Erster Aufzug
Salon in einem Wiener Stadthotel. Flügeltür in der Mitte. Rechts vorne ein Fenster, weiter rückwärts eine Tür. Links gleichfalls eine Tür. Der Salon ist reich und neu möbliert im Geschmack der 1860er Jahre.
Adelaide mit der Kartenaufschlägerin an einem Tisch links.
Zdenka in Knabenkleidern, rechts, beschäftigt auf einem andern Tischchen Papiere zu ordnen.
KARTENAUFSCHLÄGERIN.
Die Karten fallen besser als das letzte Mal.
ADELAIDE.
Das gebe Gott!
Es klopft.
Nur keine Störung jetzt!
ZDENKA
läuft an die Mitteltür.
Man gibt ihr von draußen etwas herein.
Mein Vater ist nicht hier, die Mutter hat Migräne!
Kommen Sie später. – Es ist wieder eine Rechnung!
ADELAIDE
abwinkend.
Jetzt nicht! leg sie dorthin!
ZDENKA.
Es liegen schon so viele da.
ADELAIDE.
Still, still! – Wie liegen unsre Karten?
Die Sorge und die Ungeduld verzehren mich!
KARTENAUFSCHLÄGERIN
über die Karten gebeugt.
Beruhigen Sie sich. Die Erbschaft rückt schon näher – nur langsam!
ADELAIDE
mit gerungenen Händen.
Nein, wir können nicht mehr warten!
Es gibt nur eine Hoffnung
die baldige Vermählung meiner Arabella!
Was sagen Ihre Karten, liebste Frau!
[515]KARTENAUFSCHLÄGERIN.
Sie zeigen alles wie in einem Spiegel:
Den Vater seh ich, Ihren Herrn Gemahl –
o weh, die Sorge steht ihm nah – ganz finster ist's um ihn.
Er kämpft, er spielt – o weh, und er verspielt schon wieder die große Summe.
ADELAIDE.
Heilige Mutter Gottes!
Komm mir zu Hilfe durch mein schönes Kind!
Um Gottes Willen, die Verlobung – ist sie nah?
Unser Credit ist sehr im Wanken, liebste Frau!
KARTENAUFSCHLÄGERIN
betrachtet lange die Karten.
Da steht der Officier.
ADELAIDE.
Ein Officier? o weh!
ZDENKA
vor sich.
Matteo!
KARTENAUFSCHLÄGERIN.
Nein! der ist der Eigentliche nicht!
ADELAIDE.
Das will ich hoffen!
KARTENAUFSCHLÄGERIN.
Von dort herüber kommt der fremde Herr, der Bräutigam.
ADELAIDE.
Die Brosche mit Smaragden ist Ihr Eigentum
wenn Ihre Prophezeiung Wahrheit wird,
in dieser Woche!
KARTENAUFSCHLÄGERIN
langsam, wie das Schicksalsbuch entziffernd.
Er kommt von weiter her. Ein Brief hat ihn gerufen.
ADELAIDE.
Von weiter her? Es ist Graf Elemer, kein Zweifel!
KARTENAUFSCHLÄGERIN.
Ich sehe einen großen Wald: dort kommt er her.
ADELAIDE.
Das ist er! Elemer! o wie Sie ihn beschreiben!
Herrlich! – Doch warum zögert er?
KARTENAUFSCHLÄGERIN.
Die Zögerung kommt von ihr.
[516]ADELAIDE
jubelnd.
Sie sehen durch die Menschen wie durch Glas!
Das ist ihr namenloser Stolz. O Gott, erweiche ihren Stolz!
Er ist so groß wie ihre Schönheit.
Es klopft. Zdenka eilt an die Tür.
ZDENKA.
Nein, jetzt ist es ganz unmöglich!
Sie empfängt wieder eine Rechnung, die sie hinlegt.
ADELAIDE.
Was meinen Sie? was runzeln Sie die Stirn?
KARTENAUFSCHLÄGERIN
über die Karten sinnend.
Es drängt sich wer hinein
zwischen die schöne Tochter und den reichen Herrn!
ADELAIDE.
Heilige Mutter Gottes, laß es nicht geschehen!
KARTENAUFSCHLÄGERIN
über die Karten gebeugt.
Wie? haben Euer Gnaden eine zweite Tochter?
Das war mir nicht bekannt. Oh, das wird eine ernstliche Gefahr!
ADELAIDE
leise.
Leise! Sie rühren hier an ein Familiengeheimnis!
Zdenka rechts, horcht herüber.
KARTENAUFSCHLÄGERIN.
Wo kommt das zweite Mädchen da auf einmal her?
Sie bringt das Unheil über ihre Schwester!
ADELAIDE.
Um Himmelswillen, leise!
KARTENAUFSCHLÄGERIN
über den Karten.
Halten Sie die Schwestern auseinander!
Sonst geht noch alles fehl!
ADELAIDE
dicht bei ihr.
Was ist es, das Sie sehen?
KARTENAUFSCHLÄGERIN.
Ich sehe einen großen Streit – Entzweiung –
Der Bräutigam will fort!
Es fallen fürchterliche Worte! fremde Leute hören zu!
ADELAIDE.
Du großer Gott im Himmel!
[517]KARTENAUFSCHLÄGERIN.
Alles Übel
kommt von der kleinen Blonden und dem Officier.
ADELAIDE
kniet neben dem Tisch nieder.
Ihr Engelscharen droben, hört das Flehen einer Mutter
in ihrer Herzensangst!
ZDENKA
ängstlich.
Mama!
ADELAIDE.
Zdenka! bleib still und kümmre dich um nichts was hier geschieht!
Auf, leise; auf Zdenka deutend.
Leise! sie ist es!
KARTENAUFSCHLÄGERIN.
Dort der junge Herr?
ADELAIDE.
Sie ist ein Mädchen. Weil sie wild war wie ein Bub
hat man sie weiterhin als Buben laufen lassen.
Wir sind nicht reich genug, in dieser Stadt
zwei Mädchen standeswürdig auszuführen. –
Allein sie liebt die ältre Schwester über alle Maßen,
wie könnte sie ihr Böses tun?
