[114] Sonette

Künstlerweihe

Wir wandern stumm, verschüchtert, bang gebückt,
Und bergen scheu, was wir im Herzen hegen,
Und reden Worte, die uns nicht bewegen,
Und tote Dinge preisen wir entzückt.
Die Seele ist vergraben und erstickt ...
Verfaultes leuchtet fahl auf nächtgen Wegen ...
Und sind wir müde, soll uns Kunst erregen,
Bis wir im Rausch der leeren Qual entrückt.
Jüngst fiel mein Aug auf Meister Wolframs Buch
Vom Parzival, und vor mir stand der Fluch,
Der vom verlornen Gral herniederklagt:
»Unseliger, was hast du nicht gefragt?!«
In Mitleid ahnend stumme Qual befreie:
Das ist die einzig wahre Künstlerweihe!

Notes
• Sonette Entstanden 1891. Erstdruck aus dem Nachlaß in: Hugo von Hofmannsthal. Nachlese der Gedichte, Berlin (S. Fischer) 1934.
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Hofmannsthal, Hugo von. Künstlerweihe. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-776D-4