[188] Trinksprüche

Breslauer Schillerfest

10. Nov. 1835.


Es leben die Poeten!
Die erhabenen begrabenen
Und die strebenden lebenden,
sinnig waltenden,
innig entfaltenden,
minnig gestaltenden,
Langentzückten entzückenden,
Langbeglückten beglückenden,
bei Erlebnissen,
bei Begebnissen,
bei Begräbnissen,
bei Hoch-
und bei noch
andern Zeiten
und Gelegenheiten –
Es leben alle Poeten auf Erden,
Die's heute schon sind oder morgen noch werden!

[189] Breslauer Dürerfest

20. Mai 1836.

1.

Es leben die Gönner und Könner!
Denn ein Künstler, was gewönn' er,
Hätt' er nicht auch seine Gönner?
Der Künstler muß auf der Erde leben,
Doch ist sein ganzes Ringen und Streben
Euch auf der Erde den Himmel zu geben.
Er möchte lieber im Himmel schweben,
Als unten an der Erde kleben –
Doch muß er nun mal auf der Erde leben.
Wenn's euch nun freut, wie der Künstler waltet und schaltet,
Wenn euch freut was er in Worten und Tönen entfaltet,
Und zu seelenvollen Bildern gestaltet,
So mögt ihr eure Freude zur Erscheinung bringen,
Und lasst anmuthiglich eure Meinung klingen,
Und vergleicht nicht erst mit der Bildnerei des Thalers
die Schilderei des Malers
Und mit der Moneten Singsang
der Poeten Klingklang!
Denn das ist mir nun einmal klar
Seit manchem Jahr und bleibt auch wahr
Heut' und immerdar:
[190]
Alle wahre Kunst
Ohne wahre Gunst
Müht sich fürwahr umsunst.
Drum lasst uns alle das Glas erheben:
Die Kunst und die Gunst,
sie sollen leben!

2.

Es leben die komponisten!
Die aus dem gewaltigen Meer von Tönen
Fischen die Perle des Edelen, Schönen,
Die uns des Lebens Mißklang' entwöhnen,
Allem Jammern, Klagen und Stöhnen,
Uns mit dem Weltgewühle versöhnen,
Uns das Leben erheitern, verschönen –
Die, was ein Dichter irgend gesagt hat,
Was er gelacht und was er geklagt hat,
Was er zu ahnen kaum gewagt hat,
Rastlos streben und ringen
Schöner in Tönen darzubringen.
In allen Herzen muß das Schön' ersprießen,
Wenn sie das Schön' in Tön' ergießen;
Und wir wollen den Dank im Becherklang bringen,
Wenn sie uns ihren Zechersang singen.

[191] 3.

Es leben die Dichter, die fröhlich strebenden,
herzenerhebenden,
Düstres und Klares, Schönes und Wahres
sinnig verwebenden,
Erd' und Himmel minnig umschwebenden,
die da trachten und dichten,
das Dunkle zu lichten,
das Gebeugte zu richten,
das Verworrne zu schlichten;
Die aus der Erde Banden und Schlingen
Sich frei mit der Lerche gen Himmel schwingen,
Und unbekümmert um diesen und jenen
Fröhlich singen ihr Lieben und Sehnen,
Und nicht aus Pfützen und Lachen schlürfen,
Und keiner undeutschen Quelle bedürfen,
Und nach keinen fremden Gängen schürfen –
Sondern am heimischen Born sich laben
Und in ihrem eigenen Herzen graben,
Weil sie selbst den Schacht im Herzen haben;
Die wie der Frühling Blüthen entfalten
Und wie der Frühling niemals alten,
Und auf die ganze Welt verzichten,
Weil sie nicht um Ruhm und Geld dichten.

[192] Breslauer Schillerfest

10. Nov. 1836.


Es lebe die Zeit die neue!
Und keiner bereue
Die Zeit die neue,
Doch jeden erfreue
Die Zeit die neue!
Ich beschwör' euch bei den Perrücken und Zöpfen,
Bei den Atlasröcken mit großen Knöpfen,
Bei den runden bepuderten ernsten Köpfen,
Bei dem Reifrockknix und dem Fischbeinmieder,
Bei dem verschämten Aufschlag der Augenlieder,
Bei der Feiertagsruhe aller Glieder,
Bei den Tressen und Litzen,
Manschetten und Spitzen,
Bei den seidenen Strümpfen mit falschen Waden,
Bei den Schönheitspflastern, Schminken, Pomaden,
Bei der Weitschnurigkeit
Und Breitspurigkeit
Aller alten und jungen
Herzen und Zungen –
Wer könnt' es wagen,
Das Verlorene zu beklagen,
Und wünschen, unserem Leben und Treiben
Das Langweilige wieder einzuverleiben?
[193]
Wie der Staub verweht durch das Feld,
Ist der Puder hinweg aus der Welt,
Und was er verhüllt und unkenntlich gemacht,
Ist rein und lauter ans Licht gebracht.
Die alte Zeit musste verloren gehn,
Schon weil sie Schillern musste geboren sehn.
Die alte Zeit ist die gerichtete,
die vernichtete,
Weil Schiller dichtete.
Doch wir wollen vom Alten
Alles Gute behalten.
Wir behalten heute zu unserem Feste
das Beste –
All' ihr Versammelten wisst es:
Schiller bleib es, den Schiller ist es.

