissenschaft,
Der findet in dieses Volks Natur
Von höherem Inhalt keine Spur,
Der auch zu höherer Form berechtigt.
Auch ihre Kunst ist mir verdächtig,
Und ich behaupte frank und frei,
's ist wenig Woll' und viel Geschrei.
Selbst die sistinische Madonne,
Die aller Kunstbeflissnen Wonne,
Hat mich enttäuscht, muß ich gestehn.
Ich hab' genau sie angesehn.
Nun ja, ein artiges Gesicht,
Doch Göttliches entdeckt' ich nicht,
Nichts von dem überirdischen Geist,
Den man so enthusiastisch preist.
Ich kann's nicht anders definieren:
Die Mutter und das Kind posieren.
Ja, dieser Raffael überhaupt,
An den die Welt kritiklos glaubt!
Er wird von der Ästhetik jetzt
Doch gar zu töricht überschätzt.
Ich hasse jeden Aberglauben,
Auch in der Kunst, und sprech' ich hier
Als Laie nur, ich lasse mir
Gleichwohl mein gutes Recht nicht rauben,
Zu sagen, wie ein Ding mir scheint,
[390]
Und ob sich alle Welt vereint,
So oder so es anzuschauen:
Ich kann nur meinen Augen trauen. –
Nach diesem letzten stolzen Trumpf
Genoß er lächelnd den Triumph,
Daß niemand der Madonna wegen
Wagt' eine Lanze einzulegen.
Ich aber sprach: Sie haben recht!
Es lebt im heutigen Geschlecht
Zuviel Respekt noch vor der Phrase.
Ein jeder folge seiner Nase!
Und wenn ein kühner Geist, wie Sie,
Dem Gott gesunde Sinne lieh,
An Raffael nichts finden kann,
So sag er's dreist. Selbst ist der Mann,
Auch wenn er fremd Gebiet durchstreift.
Man gleicht dem Geist, den man begreift,
Und lehrreich ist's, wenn man von Laien
Erfährt, wes Geistes Kind sie seien.

Sophie, Großherzogin von Sachsen

Ein Schatten fällt in dieser Tage Glanz,
Ihr Wohllaut stirbt in herber Dissonanz.
Der junge Frühling, lachend, wangenrot,
Erschrickt erblassend vor dem dunklen Tod.
Zwei Augen schlossen sich, die ihre Welt
Erwärmt mit sanftem Leuchten und erhellt.
Ein Herz steht still, das treu blieb immerdar
Sich selbst und dem, was wert der Liebe war.
Ein Geist ging in die ew'ge Klarheit ein,
Der Wahrheit sucht' und feind war allem Schein,
Beglückt, das Wort der Dichter zu verstehn,
Mit ihnen wandelnd auf der Menschheit Höhn.
[391]
Denn ob am Thron auch ihre Wiege stand,
Daß Geist nur adelt, hat sie früh erkannt.
Geist und ein Herz, das ernst und fromm sich weiht
Dem Priesteramte reiner Menschlichkeit.
Wer stillt um sie die Trauer, schmerzverzagt,
Um die ihr Land als um die Mutter klagt
Und weithin über seiner Grenzen Ring,
Wer ihres Geists je einen Hauch empfing!
Doch schwand sie auch für immer unserm Blick,
Bewegten Herzens preis' ich das Geschick,
Das in der Fürstentochter offenbart
Hoheit mit reinstem Frauenwert gepaart,
Ein segensreich erhabnes Menschenbild,
So klug wie gütig, so gerecht wie mild.
Mir aber, schreitend hier am Seegestad,
Begegnet sie auf einsam stillem Pfad
Und sieht mit ihrem hellen Blick mich an,
Der jedem wohltat, der ihr durfte nahn.
Als spräche sie: wie magst du klagen nur,
Verdunkelt sei dir nun die Lenzesflur?
Mich nahm ein ew'ger Geistesfrühling auf,
Erhaben ob der Jahreszeiten Lauf,
Und wie du siehst am Hang dort immergrün
Scheinlos, doch früchtereich, den Lorbeer blühn,
Ein Sinnbild edlen Ruhms, der fortbesteht,
Ob er auch bunten Farbenprunk verschmäht,
So laß mich in dir leben fort und fort
Und klage nicht um mich mit bangem Wort.
[392]
Nur im Beglücken fühlt' ich wahres Glück,
So ruf in Freuden dir mein Bild zurück,
Und in den Stunden, wo die Seele rein,
Zum Ew'gen sich erhebt, gedenke mein!

