[38] Die Fehme

Muß ein Staat erst todt sein, ehe man ihn zergliedern darf, und ist's nicht besser, durch dessen Krankheitsberichte die Sectionsberichte abzuwenden? oder soll den Bürgern eines Staats erst ein Feind desselben, der die Hände bindet, die Zunge lösen? –

Jean Paul, politische Nachklänge, S. 10.


Mel. Alles schweige!


Hier auf Erden
Konnte werden
Doch kein schlechter Ding erdacht,
Als daß man Gedanken richtet,
Geister tödtet und vernichtet,
Oder thut in Bann und Acht.
[39]
Beßre Tage,
Mindre Plage
Werden nie dem Staat zu Theil –
Sagen darf man nicht das Rechte,
Ohne Tadel bleibt das Schlechte
Und das Kranke wird nicht heil.
Wer es waget
Und es saget,
Wie es ist und könnte sein,
Gilt für einen Staatsverbrecher
Und man sperrt den armen Schächer
Endlich allergnädigst ein.
Unsrer Geister
Herrn und Meister
Sind jetzt die Censoren nur,
Und sie werden immer dreister,
Meistern Gott den Herrn und Meister:
Über Gott geht die Zensur.
[40]
Ja, und immer,
Immer schlimmer
Geht's uns armen Teufeln nur.
Glauben wir ein künftig Leben,
Müssen wir auch das aufgeben,
Wenn's nicht gut heißt die Censur.
Giebts auf Erden
Wol Beschwerden,
Größre noch als unsre Noth!
Das Gebot: du sollst nicht tödten!
Ist nun weiter nicht von Nöthen,
Denn wir sind schon alle todt.

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Hoffmann von Fallersleben, August Heinrich. Die Fehme. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-70A2-D