KARTENAUFSCHLÄGERIN.
Die Karten lügen nicht.
Da steht der Officier. Da steht das blonde Mädchen.
Gezogne Säbel seh ich, und der Bräutigam zieht sich zurück.
Die Karten warnen Sie!
ADELAIDE
steht auf.
Sie sind mein guter Engel!
Hier ist mein Zimmer! Sie versuchen es noch einmal!
KARTENAUFSCHLÄGERIN.
Die Karten nehmen nichts zurück.
ADELAIDE.
Schnell, schnell! Ich fleh Sie an.
Zieht sie ins Nebenzimmer rechts.
ZDENKA
nimmt die Rechnungen zur Hand, die sich angehäuft haben, sieht hinein.
Sie wollen alle Geld! Sie drohn mit den Gerichten!
Was? davon weiß ja ich gar nichts: sie schreiben:
sie haben schon gehört daß wir verreisen wollen!
[518] Oh! dann ist alles aus!
Dann seh ich ihn nie mehr!
Sie läuft in ihrer Angst an die Tür links und horcht.
Sie sagt: der Arabella droht etwas –
von einem Officier.
Er darf nicht mehr ins Haus, sagt die Mama,
sie wird compromittiert von ihm.
Nicht mehr ins Haus? O Gott – dann bringt er sich ja um –
und alle wissen drum: es ist wegen ihr –
und sie – dann endlich weiß sie, wie er sie geliebt hat!
Geht weg von der Tür.
Mein Gott, laß das nicht zu, daß wir verreisen müssen!
Laß den Papa gewinnen! Laß in Goerz die Tante sterben!
Mach daß die Bella den Matteo über alles liebt
und daß er glücklich wird, und daß wir nicht mehr arm sind!
Aufopfern will ich mich dafür – mein Leben lang
in Bubenkleidern laufen und Verzicht auf alles tun!
Es klopft. Sie geht an die Mitteltür. Indem wird die Tür von außen vorsichtig aufgemacht und Matteo tritt ein, in Jägeruniform, die Kappe in der Hand, aber ohne Säbel.
ZDENKA
erblaßt.
Matteo!
MATTEO.
Zdenko! du! Bist du allein?
ZDENKA
leise, ängstlich.
Da drin ist die Mama.
MATTEO.
Und Arabella?
ZDENKA.
Sie ist spazieren auf dem Ring mit der Begleiterin.
MATTEO
einen Schritt näher.
Und nichts für mich? Kein Wort? kein Brief?
Zdenka schüttelt traurig den Kopf.
Und gestern abend?
ZDENKA.
War sie in der Oper
mit der Mama.
MATTEO
eifersüchtig.
Mit der Mama allein?
ZDENKA
zögernd.
Ich glaub mit der Mama und den drei Grafen.
[519]MATTEO.
Und nachmittag?
ZDENKA
zögernd, ängstlich.
Sie kommen mit Schlitten und holen sie ab –
ich soll auch mit: ein Chaperon muß doch dabei sein.
MATTEO
tief getroffen.
Dahin ist es gekommen zwischen mir und ihr!
Hätt ich nicht dich, ich wüßte nicht einmal mehr was sie tut!
Sie hat nichts mehr für mich als hie und da
einen halb finstern halb zerstreuten Blick!
ZDENKA.
Und doch hat sie dich lieb! Glaub mir! Ich weiß es, ich!
MATTEO
aufleuchtend.
Zdenko, mein einziger Freund! du weißt's? sie hat es dir gestanden?
ZDENKA.
Du weißt: sie ist verschlossen wie das Grab,
mit Worten sagt sie's nicht.
Ich weiß es halt – und hat sie dir nicht vor drei Tagen
den Brief geschrieben, über den du selig warst?
MATTEO.
O dreimal selig – wie vom Himmel war der Brief!
Dann aber geht sie wieder kalt und fremd an mir vorbei!
Wie soll ich das begreifen – und ertragen, Zdenko – wie?
ZDENKA
leise, wichtig.
So ist ein Mädel. Geben will ein Mädel mehr und mehr –
nur zeigen will sie nichts. Sie schämt sich halt so furchtbar.
MATTEO.
Wie du das weißt, du lieber Bub!
So weißt du auch –
Er faßt Zdenka am Arm, sie macht sich sogleich los.
– was das für Stunden sind
und was da für Gedanken Herrschaft haben über mich
wenn sie so durch mich durchschaut wie durch leere Luft –
und du mir nicht ein Zeichen bringst
von dem ich wieder hoffen kann und leben!
[520]ZDENKA
hastig.
Gewiß. Ich bring dir wieder einen solchen Brief
heut oder morgen!
MATTEO
drängend.
Heute noch! Du bist mein einziger Freund!
Gib mir dein Manneswort – auf dich verlaß ich mich!
Und wenn ich mich auf dich nicht mehr verlassen könnte
dann käme etwas andres!
ZDENKA
angstvoll.
Was? was käme dann, Matteo?
MATTEO
sehr finster.
Dann stünd ich morgen beim Rapport und bäte um Versetzung nach Galizien.
Und wenn mir das nichts hilft und ich auch dort
die Arabella nicht vergessen kann –
dann gibts halt einen Ausweg: den Revolver.
ZDENKA.
Mein Gott im Himmel!
MATTEO.
Denk daran, wie du mir hilfst!
Er eilt weg.
ZDENKA
fast sinnlos vor Aufregung und Angst zwischen so vielen Gefahren und Schwierigkeiten.
Ihm helfen – o mein Gott! und mir! wer hilft denn mir!
Die Wörter hätt ich wohl in mir für hundert solche Briefe –
und auch die Schrift die treff ich ja im Schlaf –
was aber hilft ihm denn der Brief, wenn ich für sie
die zärtlichen verliebten Wörter schreibe!
Die Wörter muß ich finden die ins Herz ihr gehn
daß sie erkennt den Einzigen der es verdient von ihr geliebt zu sein –
Das ist das Schwerere und wenn's mir nicht gelingt – hab ich verspielt.