Sald. Am 8. April 1897

Johannes Brahms †

Und noch ein glorreich hochgefürstet Haupt
Hat dieser wilde Lenz der Welt geraubt.
Ein Haupt, das äußrer Würden sich entschlug,
Doch in dem Reich der Schönheit Krone trug!
Ihm ward in Tönen wundersamer Art
Das tiefste Weltgeheimnis offenbart,
Und was zu seiner lauschenden Seele drang,
Beseelt ausströmen mußt' es sein Gesang,
Voll heil'gen Tiefsinns, der am stumpfen Ohr
Der flachen Menge freilich sich verlor,
Da leichtre Kunst am lauten Markt sich bläht
Und Zügelloses hoch im Preise steht.
Er aber schritt, nicht buhlend um Gewinn
Gemeinen Ruhms, mit heitrem Mut dahin,
Gestärkt, beseligt durch der Muse Kuß,
Die immer treu blieb seinem Genius,
Bis dann in Süßigkeit und herber Kraft
Den Neid beschämte seine Meisterschaft
Und zu den Treuen, die ihn früh erkannt,
Ein endlos Volk sein Zauber überwand.
So, da die Welt vernahm: nach schwerer Pein
Ging dieser Herrliche zum Frieden ein,
[393]
Erscholl nur eine Klage weit ringsum,
Daß nun die goldne Sängerlippe stumm.
O wohl! Der Müde schläft am stillsten Ort,
Doch sein Gesang tönt unvergänglich fort,
So wie im Weltall, wenn ein Stern versinkt,
Sein Licht noch lang sich durch den Äther schwingt
Und in das Auge, das gen Himmel blickt,
Noch einen Strahl der Freude niederschickt.

Wiegenlied

So schaukelt die alte
Weltenamme, die Zeit,
Den Menschen, ihr großes Kind,
Auf und ab
In der Wiege von Tag und Nacht
Und summt und singt ihm
Bald muntre Liedchen,
Daß es lachend die Hände
Ausstreckt und bittet:
Mehr! noch mehr! –
Bald wehvolle Laute
Trauriger Märchen,
Bis es geängstet
Zum Weinen den Mund verzieht
Und fleht: Halt ein,
Garstige Alte!
Zu weh tut dein Gesang
Vom ewigen Werden und Welken
Uns armen Kindern,
Die immer wir fortblühn möchten
Und der Gespielen uns freun. –
Und siehe, die Alte
Erbarmt sich wieder,
Schaukelt melodisch
Die Wiege von Tag und Nacht,
Singt leis' und leiser,
[394]
Dem wimmernden Kleinen
Einzulullen das bange Gehirnchen,
Bis er ruhiger atmet
Und noch mit Tränen
An Wimpern und Wangen
Schmerzvergessen entschlummert
Und friedlich lächelt im Schlaf.

Sermione

»Von allen Inseln, Sirmio, und Halbinseln
Mein Augenstern, so viel' in klaren Landseen
Und Meeresweite rings der Wassergott hütet,
Wie froh erblick' ich, wie zufrieden dich wieder!«
Und wem, im Frühling landend an Catulls Eiland,
Entschlüpfte nicht gleich ihm ein Wonnestoßseufzer,
Darf er auch nicht wie er »im eignen Bett ausruhn«!
Wie lieblich, hier im lichtgepflanzten Ölwalde
Hinwandeln, oder unter schattigen Laubkronen
Des dunklen Lorbeers sich behaglich hinstrecken,
Von Anemonen rings umblüht und Würzkräutern!
Wie schön, durch Trümmer hochgewölbter Torbogen,
Durch die der See heraufglänzt in Smaragdbläue,
Hinüberschaun zu schneebedeckten Berghäuptern,
Die kahle Stirnen baden in Aprilsonne!
Nur die Zikade singt ihr schrilles Volksliedchen
Im Gras verborgen, sonst kein Laut, als einlullend
Des großen Pans eintönig tiefe Schnarchtöne.
Hier mochte wohl der Dichter friedlich ausrasten
Vom Fieber Roms und zweifelhaften Liebschaften
Und seiner Lesbia Wankelmut und Untreue.
Doch diese Villa, ungeheuren Umfanges,
Mit Hallen, Bädern, Pfeilern, des August würdig,
Die hättest du, Poete, dir erbaun lassen,
Der, nicht an Gunst der Großen dem Horaz ähnlich,
Den Freund Fabullus du zu Tisch dir einludest,
Ein köstlich Mahl verheißend, wenn er selbst nämlich
Das Essen und den Wein dazu sich mitbrächte,
Indem dein Beutel nur gefüllt mit Spinnweben?
Man weiß, wie damals Publikum und Buchhändler
[395]
Ein Bändchen Lyrik schlechter noch als heut zahlten,
Und du zumal warst nimmer ein Erfolgjäger.
Nein, hier an deiner Lieblingsinsel Nordspitze
Besaßest du vielleicht ein schlichtes Landhäuschen,
Im Erdgeschoß zwei Zimmer oder drei höchstens,
Und eine Loggia mit den schönsten Ausblicken,
Und stiegst zum Bad hinunter in die Seefluten,
Die von den Gliedern wie vom Geist die Gluthitze
Der Weltstadt Rom samt ihrem Ehrgeiz abspülten.
Doch was an Wohllaut dir die Welle zurauschte,
An reinem Balsam dir Natur ins Blut flößte,
Um das beneiden konnte dich dein Nachfolger,
Der niederriß dein Häuschen und die Prachtbauten
Mit hundert Sklaven prahlerisch hier aufführte
Und ärmer blieb inmitten seiner Wollüste,
Als du, trotz deines Beutels voller Spinnweben.

