Emanuel Geibel

[129] Und eine Krone ist gefallen von dem Haupte eines Königs!

Und ein Schwert ist gebrochen in der Hand eines Feldherrn! Und ein hoher Priester ist gestorben!

Ludwig Börne

[130] 1.

Dir ward das Köstlichste verliehen
In dieser Tage Sturm und Drang:
Ein Sinn für ewge Harmonieen
Und eine Seele voll Gesang.
Dem Jüngling lauscht, es lauscht dem Greise
Das deutsche Volk allüberall,
Und lieblich klingt die süsse Weise:
Dein Herz ist seine Nachtigall!
Denn wer verstand wie Du das Wesen
Der deutschen Sehnsucht und ihr Leid?
Zu ihrem Herold auserlesen,
Warst Du das Echo Deiner Zeit!
In dämmerschwülen Tagen sangst Du
Dein: Wache auf! dem deutschen Reich
Und nach dem Sieg von Sedan schlangst Du
Das Oelblatt in den Lorbeerzweig.
[131]
Doch nicht der Zeit nur und ihr Wüthen
Hat Dir das Harfenspiel bewegt,
Die duftigsten der Liederblüthen
Dein eignes Herz hat sie gehegt.
Doch was es immer auch erfahren,
Stets blieb Dir heilig Deine Kunst,
Und eingedenk des Ewig-Wahren,
Verschmähtest Du des Pöbels Gunst!
Dem Herrn befahlst Du Deine Wege
Und übtest fromm Dein frommes Amt,
Dem Lenz gleich, der das Dorngehege
Mit rothen Rosen überflammt.
Denn alles, was mit seiner Schöne
Das Herz erquickt in Wald und Flur,
Du gabst ihm Worte, gabst ihm Töne,
Ein Hoherpriester der Natur!
Und jetzt in einer Zeit der Gährung,
Der schon das Blut zu Eis gerinnt,
Weil sie in eitler Selbstverklärung
Den Thurmbau Babels neu beginnt:
Wer schickt sie aus, die Friedenstaube,
Wer bricht das Brot und trinkt den Wein?
Du bist es, Du, Du und Dein Glaube,
Dein Glaube an ein Gottessein!
[132]
Wohl tanzt noch immer die Verblendung
Wie ehmals um das goldne Kalb,
Doch naht die Zeit schon der Vollendung
Und weichen wird von uns der Alp.
Denn nicht umsonst hast Du gerungen,
Wie Du gekämpft, hast Du gesiegt:
Von Sphärenharmonie umklungen,
Ein Aar, der in die Sonne fliegt.
Schon steht die Kunst nicht mehr am Pranger,
Schon winkt aufs Neu ihr Bahn auf Bahn,
Und unsre Zeit sieht zukunftsschwanger
Das kommende Jahrhundert nahn.
Drin werden tausend Blüthen blinken
In neuer Glorie neuem Schein,
Und mag die Frucht auch andern winken,
Die Saat, die goldne Saat ist Dein!
O alte Zeit, o altes Lieben,
Euch schleift kein Stahl, kein Diamant!
Was so vor Jahren ich geschrieben,
Heut nahm ich's wiederum zur Hand.
Und wieder sprang mit jedem Schlage
Mein Herzblut an zu schnellerm Lauf,
Und eingedenk verschollner Tage,
Schlug ich die Juniuslieder auf.
[133]
Ferndraussen schwebte durch die Lüfte,
Der erste Sonntag im April,
Durchs Zimmer flog's wie Veilchendüfte
Und heimlich war's und kirchenstill.
Vom Thurm nur läuteten die Glocken
Den Winter in sein Wittwerbett,
Und frühverwehte Blüthenflocken
Warf mir der Lenz aufs Fensterbrett.
Ich aber sass und las sie wieder –
O Gott, mir war das Herz so schwer!
Ich las die alten, goldnen Lieder:
Das Heimweh und die Nacht am Meer.
Im Mondschein schritt ich weltvergessen
Hinunter und hinauf den Strand,
Und sacht umrauschten die Cypressen
Das Inselmeer von Griechenland.
Des Südens Sterne sah ich scheinen,
Doch fühlt ich nicht des Südens Lust,
Der Liebe langverhaltnes Weinen
Rang schluchzend sich aus meiner Brust.
Als müsst es wonnig sich verbluten,
Vor Sehnsucht ward das Herz mir weit,
Und durch mein Sinnen liess ich fluthen
Das Heimweh nach der Ewigkeit.
[134]
Und wieder dacht ich dann begeistert
Des Sängers, der dies Lied einst sang,