ARABELLA
ist von rechts eingetreten, in Hut, Schleier und Pelzjacke, hinter ihr die Begleiterin.
Ich danke, Fräulein. Holen Sie mich morgen um die gleiche Zeit,
für heute brauch ich sie nicht mehr. Adieu.
Begleiterin geht ab.
[521]ARABELLA
legt den Hut und die Jacke ab.
Sie sieht die Rosen, die auf einem Guéridon stehen.
Die schönen Rosen! Hat die ein Husar gebracht?
Sie nimmt die Rosen.
ZDENKA.
Wie? ein Husar?
ARABELLA.
Der Leibhusar von einem fremden Reisenden!
ZDENKA.
Nein. Sie sind von Matteo.
ARABELLA legt die Rosen schnell weg –
Zdenka tut sie wieder in die Vase.
ZDENKA
sanft.
So gehst du mit seinen Blumen um!
Und trotzdem bringt er neue jeden Tag.
ARABELLA
kurz.
Ah, laß! – Und dort das andere Bukett?
ZDENKA.
Vom Elemer.
Und da Parfum vom Dominik, und Spitzen vom Lamoral.
ARABELLA
spöttisch.
Die drei! Verlumpen Geld zu dritt, verlieben sich zu dritt ins gleiche Mädel –
am End verloben sie sich auch noch alle drei mit mir!
ZDENKA.
Nichts wert sind sie – und etwas wert ist nur der eine – der!
Sie hält ihr Matteos Rosen entgegen.
ARABELLA.
Ah, laß! Die drei sind lustiger und haben mehr in sich.
ZDENKA
vorwurfsvoll.
Kannst du das sagen! Mehr in sich als der Matteo!
Er liebt dich doch aus seiner ganzen Seele,
aus seinem ganzen Herzen –
ARABELLA
spöttisch.
und aus allen seinen Kräften!
Nur sind die Kräfte halt nicht groß!
ZDENKA
heftig.
Versündig dich nur nicht! Du hast ihn lieb gehabt!
[522]ARABELLA.
Vielleicht!
Gehabt! So ists vorbei: du sagst es selbst.
ZDENKA.
Gib acht daß er dich das aussprechen hört!
Es wär sein Tod.
ARABELLA
leichthin.
Mannsbilder sterben nicht so schnell!
ZDENKA
heftiger.
Es wär sein Tod! anbeten tut er dich!
ARABELLA
sieht sie an.
Zdenkerl, du hast schon ganz den exaltierten Ton von der Mama!
Paß auf auf dich!
ZDENKA.
Weils mir das Herz umdreht, wie ich ihn leiden seh!
ARABELLA
ohne sie anzusehen.
Bist du verliebt in ihn?
ZDENKA
stampft auf.
Sein Freund bin ich!
Sein einziger Freund auf dieser Welt!
ARABELLA
sieht sie wieder aufmerksam an.
Zdenkerl, in dir steckt was Gefährliches seit letzter Zeit.
Mir scheint, Zeit wärs, daß du ein Mädel wirst
vor aller Welt und daß die Maskerad ein End hat.
ZDENKA.
Ich bleib ein Bub bis an mein End. Ich will nicht eine Frau sein –
so eine wie du bist. Stolz und coquett, und kalt dabei!
ARABELLA.
Du, du! Mir scheint es ist sogar die höchste Zeit!
ZDENKA
heftig.
Zeit wärs daß du das einzige Herz, das deiner wert ist,
nicht unter deine Füße trittst!
ARABELLA
sehr ernst.
Er ist der Richtige nicht für mich!
Er ist kein ganzer Mann. Ich könnt mich halt vor ihm nicht fürchten.
Wer das nicht ist, der hat bei mir verspielt!
ZDENKA.
Wie eine Hexe redest du!
[523]ARABELLA
sie hat sich gesetzt.
Ich red im Ernst, ich red die Wahrheit jetzt zu dir!
Ich kann ja nicht dafür, daß ich so bin.
Ein Mann wird mir gar schnell recht viel
und wieder schnell ist er schon gar nichts mehr für mich!
Da drin im Kopf geschiehts, und schnell, ich weiß nicht wie!
Es fangt zu fragen an, und auf die Fragen
find ich die Antwort nicht, bei Tag und nicht bei Nacht.
Ganz ohne meinen Willen dreht sich dann mein Herz
und dreht sich los von ihm. Ich kann ja nichts dafür –
aber der Richtige – wenns einen gibt für mich auf dieser Welt –
der wird auf einmal dastehen, da vor mir
und wird mich anschaun und ich ihn
und keine Zweifel werden sein und keine Fragen
und selig werd ich sein und ihm gehorsam wie ein Kind.
ZDENKA
nach einer kleinen Pause, sie liebevoll ansehend.
Ich weiß nicht wie du bist, ich weiß nicht ob du Recht hast –
dazu hab ich dich viel zu lieb! Ich will nur daß du glücklich wirst –
mit einem ders verdient! und helfen will ich dir dazu.
Noch inniger, mehr für sich, und zugleich mit Arabella.
So hat ja die Prophetin es gesehn:
sie ganz im Licht und ich hinab ins Dunkel.
Sie ist so schön und lieb, – ich werde gehn
und noch im Gehn werd ich dich segnen, meine Schwester.
ARABELLA
für sich und zugleich mit Zdenka.
Der Richtige, wenns einen gibt für mich,
der wird mich anschaun und ich ihn
und keine Zweifel werden sein und keine Fragen,
und selig werd ich sein und ihm gehorsam wie ein Kind!
Man hört die Glöckchen eines Schlittens.
ZDENKA.
Das ist der Schlitten vom Elemer. Ich kenn die Schellen.
ARABELLA
wieder ganz leicht und munter.
Und hinter ihm kommt dann der Dominik gefahren
und hinter dem der Lamoral. So treiben sie's.
[524] Und ich – ich treibs halt mit – weil halt nur einmal Fasching ist.
ZDENKA.
Nein: heute kommt der Elemer allein.
Das ist so zwischen ihnen abgemacht.
Freust du dich? Nein! Er kann der Richtige nicht sein!