[194] Breslauer Künstlerfasching

1837.


Hoch lebe die Fastnacht!
Wo wir fasten und rasten
Von des Lebens Lasten,
Und uns gewöhnen zu fröhnen
Allem Schönen,
Wo wir anstecken
Die Kerzen unsrer Herzen,
Und wie Gecken
Uns selbst zum Besten haben
Und mit heitern Gästen laben,
Nach Fröhlichkeit trachten und dichten
Und unsre Gedanken richten
Eher auf den besten Keller
Als auf den letzten Heller –
Es lebe die Fastnacht,
Die keinem Last macht,
Wo Wirth und Gast lacht
Und ohne Rast wacht
Bis an den Morgen
Abzuwerfen der Sorgen
Ballast-Fracht
Und was das Leben verhasst macht –
Hoch lebe die Fastnacht!

[195] Breslauer Schillerfest

10. Nov. 1838.

1.

Lasst die Philister immer schrei'n:
Gar keine Zeit wird bald mehr sein!
Wenn wir nur soviel Zeit noch haben
In Jugendlust voll Fröhlichkeit
Uns zu erfreun an Gottes Gaben,
Was kümmert uns dann noch die Zeit!
Ob leer ist oder voll die Tasche,
Ist nur immer voll die Flasche,
Und Herz, Geist und –
Der Magen gesund,
Dann kann man sich in unsern Tagen
Auch mit der papiernen Zeit vertragen;
Und wir lassen ein
Jeden Cassenschein,
Und mit Geduld ein
Jeden Staatsschuldschein,
Und ohne weitere Deliberation
Jede heitere Obligation,
Und wir halten nicht die Hand schief,
Wenn uns kommet ein Pfandbrief,
[196]
Und wünschen, daß immer heckten
In unseren Kisten und Kasten die Staatseffecten,
Und freuen uns über jedes Lumpenpapier,
Wovon man leben kann bei dem Humpen dahier.

2.

Und wär' er auch für euch nichts weiter als ein Ketzer,
So war er doch ein biedrer edler deutscher Mann,
Den man im besten Weine wie im schlechten Krätzer
Genug nie loben noch auch je beschimpfen kann.
Und hätt' er nur gesprochen das Eine Wort,
So müsst' er leben unter uns hinfort:
»Wer nicht liebt Wein, Weib und Gesang,
Der bleibt ein Narr sein Lebelang!«
Hoch lebe du ehrlicher Dr. Martine
sine fine!

3.

Hoch lebe Scharnhorst! Preußens Schutzpanier,
Und Ehr' und Ruhm für Preußens Schaaren!
Was er uns ist, das wissen wir,
Wenn wir bedenken was wir waren.
[197]

4.

(Der damalige Präsident des Festes, Prof. Schön, hatte kurz vorher einen Trinkspruch auf die Frauen ausgebracht.)


Schön hört sich's an, wenn Schön beim Schillerfest
Die schönen Frauen leben lässt.
Schön ging mit schönen Frauen schon voran,
Schön folgt auf schöne Frau'n der Mann,
Nicht weil er war der erst' im Paradies,
Sondern weil er ist der erste ohnedies.
Ich meine unter Mann nicht allerlei Leute,
Die jeder Tag uns bringt, das Morgen und Heute.
Wer männlich strebt und wagt, steht und nicht fällt,
Und männlich lebt, unverzagt geht durch die Welt,
Und männlich sich müht für's Gut' und Rechte,
Und männlich erglüht mit Muth wider das Schlechte,
Und männlich auf eigenen Beinen steht,
Und sich nicht nach jedem Wetter, Glauben und Meinen dreht,
Und männlich, mit Geduld, bieder erträgt,
Und männlich ohne Schuld nieder sich legt,
Und frei noch ist in Gefängniß,
Und froh noch ist in Bedrängniß,
Der weiß was er will, und will was er kann,
Ihr Männer, stoßet an!
Hoch lebe – mit und ohne Frau – der Mann!

[198] Bei einem Faschingsball

1839.


Es leben die Frauen und Fräulein!


Die uns wie ein Kranz im Frühling gewunden
umgeben,
Und wie ein Tanz von fröhlichen Stunden
umschweben,
Und Freude in unser Leben weben,
Und Leben unserm Streben geben,
Und unser Leben zum Leben erheben,
Die unser Herzweh
Und unsere Plagen,
Wie die Sonne den Märzschnee,
Wissen zu verjagen;
Die den Becher
der schlimmen Laune für sich behalten,
Und uns nur den Fächer
der Fröhlichkeit entfalten;
Die besser Kartoffeln als Pantoffeln kennen
Und mehr für den Herrscher als die Herrschaft entbrennen;
Die nicht grollen und schmollen,
Wenn wir trinken sollen und wollen,
Die unsern heißen Durst zu würdigen
immer bereit sind,
Und denen unsere leeren Flaschen und Taschen
nimmer leid sind:
[199]
Es leben die Frauen und Fräulein jetzt eben,
Die uns wie ein Kranz im Frühling gewunden
umgeben,
Und wie ein Tanz von fröhlichen Stunden
umschweben,
Und Freuden in unser Leben weben,
Und Leben unserm Streben geben,
Und unser Leben zum Leben erheben,
die Frauen und Fräulein eben
sie sollen leben
hoch!

