Die Maynacht

Wenn der silberne Mond durch die Gesträuche blickt,
Und sein schlummerndes Licht über den Rasen geußt,
Und die Nachtigall flötet,
Wandl' ich traurig von Busch zu Busch.
Selig preis' ich dich dann, flötende Nachtigall,
Weil dein Weibchen mit dir wohnet in einem Nest,
Ihrem singenden Gatten
Tausend trauliche Küße giebt.
Überschattet von Laub, girret ein Taubenpaar
Sein Entzücken mir vor; aber ich wende mich,
Suche dunkle Gesträuche,
Und die einsame Thräne rinnt.
Wann, o lächelndes Bild, welches wie Morgenroth
Durch die Seele mir strahlt, find' ich auf Erden dich?
Und die einsame Thräne
Bebt mir heißer die Wang herab!
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Notes
Entstanden 1774. Erstdruck in: Musenalmanach 1775, Göttingen (J.C. Dieterich).
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Hölty, Ludwig Christoph Heinrich. Die Maynacht. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-7DC9-F