Nein, nein, das darf nicht sein!
ARABELLA.
Ich weiß ja nicht!
Ein Mann, das ist er wohl. Vielleicht zu viel ein Mann.
Ein wilder zorniger Mann – kann sein, ich muß ihn nehmen!
Sie steht nachdenklich.
ZDENKA.
Mein Gott, dann bringt sich der Matteo um
Visionär.
Ich klopf an seine Tür, er gibt nicht Antwort.
Ich werf mich über ihn – ich küß zum ersten Mal
seine eiskalten Lippen! dann ist alles aus.
ARABELLA
für sich, ohne auf Zdenka zu achten.
Kann sein, ich muß. Es wird mir schon ein Zeichen kommen!
Heut abend ist der Fasching aus. Heut abend muß ich mich entscheiden.
Zdenkerl, was schaust du denn so traurig drein?
Ich weiß ja doch, die Eltern zittern drauf
mich los zu sein. Und ich, ich kann doch nicht
wenn mich nicht alles stoßt und drängt und hinwirft zu dem einen!
Siehst du – da war ein fremder Mensch heut vormittag –
Sie geht gegen das Fenster.
wie ich hier aus dem Haus gegangen bin,
dort drüben war er, an der Ecke, groß, in einem Reisepelz,
und hinter ihm ein Leibhusar – ein Fremder halt
aus Ungarn oder aus der Wallachei ...
Der hat mich angeschaut mit großen ernsten festen Augen,
dann hat er was gesagt zu seinem Diener.
Ich hätt geschworen drauf, daß er mir Blumen schickt.
Blumen von dem, das wäre heute mehr für mich als alles!
[525] Die täte ich mir in mein Zimmer nehmen
und wenn ich heimkäm in der Nacht vom Ball
fänd ich sie wieder, und ich ließ sie nicht verblühn –
als bis er selber käme! Laß mich nur
das sind so Phantasien –
schau mich doch nicht so ängstlich an!
ZDENKA
reißt die Rosen von Matteo aus der Vase, hält sie ihr leidenschaftlich hin.
Nimm die! sie kommen von dem treuesten Menschen auf der Welt!
Nimm sie zu dir, ganz nah zu dir, nimm keine anderen als die!
Ich fühls: dein und mein Schicksal hängt daran!
Die Glöckchen des Schlittens stärker.
ARABELLA
verwundert.
Was hast du denn? was ist denn los mit dir?
ZDENKA.
Sei still! da kommt der Elemer.
Die Mitteltür geht auf, Elemer steht in der Tür, wirft den Pelz ab, den er umhängen hat, ein Groom fängt den Pelz auf, schließt von außen die Tür.
Zdenka ist schnell und leise rechts abgegangen.
ARABELLA.
So triumphierend treten Sie herein?
ELEMER.
Heut ist mein Tag! so haben wir gelost.
Anspannen lassen hab ich meine Russen
denn heute darf ich Sie in meinem Schlitten führen,
und abends dann auf dem Fiakerball
bin ich Ihr Herr!
Arabella runzelt die Stirn.
Ich meine: ich Ihr erster Knecht
denn Sie sind immerdar die Königin!
ARABELLA.
Ihr habt um mich gelost! Ihr seid mir schon die Rechten!
ELEMER.
Ja, einer von uns dreien muß es sein, den Sie erwählen!
So ist's beschlossen und beschworen unter uns.
[526]ARABELLA.
Ah? einer von euch dreien muß es sein?
Und ich? ich bin die Sklavin über die ihr schon das Los geworfen habt?
In welchem Krieg habt ihr mich denn erbeutet wenn ich fragen darf?
ELEMER.
Zum Preis hat Sie sich selber eingesetzt
mit Ihren Blicken hat Sie uns gefordert, Ihr zu stehn:
Ein Mädchenblick ist stark und gibt und nimmt –
und er verheißt noch mehr!
ARABELLA
für sich.
Mit wie ganz andern Augen hat mich heute einer angeschaut!
Sie sieht ihn fest an.
Ja, – Sie verlangen – und Sie wollen – und Sie lieben auch – vielleicht!
ELEMER.
Vielleicht? das Wort da wagen Sie zu sagen – mir –
nach diesen Wochen –?
Er packt sie zornig beim Handgelenk.
ARABELLA
sie macht sich los und geht ein paar Schritte von ihm weg.
Ich aber habe meinen Stolz und könnte Vieles nicht verzeihn!
Und eine Fessel tragen will ich nicht!
ELEMER.
Ihr Stolz verlangt nur eines: sich zu schmiegen unter eine Manneshand!
ARABELLA.
Verlangt er das? Dann sollt ich zornig sein auf euch
daß ihr mir jetzt den Hof macht einen Fasching lang –
und immer noch habt ihr mir nicht das Herz erlöst
von diesem Stolz – und habt mir noch nichts Besseres geschenkt –
und immer bin ich noch die Gleiche die ich war,
und dieses einzige bittersüße Glück
das einem Mädel bleibt, das kost ich aus: versteckt
[527]und in der Schwebe sein, und keinem ganz sich geben!
und zögern noch und noch –
Vielleicht wird aber bald was Andres kommen, Elemer.
Mit einem süßen Lächeln.
Wer weiß – vielleicht sehr bald, vielleicht noch diese Nacht!
ELEMER.
Das Andere wird kommen in der Stunde
die ich herab vom Himmel flehe, Bella –
wo Sie abwerfen diese feigen zaudernden Bedenken
und das sein wollen was Sie sind, das herrlichste Geschöpf
geschaffen Seligkeit zu bringen über mich, allein auf dieser Welt!
Hören Sie meine Pferde? Wie sie stampfen
und ihre Glocken schütteln? Wie sie läuten:
Du willst ja! Komm! dann sausen wir mit dir dahin!
Nachdenken ist der Tod! im Nicht-bedenken liegt das Glück!
ARABELLA.
Sind es die Russen? schütteln sie sich schon vor Ungeduld?
Ja, ja! Ich will. Heut ist doch Faschingdienstag
und heut um Mitternacht ist alles aus.