[200] Breslauer Schillerfest

10. Nov. 1839.


Ich habe einst die Philister leben lassen,
Aber ich müsste jetzt das Leben hassen
Und die Sonn' und den Regen, die die Reben nähren
Und uns das Schön're zum Leben gewähren –
Sollt' ich mich zu solchen Dingen zwingen
Und ein Lob den Philisterlingen bringen.
Ich will nicht beehren mit einem Tropfen die Tröpfe
Und werf' ihnen lieber den Pfropfen an die Köpfe.
Doch will ich heute herauf beschwören
Was unter Schillers Denkmal liegt wie im Grabe,
Ich will es zu meiner eigenen Schande hören,
Wie ich damals die Philister bedichtet habe:
»Es leben die Philister,
Ihre Gevattern und ihre Geschwister!
Die Poetenverachter,
Monetenbetrachter,
Die Luchser, die Muckser,
Die Pfennigfuchser,
Die Mucker und Achselzucker,
Die Agio- und Taxenkucker,
Die Linsenleser
Und Zinsenzähler,
[201]
Die Couponsschneider
Und Hungerleider,
Die, wo andre vor Freude weinen,
Gleich mit dem Regenschirm erscheinen;
Und wo die Freude droht einzuschlagen,
Den Blitzableiter in der Tasche tragen;
Die den Teufel scheuen
Und sich wie Teufel freuen;
Die nicht mehr mit dem Zopfe prangen
Und doch an dem Zopfe hangen;
Die Pantoffelgedrückten,
Kartoffelentzückten,
Wasser-Verprasser,
Die sich mit der Schlinge der Mäßigkeit schnüren,
Und doch die Klinge der Gefräßigkeit führen;
Die in lauter Formen und Normen sich bewegen,
In lauter Schmiegen und Biegen sich regen;
Die auf dem Stuhle des Schlendrians sitzen,
Und in der Schule des Bocksbeutels schwitzen.
Es leben die Philister,
Ihre Gevattern und ihre Geschwister!
Denn –
Wenn
Die Philister nicht mehr leben,
So wird es auch keine Poeten mehr geben!«
Nun aber seh' ich, wie die Philister hecken,
Wie sie die Lande mit Schauder und Schrecken bedecken
[202]
Geld und Brot, und Brot und Geld!
So schreit die Welt;
Das ist die einzige Mannigfaltigkeit
In dem langweiligen Liede unsrer Zeit.
Brot ist das einzige Universelle
Unserer Universitäten –
Das reimt sich nicht, ist aber doch wahr,
Und wer's nicht glaubt, dem wird's mit der Zeit noch klar
Auf Brot gerichtet ist der Knabe
Und verfolgt das Brot wie ein Rabe,
Brot ist des Jünglings Preisaufgabe,
Und der Mann studiert es bis zum Grabe;
Und alle jagen, haschen, streben, ringen,
Wollen es zum Brote, zum Leben bringen.
Und was ist Geld?
Ach, leider, ach es gilt –
Das ist ein treues Bild
Von der Philisterwelt.
Wir wollen unsre Schwerter und Schilde rühren
Und ein anderes Bild im Schilde führen.
Wir wollen Schiller als Reichspanier tragen
Und mit Schillern die Philister schlagen.
Man sollte eigentlich mit dem Esels-Kinnbacken
Wie Simson weiland auf sie hinhacken
Immer tapfer, lustig und munter.
Aber es sind vornehme Leute drunter,
Und die würden es gar übel nehmen,
Wenn wir mit so grobem Knübel kämen.
[203]
Drum wollen wir es stiller treiben
Und wollen lieber bei Schiller bleiben.
Wir, die wir die Poesie ins Leben trugen,
Und uns für Ideen zankten und schlugen,
Mit unsrer Begeisterung ausgepfiffen,
Wir, von des Lebens Ernst ergriffen,
Von seinem Leid und seiner Kläglichkeit,
Von Haß und Neid und mancher Unerträglichkeit,
Wir wünschen, daß Schiller auf Oberons Hifthorn blase,
Daß das Philistervolk wider Willen tobe und rase,
Und mit uns singe im lustigsten Triller:
Hoch lebe! hoch, hoch Schiller!

Hiemit ich scheid: Will mengen baß die Karten, Bin unverzagt, Ich hab's gewagt, Und will des Ends erwarten.

Ulrich von Hutten. [204]


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TextGrid Repository (2012). Hoffmann von Fallersleben, August Heinrich. Trinksprüche. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-7254-2