Von Kindern

1

Ich sah jüngst einen Schwarm von schönen Knaben,
Gekoppelt und gespannt, wie ein Zug Pferde;
Sie wieherten und scharrten an der Erde
Und taten sonst, was Pferde an sich haben.
Und mehr noch; was sonst diesen ist Beschwerde,
Das schien die Buben köstlich zu erlaben;
Denn lustig sah ich durch die Gasse traben
Auf einen Peitschenknall die ganze Herde!
Das Leitseil war in eines Knirpses Händen,
Der, klein und schwach, nicht sparte seine Hiebe
Und launenhaft den Zug ließ gehn und wenden.
Mich kränkten minder diese Herrschertriebe
Als solchen Knechtsinns zeitiges Vollenden;
Es tat mir weh an meiner Kinderliebe.

2

Die Abendsonne lag am Bergeshang,
Ich stieg hinan, und auf den goldnen Wegen
Kam weinend mir ein zartes Kind entgegen,
Das, mein nicht achtend, schreiend abwärts sprang.
[299]
Ums Haupt war duftig ihm ein Schein gelegen
Von Abendgold, das durch die Löcklein drang.
Ich sah ihm nach, bis ich den Gramgesang
Des Kleinen nur noch hörte aus den Hägen.
Zuletzt verstummte er; denn freundlich Kosen
Hört ich den Schreihals liebevoll empfangen;
Dann tönt' empor der Jubelruf des Losen.
Ich aber bin vollends hinaufgegangen,
Wo oben bleichten just die letzten Rosen,
Fern, wild und weh der Adler Rüfe klangen.

3

Man merkte, daß der Wein geraten war:
Der alte Bettler wankte aus dem Tor,
Die Wangen glühend wie ein Rosenflor,
Mutwillig flatterte sein Silberhaar.
Und vor und hinter ihm die Kinderschar
Umdrängte ihn, ein lauter Jubelchor;
Draus ragte schwank der Selige empor,
Sich vielfach spiegelnd in den Äuglein klar.
Am Morgen, als die Kinderlein noch schliefen,
Von jungen Träumen drollig angelacht,
Sah man den roten Wald von Silber triefen.
Es war ein Reif gefallen über Nacht;
Der Alte lag erfroren in dem tiefen
Gebüsch, vom Rausch im Himmel aufgewacht.

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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Keller, Gottfried. Von Kindern. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-9B1E-3