Die Hauptallee hinunter – daß der Atem mir vergeht.
Aber Zdenko fahrt mit uns.
ELEMER
zornig, unglücklich.
Kein Wort,
kein Wort soll ich zu Ihnen reden dürfen?
In mir sind Worte, brennende, für Sie allein bestimmt!
und sonst für keines Menschen Ohr!
ARABELLA
bestimmt.
Der Bub kommt mit.
ELEMER.
Sie Grausame!
ARABELLA.
In einer halben Stunde bin ich unten
mit ihm, solange müssen sich die Russen gedulden!
Ihn verabschiedend.
Auf Wiedersehn!
ELEMER.
Sie sind ein angebetetes Geschöpf
ein unbegreifliches! ein grausames! entzückendes!
Er geht.
[528]ZDENKA
tritt rechts herein.
Hast du ihn fortgeschickt?
ARABELLA.
Wir fahren aus mit ihm. Schnell zieh dich an.
Im Schlitten.
ZDENKA.
Dazu brauchst du mich?
ARABELLA.
Ja, dazu brauch ich dich.
Der Schlitten unten lebhafter.
Schau doch die schönen Rappen, wie sie ungeduldig sind.
Mit plötzlich veränderter Stimme rufend.
Zdenka!
ZDENKA.
Was ist denn? was erschrickst du so?
ARABELLA.
Er! das ist er! er! mein Fremder! da! dort drüben geht er!
mit seinem Diener. Sicher will er wissen, wo ich wohn'.
Paß auf, jetzt sucht er, welches meine Fenster sind.
Schau seine Augen an, was das für große ernste Augen sind –
ZDENKA
hinter ihr.
Wie soll ich seine Augen sehn, er schaut ja nicht herauf!
ARABELLA
wartet.
Nein, er schaut nicht herauf
Wendet sich ins Zimmer.
Er geht vorüber. Anderswo erwartet ihn halt eine andre Frau –
Die haß ich jetzt! Und wünsch ihr alles Böse auf der Welt!
ZDENKA.
Und heut am Abend hast du sie vergessen – und ihn auch.
Du hast so deine Phantasien.
ARABELLA
steht finster.
ZDENKA
nähert sich ihr.
Die Männer sind's allein, die wählen dürfen,
und wir, wir müssen warten bis man uns erwählt
oder wir sind verloren.
Sie drückt ihren Kopf an Arabellas Schulter.
ARABELLA.
Du Weisheit!
[529] Zdenka hebt den Kopf.
Laß dich anschaun! Deine Augen
sind ja voll Wasser! Zdenkerl, sag was ist mit dir?
Man hört die Schlittenglocken.
ZDENKA
macht sich los.
Gar nichts. So willst du fahren mit dem Elemer?
ARABELLA.
Ja, ja. Geh. Zieh dich an. Du fahrst mit uns. Ich wills.
ZDENKA.
Pst, die Mama.
Adelaide ist links herausgetreten, horchend: sie hat Waldner kommen gehört.
Waldner kommt im gleichen Augenblick durch die Mitteltür, gut angezogen, Stadtpelz und Cylinder, Stock, Handschuhe. Er sieht elegant, aber ermüdet und übernächtig aus, geht durchs Zimmer, als sehe er die andern nicht und läßt sich in einem Fauteuil vorne rechts nieder.
ADELAIDE.
Laßt uns allein, meine Kinder.
Euer Vater hat Sorgen.
Arabella geht links rückwärts ab. Zdenka rechts rückwärts.
WALDNER
steht auf, legt ab – hinter einem Paravent – legt den Cylinder auf den Tisch. Er sieht die Couverts mit den Rechnungen, betrachtet sie mechanisch, reißt ein Couvert auf, dann das nächste.
Nichts als das Zeug da? und von niemand sonst ein Brief?
ADELAIDE.
Du hast gespielt? Du hast verloren, Theodor?
Waldner schweigt.
Du hast an deine Regimentscameraden geschrieben?
WALDNER.
Von keinem eine Antwort! das ist hart.
Wirft sich auf den Fauteuil; vor sich hin, halb zu Adelaide.
Da war ein gewisser Mandryka
der war steinreich und ein Phantast dazu.
Für ein Mädel hat der einmal die Straßen von Verona
bestreuen lassen mit dreitausend Scheffeln Salz
weil sie hat Schlitten fahren wollen mitten im August!
Ich hab an seine Großmut appelliert –
[530] und hab von der Bella ein Bild hineingelegt –
in dem stahlblauen Ballkleid mit Schwanenbesatz –
Ich hab mir gedacht: vielleicht kommt er daher,
ein Narr wie er ist, und heirat das Mädel!
ADELAIDE.
O Gott mein schönes Kind mit einem alten Mann!
WALDNER
heftig.
Es muß ein solider Bewerber daher
und ein End mit der ewigen Hofmacherei
die zu nichts führt! Ich weiß sonst keinen Ausweg!
Er ist aufgestanden – geht im Zimmer umher.
ADELAIDE
mit plötzlicher Ekstase.
Fort mit uns! Zur Tante Jadwiga!
Sie nimmt uns auf auf ihre Schlösser!
Du wirst Verwalter
ich führe der Tante das Haus.
WALDNER.
Und die Mädeln?
ADELAIDE.
Zdenka wird groom für ewige Zeiten –
wir sind nicht in der Lage
zwei Töchter zu erhalten!
Und Arabella – ihr ist prophezeit
sie macht ihr Glück durch eine große Heirat!
WALDNER
grimmig.
Inzwischen ist der letzte Fünfziger dahin!
ADELAIDE.
Sei ruhig, Theodor, mir sind im Traum drei Nummern erschienen!
Unfehlbare herrliche Zahlen!
WALDNER.
Ah, Geschwätz!
Versetz die Smaragdbrosch und gib mir das Geld!
Was? du hast sie nicht mehr? versetzt? verpfändet?
ADELAIDE.
Schon vorige Woche. Sie war das Letzte.
WALDNER.
Und heut hätt ich Glück!
Ich spürs in jedem Finger!