Abschied

Zum letztenmal
Meinen Lieblingspfad
Am Bergesabhang
Durch Rebengärten,
Wo zartverschränktes Olivenlaub
Unter den dunklen Lorbeerwipfeln
Freundlichen Schatten streut,
Wandl' ich dahin.
Still ist die Luft.
Nur ein lichtes Wölkchen
Steht regungslos
Drüben auf der weißen Stirn
Des greisen Monte Baldo,
Und die kleinen Städtchen, gelagert
Zu Füßen des Alten
Wie artige Kinder,
Torri und Garda
Mit San Vigilios Kap
Und südlicher Bardolino
Schimmern mit blanken Häuschen
[396]
Über der purpurnen Bläue des Sees
Den nicht ein Windhauch kräuselt.
Wonniger Frieden weitum.
Still atmet die Natur
Der Nacht entgegen,
Und drüben im Äther hängt
Die Mondenscheibe,
Eine Silberflocke,
Wie eine Blüte des Frühlingshimmels.
Dort aber das Haus,
Zu dem ich oft den Schritt gelenkt –
Vor dem niederen Eingang
Auf verwitterter Treppenstufe
Die spielenden Knäbchen
Verstummen, da sie mich sehn,
Das Hündchen belfert mich an,
Das magre, scharrende Hühnervolk
Stiebt auseinander,
Nur die Kaninchen fahren
Sorglos fort, die Kräuter zu rupfen
Im hohen Gras.
Und jetzt die junge Herrin der Hütte.
Der zweite Knabe
Hat die blauen Augen der Mutter,
Der ältre des Vaters Augen –
Occhi furbi.
Der mag wohl sitzen
Heut am Sonntag
In der Schenke drunten,
Über deren Tür man liest:
Al tempo perduto.
Lächelnd bietet das junge Weib
Mir guten Abend
Und steht, indem ich raste,
Vor mir, und wir plaudern
Von ihrem mühsamen Tagwerk,
Ihrer Kindersorge,
[397]
Die selten nur ihr erlaubt
Den Gang zur Messe.
Die höre der Mann statt ihrer.
Brav sei er und fleißig
Und halte sie gut.
Und das junge Gesicht
Von zarter Blässe,
Indem die Augen
Ruhn auf den Kleinen,
Strahlt von geheimem Stolz und Glück,
Wie jener Römerin,
Die ihre Kinder der Freundin zeigte
Als ihren Schatz an Kleinoden.
– Und da in der Schürze, Frau,
Was tragt Ihr her aus dem Gärtchen?
– Eine Handvoll Salat,
Heut abend zur Polenta.
Siam poveri!
O reiche Armut!
Erhalte sie dir ein gnädig Geschick
Und schütze deine Reben
Vor Hagelsturm
Und böser Krankheit
Und diese Kinderhäupter
Vor argen Gedanken,
Daß, wenn ich wiederkehre
Zu dieser Stätte,
Ich unversehrt noch finde
Deinen reichen Besitz
Am Köstlichsten der Welt:
Ein Haus voll Liebe,
Lebensgenüg' und Frieden.

Lizenz
Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).
Link zur Lizenz

Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Heyse, Paul. Frühling am Gardasee. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-67A8-E