[26] Sommer

1

Das ist doch eine üppige Zeit,
Wo alles so schweigend blüht und glüht
Und des Sommers stolze Herrlichkeit
Still durch die grünenden Lande zieht.
Das Himmelblau und der Sonnenschein,
Die zehren und trinken mich gänzlich auf!
Ich welke dahin in müßiger Pein,
In Rosen versiegt mein Lebenslauf!
Die Schnitter so stumm an der Arbeit stehn,
Nachdenklich und düster auf brennender Au!
Ich höre ein heimliches Dröhnen gehn
Rings in der Berge dämmerndem Blau.
Ich sehne mich nach Gewitternacht,
Nach Sturm und Regen und Donnerschlag!
Nach einer tüchtigen Freiheitsschlacht
Und einem entscheidenden Völkertag!

2

Mir ist: ich trag ein grünes Kleid
Von Sammet, und die weiche Hand
Von einer schweigsam stillen Maid
Streicht es mit ordnendem Verstand.
Wie sie so freundlich sich bemüht,
Trag ich die leichte Unruh gern,
[27]
Indes sie mir ins Auge sieht
Mit ihres Auges blauem Stern.
So deckt der weiche Buchenschlag
Gleich einem grünen Samtgewand,
So weit mein Auge reichen mag,
Das hügelübergoßne Land.
Und sachte streicht darüber hin
Mit linder Hand ein leiser West;
Der Himmel hoch mit stillem Glühn
Sein blaues Aug drauf ruhen läßt.
Uns beiden ist, dem Land und mir,
So innerlich, von Grund aus, wohl –
Doch schau, was schleicht im Feldweg hier,
Den Blick so scheu, die Wange hohl?
Ein Heimatloser sputet sich
Waldeinwärts durch den grünen Plan –
Das Menschenelend krabbelt mich
Wie eine schwarze Erdspinn' an.

3

Im Wald

1

Arm in Arm und Kron an Krone steht der Eichenwald verschlungen;
Heut hat er bei guter Laune mir sein altes Lied gesungen.
[28]
Fern am Rand fing eine junge Eiche an sich sacht zu wiegen,
Und dann ging es immer weiter an ein Sausen, an ein Biegen!
Kam es her in mächt'gem Zuge, schwoll es an zu breiten Wogen,
Hoch sich auf den Wipfeln wälzend kam die Sturmesflut gezogen.
Und nun sang und pfiff es graulich in den Kronen, in den Lüften,
Und dazwischen knarrt' und dröhnt' es unten in den Wurzelgrüften.
Manchmal schwang die höchste Eiche gellend ihren Schaft alleine,
Donnernder erscholl nur immer drauf der Chor vom ganzen Haine.
Einer wilden Meeresbrandung hat das schöne Spiel geglichen,
Alles Laub war, weißlich schimmernd, starr nach Süden hin gestrichen.
Also streicht die alte Geige Pan der Alte, laut und leise,
Unterrichtend seine Wälder in der alten Weltenweise.
In den sieben Tönen schweift er unerschöpflich auf und nieder,
In den sieben alten Tönen, die umfassen alle Lieder.
Und es lauschen still die jungen Dichter und die jungen Finken,
Kauernd in den dunklen Büschen sie die Melodien trinken.

[29] 4

2

Aber auch den Föhrenwald
Laß ich mir nicht schelten,
Wenn mein Jauchzen widerhallt
In dem sonnerhellten!
Heiter ist's und aufgeräumt
Und das Wehn der Föhren,
Wenn die Luft in ihnen träumt,
Angenehm zu hören.
Schlanken Königskindern gleich
Stehn sie licht im Bunde;
Jedes erbt sein Königreich
In dem grünen Grunde.
Aber oben eng verwebt,
Eine Bürgerkrone
Die Genossenschaft erhebt
Stolz zum Sonnenthrone!
Schmach und Gram umfängt sie nie,
Nimmer Lebensreue!
Schnell und feurig wachsen sie
In des Himmels Bläue.
Wenn ein Stamm im Sturme bricht,
Halten ihn die Brüder,
Und er sinkt zur Erden nicht –
Schwebend hängt er nieder!
[30]
In den Stämmen oft ein Laut
Hallet einsam wider;
Üppig, wie das Farrenkraut,
Wachsen mir die Lieder!
Wie ein Quell versiegt der Schmerz,
Schwindet jede Grille;
Großen Unfug treibt mein Herz
In der Föhrenstille.
Weihrauchwolken ein und aus
Durch die Räume wallen –
Bin ich in ein Gotteshaus
Etwa eingefallen?
Doch der Unsichtbare läßt
Lächelnd es geschehen,
Wenn mein wildes Kirchenfest
Ich hier will begehen.