[531] Du unglückselige Person!
Im Herumgehen sieht er die Kartons.
Was sind das da für Sachen?
ADELAIDE
hat schnell die Kartons geöffnet.
Bonbons vom Dominik! Parfum vom Elemer!
Spitzen vom Lamoral! So voller Attentionen sind die jungen Herrn!
WALDNER
tritt näher.
Spitzen? wo sind die Spitzen?
ADELAIDE.
Da: point d'Alençon.
WALDNER.
Geh aus, sofort und schau wie du sie möglichst gut verkaufst.
ADELAIDE.
Die Spitzen, die dem Kind gehören?
WALDNER.
A tempo! fix! Ich hab nicht einen Gulden mehr im Sack!
ADELAIDE.
O dieses Wien!
Sie nimmt das Päckchen Spitzen zu sich.
Allein so hab ichs oft geträumt!
Aus tiefster Schmach hebts uns einmal empor
zu höchster Höhe durch die Hand der Schönheit.
WALDNER
winkt ihr heftig ab.
ADELAIDE
sich zurückziehend, links vorne, zwischen Tür und Angel in Ekstase.
Hats denn vielleicht im Allerhöchsten Erzhaus
noch keine Liebesheiraten gegeben?
Sie geht ab.
WALDNER
wieder zu den Rechnungen zurück, liest die erste.
»Bin ich nicht in der Lage, länger zu warten!«
Nimmt die zweite.
»Müßte ich die Gerichte in Anspruch nehmen ...«
Arme Frau! arme Mädeln!
Er läutet am Glockenzug indem er hinter sich greift. Zimmerkellner tritt ein.
WALDNER.
Cognac!
[532]ZIMMERKELLNER.
Auf Nummer 8 darf ich nichts mehr servieren!
Außer wünschen sofort zu bezahlen!
WALDNER.
Verschwinden Sie. Ich brauche nichts.
Auf und nieder.
Jetzt setzen sie sich hin und fangen wieder an zu spielen,
und alles Andre ist verlorene Zeit!
ZIMMERKELLNER
eintretend mit einem Tablett.
Ein Herr!
WALDNER.
Sie sagen: ich bin ausgegangen.
Das Zeug dorthin!
ZIMMERKELLNER
legt an die von Waldner angegebene Stelle eine Karte und geht ab.
WALDNER
sieht hin.
Das ist ja keine Rechnung. Melden sich
die Lieferanten jetzt schon mit Visitenkarten an?
Er geht hin, nimmt die Karte in die Hand, freudig überrascht.
Mandryka!
Traut seinen Augen nicht.
Der reiche Kerl! mein bester Freund im Regiment!
ZIMMERKELLNER
an der Tür.
Der Herr fragt dringend an.
WALDNER.
Ich lasse bitten!
Dem Eintretenden mit offenen Armen entgegen.
Tschau, Camerad!
Mandryka, großer, sehr kräftiger, eleganter Mann von höchstens fünfunddreißig Jahren, etwas undefinierbar Ländliches in der Erscheinung: sehr gut angezogen, ohne jede provinzielle Eleganz.
Welko, hinter Mandryka eintretend, bleibt in der Tür stehen.
WALDNER
perplex, tritt zurück.
Ah so! Mit wem hab ich die Ehre?
MANDRYKA.
Hab ich die Ehre mit dem Rittmeister Graf Waldner?
WALDNER.
Waldner, so heiß ich. Rittmeister nicht mehr.
Mandryka streckt seine rechte Hand nach hinten.
Welko, unter Verneigung, gibt ihm einen Brief in die Hand.
[533]MANDRYKA
mit dem Brief auf Waldner zutretend.
Sind Sie, Herr Graf, der Schreiber dieses Briefes?
WALDNER
nimmt den Brief, der zerknittert ist und voll Blutflecken.
MANDRYKA
sehr leicht und munter und sehr artig.
Er ist ein bißl blutig worden, und nicht mehr leserlich.
Ich bin den Tag, wo er mir zugekommen ist,
auf eine alte Bärin gegangen, sie hat mich angenommen
und ein bißl gekratzt – dabei ist das passiert.
WALDNER
indem er ihm den Brief zurückgibt, nachdem er einen Blick darauf geworfen hat.
Geschrieben hab ich allerdings an einen Herren Ihres Namens –
er war mein Freund und Regimentscamerad.
MANDRYKA.
Das war mein Onkel. Er ist tot. Ich bin der einzige Mandryka.
Somit verzeihen Sie, daß ich den Brief
zu öffnen mir gestattete. – Jetzt kommt's auf eines an:
Welko, das Bild!
WELKO
indem er eine Photographie überreicht.
Es ist in Ordnung, Gospodar.
Die schöne Fräulein mit dem Gesicht wohnt hier.
MANDRYKA
die Photographie in der Hand.
Herr Graf, Sie haben Ihrem werten Brief,
der cameradschaftlich an meinen Onkel gerichtet war,
Sie haben dieses Damenbildnis beigelegt.
WALDNER
leicht hinsehend, ganz ohne Wichtigkeit.
Ah ja! die Photographie meiner Tochter Arabella!
MANDRYKA
mit merklicher Aufregung, aber ohne die Haltung zu verlieren.
Die gnädige Tochter ist unvermählt –?
WALDNER
nickt.
Noch unvermählt.
MANDRYKA.
– und derzeit nicht verlobt?
WALDNER.
Derzeit noch nicht.
[534]MANDRYKA
sehr ernst, beinahe feierlich.
Dann bitte ich um ein Gespräch von fünf Minuten.
Welko rückt schnell zwei Fauteuils einander gegenüber, zieht sich dann zurück.
Waldner und Mandryka setzen sich. Eine kleine Pause der Verlegenheit bei Mandryka, der Spannung bei Waldner.
MANDRYKA.
Darf ich so unbeschieden sein und eine Frage stellen?
WALDNER.
Du bist der Neffe – und Erbe meines teuren Cameraden.
Verfüge über mich!
MANDRYKA.
Ich danke sehr –
Er überlegt einen Moment.
