Vier Jahreszeiten

Und wieder grünt' der schöne Mai,
O dreimal selige Zeit!
Wie flog die Schwalbe froh herbei!
Als ob ich mitgeflogen sei,
War mir das Herz so weit!
O linde Luft im fremden Land,
Auf Bergen und Gefild!
Wie reizend fand ich diesen Strand,
Allwo mein suchend Auge fand
Ihr leicht hinwandelnd Bild!
Ich sah des Sommers helle Glut
Empörtes Land durchziehn;
Sie stritten um das höchste Gut,
Geschlagen mußt das freiste Blut
Aus hundert Wunden fliehn.
Kaum hört ich in verliebter Ruh
Der schwülen Stürme Wehn;
Ich wandte mich den Blumen zu
Und sprach: »Vielleicht, mein Herz, wirst du
Ein andres Herz erstehn!«
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Die Traube schwoll so frisch und blank,
Und ich nahm beiderlei:
Mit ihrem Gruß den jungen Trank –
Und als die letzte Traube sank,
Da war der Traum vorbei.
Doch jene, die zur Sommerzeit
Der Freiheit nachgejagt,
Sie schwanden mit der Schwalbe weit,
Sie liegen im Friedhof eingeschneit,
Wo trüb der Nachtwind klagt.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Keller, Gottfried. Gedichte. Gesammelte Gedichte. Rhein- und Nachbarlieder. Vier Jahreszeiten. Vier Jahreszeiten. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-9972-4