Der eine Welt mit ihm bemeistert
Und Zeit und Raum mit ihm bezwang.
Sass er jetzt auch in sich versunken,
Ein Liederbuch auf seinen Knien,
Und lauschte lenz- und wohllauttrunken
Dem Glockenspiel von St. Marien?
Er, der Brunhilde, die Walkyre,
Aus Island rief an unsern Rhein ...
Da horch, ein Klopfen an der Thüre
Und laut erschallte mein Herein!
Und eilvoll trat zu mir ins Zimmer
Mein Freund, der mir die Rechte bot;
Schon seines Auges feuchter Schimmer
Sprach, eh's sein Mund sprach: Er ist todt!
Er starb, noch eh die Morgenröthe,
Eh sich die Nacht ins Auge sahn;
Mit Uhland, Schiller und mit Goethe
Wallt nun auch Geibel seine Bahn.
Die Stirn vom Lorbeer sanft umfächelt,
Mit seinem Herrn ist er vereint;
Sein bleiches Antlitz liegt und lächelt,
Die ewge Liebe aber weint. –
[135]
O wehmuthweiche Trauerkunde,
Wie schlugst du schmerzlich an mein Ohr;
Mir war's, als ob ich jäh zur Stunde
Ein Stück von meinem Selbst verlor!
Der Tod, der bleiche Allvernichter,
Blies mir ins Herz die Melodie:
O, nun ist todt der letzte Dichter
Und mit ihm auch die Poesie!
Kein armes Wörtchen könnt ich stammeln,
Ein Schauer war's, der mich beschlich,
Erst mählich wusst ich mich zu sammeln,
Der Bann, der mich umfangen, wich.
Der Muse Flügel hört ich schlagen
Und all mein Wesen war entflammt:
Halt ein, rief ich, mein Freund, mit Klagen,
Nun feiern wir sein Todtenamt!
Und sacht hiess ich ihn niedersitzen,
Ich aber wandte mich geschwind,
Der blanken Lederbände Blitzen
Zog magisch mich ans Bücherspind.
Durchs Fenster fielen Sonnenstäubchen
Und bauten einen goldnen Steig
Und draussen wiegte sich ein Täubchen
Auf windbewegtem Fliederzweig.
[136]
Ich aber las schnell längs den Brettern
Die bunten Titel Band für Band,
Bis endlich mit vergilbten Lettern
Ich ein verstaubtes Büchlein fand.
Gepresst lag eine Schlehdornblüthe
Drin als ein Pfand verjährter Lust;
Ich schlug es auf, mein Antlitz glühte,
Und klangvoll brach's aus meiner Brust:
»Es ist ein hoher Baum gefallen,
Ein Baum im deutschen Dichterwald,
Ein Sänger schied, getreu vor allen,
Von denen deutsches Lied erschallt.
Wie stand mit seinem keuschen Psalter
Im jüngern Schwarm er stolz und schlicht;
Ein Meister und ein Held wie Walther
Und rein sein Schild, wie sein Gedicht!«
Ein gluthgeborstner Feuerofen,
In lohen Flammen stand mein Herz;
Rollt doch ein Klang durch diese Strophen,
Ein Klang wie von korinthisch Erz!
Und weiter, immer weiter las ich
Des todten Dichters eignes Lied;
Dass er's einst Uhland sang, vergass ich
Und wusste Eins nur noch: Er schied!
[137]
»Er schied, es bleibt sein Mund geschlossen
Im Wort so karg, im Lied so klar:
Der Mund, draus nie ein Wort geflossen,
Das seines Volks nicht würdig war
Er schied: doch waltet sein Gedächtniss
Unsterblich fruchtend um uns her,
Das ist an uns sein gross Vermächtniss:
So treu und deutsch zu sein, wie er!«
Ich schwieg, der Lenz hielt draussen Feier
Und unsre Herzen schlugen drein,
Und leuchtend über Wald und Weiher
Sein Goldnetz wob der Sonnenschein.
Verwehte Frühlingsdüfte kamen
Von fernher über Fluss und Ried,
Und wie ein feierliches Amen
Klang hoch im Blau ein Lerchenlied.
[138]

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Holz, Arno. Gedichte. Buch der Zeit. Emanuel Geibel. 1. [Dir ward das Köstlichste verliehen]. 1. [Dir ward das Köstlichste verliehen]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-82C6-1