Als in dem Brief an meinen seligen Onkel
Das reizende Porträt des Fräulein Tochter
hineingeschlossen wurde,
darf ich annehmen, daß da eine Absicht
im Spiele war? – Ich bitte um Vergebung.
WALDNER
vorsichtig.
Mein Gott, ich hab mir halt gedacht ich mach dem Alten damit ein Spaß!
MANDRYKA
sehr aufmerksam, bestrebt, jedes Wort Waldners nach seinem vollen Gewicht zu erfassen.
Dem Onkel einen Spaß? – Wenn aber das die Folge wär gewesen:
daß mein Herr Onkel, der ein ganzer Mann war
und in den besten Jahren,
sich hätte in die Schönheit des Porträts verliebt
und wär getreten hier vor Ihnen, hochgeborner Herr,
so als ein offenherziger Edelmann vor einen andern,
und hätt gesagt: »Wer das Gesicht gesehen hat
und tritt nicht als Bewerber auf
verdient nicht, daß ihn Gott auf dieser Erde leben läßt:
So gib das Mädel mir zur Frau und Herrin!«
Was wäre dann gewesen? Gesetzt den Fall, er hätte so gesagt!
[535]WALDNER.
Dann hätten wir uns in einer unerwarteten Situation befunden.
MANDRYKA
steht auf, sehr aufgeregt aber beherrscht.
Der Onkel ist dahin. Heut bin ich der Mandryka, niemand sonst.
Mein sind die Wälder, meine sind die Dörfer.
Viertausend Untertanen beten daß ich glücklich sei –
Und ich, mit aufgehobenen Händen bitte ich:
Herr Vater, geben mir die gnädige Tochter,
Geben mir sie zur Frau, die jetzt seit vierzehn Wochen
Jeden Gedanken hier in dieser Brust regiert.
WALDNER
schweigt vor Staunen.
MANDRYKA
sehr ernst.
Ich bin Witwer. Wird sich da die gnädige Tochter schrecken?
Meine Maria war zu gut für mich!
Zwei Jahre nur ist sie bei mir geblieben.
Waldner bittet ihn durch Gebärden, sich wieder zu setzen.
Ihr Zögern ist kein Todesurteil? Nein?
Waldner schüttelt den Kopf.
Ich darf sie sehn?
Waldner nickt.
Bedenken: dieser Brief kommt an, und in der gleichen Stunde
Nimmt mich die alte Bärin in die Arme
Und drückt mir vier von meinen Rippen ein.
Zwölf Wochen bin ich so im Bett gelegen –
Vor meinen Augen dieses Bild – und ein Gedanken immer stärker
Bis er die Seele mir herausgezogen hat!
Ganz naiv, ohne alle Prahlerei.
Kommen meine Verwalter: Was ists mit unserm Herrn?
Kommen die von den Meierhöfen: Was ists mit unserm Herrn?
Kommen die von den Fohlenhöfen: Freut unsern Herrn kein Pferd mehr?
Kommen meine Förster: Freut unsern Herrn kein Jagen?
[536] Ich geb ihnen keine Antwort. Welko! Ruf ich,
Hol mir den Juden, na! Wie heißt der Jud in Sissek,
Der meinen Wald will kaufen? dort den Eichwald!
Schnell her mit ihm, und er soll Geld mitbringen
denn morgen fahr ich in dem Kaiser seine Hauptstadt
da kostet Geld ein jeder Atemzug
und Hindernisse darfs nicht geben auf der Brautfahrt!
Er zieht ein großes, aber elegantes Portefeuille hervor; es enthält, lose hineingelegt, einen dicken Pack Tausendguldennoten.
Das ist der Wald. –
Es war ein schöner Wald: Einsiedler waren drin,
Zigeuner waren drin und alte Hirschen
und Kohlenmeiler haben viele drin geraucht –
Hat sich alles in die paar Fetzen Papier verwandelt!
Aber es stehen Eichenwälder genug noch auf meinem Boden
für Kinder und für Enkel – Gott erhalte! –
Verzeih'n um Gotteswillen daß ich da von solchen Sachen rede!
Ist ganz, ich weiß nicht wie, gescheh'n!
Er will das Portefeuille einstecken.
WALDNER
hindert ihn daran durch eine unwillkürliche Bewegung.
Oho! ich find es ungeheuer interessant!
Wenn man bedenkt: ein Wald – Einsiedler waren drin
Zigeuner waren drin und alte Hirschen
und auf eins zwei – ein solches Portefeuille!
Ich hab seit vielen Jahren so was nicht gesehn!
Er starrt fasciniert auf das Portefeuille.
MANDRYKA
hält ihm's hin, sehr leicht und liebenswürdig.
Darf ich vielleicht? brauchst du vielleicht?
so für den Augenblick? Du tust mir eine Gnad!
Teschek, bedien dich!
WALDNER
nach kurzem Zögern, nimmt eine Tausendguldennote.
Mein Bankier ist nur verreist!
Ich geb es dir heut abend spätestens zurück!
MANDRYKA
hält das Portefeuille nochmals hin, sehr herzlich.
Nicht mehr? Ich bitte vielmals! Aber doch!
Teschek, bedien dich!
[537] Waldner nimmt eine zweite Note und steckt sie mit nonchalance zu der ersten in die Westentasche.
Mandryka läßt das Portefeuille in seine Brusttasche gleiten. Eine leichte Pause der Verlegenheit.
MANDRYKA.
Und wann wird's dir genehm sein
mich deiner Gräfin vorzustellen –
und dann der gnädgen Tochter?
WALDNER.
Sie sind gleich da im Nebenzimmer.
MANDRYKA
steht auf, wirklich erschrocken.
WALDNER
steht gleichfalls auf.
Willst du sie sehn? Ich ruf' –
ich stell dich vor.
MANDRYKA.
Jetzt? so? Ich bitte: nein! auf keinen Fall!
WALDNER.
So schüchtern war der Onkel nicht!
MANDRYKA
sehr ernst.
Das ist ein Fall von anderer Art.
Es handelt sich für mich um etwas Heiliges.
WALDNER.
Ganz wie du willst.
