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Willkommen, klare Sommernacht,
Die auf tautrunknen Fluren liegt!
Gegrüßt mir, hehre Sternenpracht,
Die spielend sich im Weltraum wiegt!
Das Urgebirge um mich her
Ist schweigend, wie ein Nachtgebet!
Weit hinter ihm hör ich das Meer
Im Geist, und wie die Brandung geht!
Ich höre einen Flötenton,
Den mir der Wind von Westen bringt,
Indes herauf im Osten schon
Die Ahnung leis vom Tage dringt.
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Ich sinne, wo in weiter Welt
Jetzt sterben mag ein Menschenkind?
Und ob vielleicht den Einzug hält
Ganz still ein lächelnd Heldenkind?
Doch wie nun auf dem Erdental
Ein absolutes Schweigen ruht:
Ich fühle mich so leicht zumal
Und wie die Welt so still und gut.
Der letzte leise Schmerz und Spott
Verschwindet aus des Herzens Grund;
Mir ist, als tät der alte Gott
Mir endlich seinen Namen kund!

Notes
Entstanden 1844. Erstdruck 1845.
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Keller, Gottfried. 5. [Willkommen, klare Sommernacht]. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-9983-D