An Gott

Du Gott der Langmuth, gehe nicht ins Gericht
Mit deinem Knechte! Niedergestürzt in Staub,
Bekenn ich, mit zerknirschtem Herzen,
Meine begangenen Jugendfehle,
Und flehe Gnade! Taumelnd vom süßen Wahn
Der Erdenfreude, schwankt ich von Tand zu Tand,
Und liebte dich, und meinen Heiland
Nicht mit der vorigen Feuerinbrunst.
Ein buntes Blümchen, das der Verwelkung wuchs,
War meine Gottheit! Zürne des Jünglings nicht,
Der Opferschalen deines Altars
Einer verwelkenden Blume weihte!
Ach, heißres Feuers, liebt ich ein sterblich Weib
Als meinen Mittler, der mich entsündigte,
Vergaß des Himmels und der Hölle,
Träumte mir irdische Seligkeiten.
Im Beichtstuhl selber, donnere nicht so laut
Du innrer Richter! wann mir die Segenshand
Des Priesters auf der Scheitel ruhte,
Brannte das Mädchen mir tief im Marke.
An deinem Tische, Bluter auf Golgatha,
War Laura meiner Seele Gefühl und Wunsch,
Und Sehnsuchtsthränen, ihr geweinet,
Träufelten über den Kelch des Bundes.
Du Gott der Langmuth, gehe nicht ins Gericht
Mit deinem Knechte! Dir ist des Sünders Tod
Nicht Wohlgefallen! Nie verschloß sich
Reuigen Thränen dein Herz, o Vater!
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Notes
Entstanden 1772. Erstdruck in: Musenalmanach 1775, Göttingen (J.C. Dieterich).
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Hölty, Ludwig Christoph Heinrich. An Gott. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-7DBE-9