MANDRYKA
in verändertem Ton.
Ich werde mich hier im Hause einlogieren
und den Befehl abwarten deiner Gräfin
wann ich mich präsentieren darf am Nachmittag
oder am Abend – oder wann es wird belieben.
Verneigt sich, Waldner reicht ihm die Hand und begleitet ihn dann zur Tür.
WALDNER
allein.
Hab ich geträumt? Dahier ist er gesessen
der Neffe vom Mandryka.
So was passiert einem doch nicht!
Er zieht den einen zerknitterten Tausender hervor, dann den zweiten, glättet beide, steckt sie in seine völlig leere Brieftasche.
Hab ich geträumt? Nein! ich hab nicht geträumt!
Er nimmt den einen Tausender wieder heraus, dreht daraus, ganz [538] gedankenlos, eine kleine Papiertüte und behält sie in der Hand. Mit leichtem Ausdruck, Mandrykas Ton kopierend, ziemlich laut.
Teschek, bedien dich!
ZIMMERKELLNER
eintretend.
Ist hier gerufen?
Er gewahrt den Tausender in Waldners Hand und verändert sofort den Ton.
Haben mich befohlen?
WALDNER
vor sich, leise, zart.
Teschek, bedien dich!
ZIMMERKELLNER.
Befehlen diesen Tausender zu wechseln?
WALDNER.
Später vielleicht. Jetzt nicht.
ZIMMERKELLNER
geht ab.
WALDNER
vor sich hin, mit Grazie.
Teschek, bedien dich!
Fast schmelzend zärtlich.
Teschek, bedien dich!
Majestätisch.
Teschek, bedien dich!
Er nimmt Mantel, Hut und Stock.
ZDENKA
aus der Tür rechts heraus.
Hast du gerufen, Papa?
WALDNER
mit turbulentem Jubel.
Teschek, bedien dich!
ZDENKA.
Mit wem spricht er? Ist dir etwas geschehn, Papa?
WALDNER
jetzt erst bemerkend, daß er nicht allein ist.
Gar nichts. Ich geh jetzt aus. Ich werd erwartet.
Brauchst du vielleicht?
Er winkt ihr mit dem Tausender, den er in der Hand behalten hat.
Ich werd mir wechseln lassen.
Adieu.
Ab durch die Mitteltür.
ZDENKA
allein.
Papa! Er ist schon fort.
[539] So hab ich ihn noch nie gesehn.
Die Sorgen haben ihn um den Verstand gebracht!
Wir müssen fort aus dieser Stadt – schon morgen
und den Matteo seh ich heut vielleicht zum letzten Mal –
O Gott im Himmel steh mir armem Mädel bei!
Matteo schnell und verstohlen zur Mitteltür herein.
Zdenka erschrickt.
MATTEO.
Er hat mich nicht gesehn. Ich hab mich seitwärts in die Tür gedrückt.
ZDENKA
deutet auf die Tür links rückwärts.
Pst! sie ist da!
Horcht.
Sie ruft mich!
MATTEO.
Kann ich sie nicht sehn?
ZDENKA.
Jetzt nicht! Ich bitte dich! Jetzt nicht!
MATTEO.
Hast du den Brief?
ZDENKA.
Den Brief? Ja! Nein! Sie will jetzt nicht.
Sie sagt, sie will ihn dir – heut abend – komm auf den Fiakerball –
und vorher sei zuhaus –
hier im Hotel – vielleicht bring ich ihn dir
ins Zimmer – oder du bekommst ihn dort!
MATTEO.
Du laßt mich nicht im Stich? Ich hab dein Wort!
Zdenka, ängstlich, deutet auf die Tür links.
Matteo schnell ab.
Arabella tritt aus der Tür links, in einem andern Kleid, einem Mantel, einem andern Hut.
Zdenka steht verwirrt und verlegen da.
Man hört die Schlittenglocken.
ARABELLA.
Bist du nicht fertig! Ja, was
hast du denn gemacht die ganze
Zeit? So zieh dich endlich an!
Die Rappen sind schon voller Ungeduld.
[540]ZDENKA.
Die Rappen – und dein Elemer vielleicht noch mehr!
Läuft ins Nebenzimmer rechts.
ARABELLA.
Mein Elemer! – Das hat so einen sonderbaren Klang ...
Sie setzt sich.
Er mein – ich sein. Was ist denn das,
mir ist ja, wie wenn eine Angst mich überfiele –
und eine Sehnsucht ... ja, nach was denn auf der Welt?
Nach dem Matteo?
Sie steht auf.
Weil er immer sagt,
er kann nicht leben ohne mich, und mich so anschaut
mit Augen wie ein Kind?
Sie horcht in sich hinein.
Nach dem Matteo sehnt sich nichts in mir!
Ein Zögern, dann ausbrechend.
Ich möchte meinen fremden Mann noch einmal sehn!
Ich möchte einmal seine Stimme hören! –
Dann wäre er wie die Anderen für mich. –
Wie sagt die Zdenka: daß wir warten müssen bis uns einer wählt,
und sonst sind wir verloren. Es ist Zeit
daß sie in Mädelkleider kommt, die Kleine,
sie hat so sonderbare Blicke. Wenn ich dann verheirat't bin
muß sie zu mir. Verheirat't mit dem Elemer?
Sie schaudert unwillkürlich.
Was rührt mich denn so an, als trät ich einem übers Grab?
Ist das der fremde Mann mit dem ich nie ein Wort geredet hab
zieht der im Dunkel so an mir?
Herr Gott, er ist ja sicher ein verheirateter Mann
und ich soll und ich werd ihn nicht mehr wiedersehn!
Und heut ist Faschingdienstag und am Abend ist mein Ball
– Von dem bin ich die Königin – und dann ...
ZDENKA
tritt heraus, in einem kurzen Pelz, einen Zylinder in der Hand.
So ich bin fertig.
[541]ARABELLA.
Komm!
Zdenka öffnet ihr die Tür. Arabella geht hinaus. Zdenka setzt den Zylinder auf und folgt ihr. Die Schlittenglocken tönen herauf.
Vorhang.