5

Am Wasser

1

Hell im Silberschaume flimmernd
Zieht und singt des Baches Welle,
Goldengrün und tiefblau schimmernd
Küßt sie flüchtig die Libelle;
Und ein drittes kommt dazu,
Eine Blüte hergeschwommen:
Alle haben drauf im Nu
Heitern Abschied schon genommen!
[31]
Und die Esche beugt sich drüber,
Schaut in Ruh das holde Treiben,
Denkt: Ihr Lieben, zieht vorüber!
Ich will grünen hier und bleiben!
Und ich unterm Eschenbaum:
Was soll denn mit mir geschehen
In dem reizend leichten Traum?
Soll ich bleiben? Soll ich gehen? –

6

2

Ich liege beschaulich
An klingender Quelle
Und senke vertraulich
Den Blick in die Welle;
Ich such in den Schäumen,
Weiß selbst nicht, wonach?
Verschollenes Träumen
Wird in mir wach!
Da kommt es gefahren
Mit lächelndem Munde
Vorüber im klaren
Kristallenen Grunde
Das alte, vertraute,
Das Weltangesicht!
Sein Aug auf mich schaute
Mit tiefblauem Licht.
Wohin ist's geschwommen
Im Wellengewimmel?
Woher ist's gekommen?
[32]
Vom blauenden Himmel!
Denn als ich ins Weben
Der Luft hab gesehn,
Da sah ich noch eben
Es dort vergehn!
Ich seh es fast immer,
Wenn's windstill und heiter,
Und stets macht sein Schimmer
Die Brust mir dann weiter;
Doch wenn sein Begegnen
Die Seele bedarf,
Wird selbst es im Regnen
Mir deutlich und scharf!

7

3

Ein Fischlein steht im kühlen Grund,
Durchsichtig fließen die Wogen;
Und senkrecht ob ihm hat sein Rund
Ein schwebender Falk gezogen.
Der ist so klein und fern zu sehn,
Ein Punkt im blauen Dome;
Er sieht das Fischlein ruhig stehn,
Glänzend im tiefen Strome.
Und dieses auch hinwieder sieht
Ins Blaue durch seine Welle –
Ich glaube gar, die Sehnsucht zieht
Eins an des anderen Stelle!
[33]
Wenn man so frei, so kühl, so hoch
Wie ein Fisch oder Falk kann schweben,
Dann ist am End dies Sehnen noch
Der beste Teil am Leben!
Doch wer mit lahm gebognem Knie
Wie ein Wurm im Staub muß liegen,
Der zähme seine Phantasie,
Lern' schwimmen erst oder fliegen!

8

4

Ich sah eine junge Welle,
Die durch Alpenrosen floß
Und sich freudig mit der Quelle,
Lebensfroh, ins Tal ergoß;
Schien der Himmel drin versunken,
Und war doch so leicht und klar,
Und ich hab davon getrunken:
Wie so frisch und rein sie war!
Bin dann auf dem Meer gelegen,
Wo das Kreuz am Himmel steht;
Nicht konnt unser Schiff sich regen,
Windstill war's, kein Lüftlein weht'!
Ich schaut in die Wasser nieder,
In die Tiefen unverwandt
Und sah meine Welle wieder,
Aus den Bergen, wohlbekannt.
Von dem heißen Strahl durchzittert,
Ja, es war sie, deutlich, nah!
[34]
Doch versalzen und verbittert,
Still und mutlos lag sie da.

9

Regen-Sommer

Nasser Staub auf allen Wegen!
Jede Distel hängt voll Regen,
Und der Bach schreit wie ein Kind!
Nirgends blüht ein Regenbogen!
Ach, die Sonn ist weggezogen
Und der Himmel taub und blind!
Traurig ruhn des Waldes Lieder,
Alle Saat liegt siech danieder,
Fröstelnd schläft der Wachtel Brut.
Jahreshoffnung – fahler Schimmer!
Mit den Menschen steht's noch schlimmer:
Kalt und fühllos schleicht ihr Blut!
Hungrig Weib am Ackersteine
Mit dem Säugling, weine! weine
Trostlos, oder hoffnungsvoll:
Nicht im Feld und auf den Bäumen –
In den Herzen muß es keimen,
Wenn es besser werden soll!
Fleh zu Gott, der grüne Saaten
Und das Menschenherz beraten,
Bete heiß und immerdar,
Daß er, unsre Not zu wenden,
Licht und Wärme wolle senden
Und ein gutes Menschenjahr!

License
Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).
Link to license

Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Keller, Gottfried. Sommer. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-9AF7-1