Panard und Galet 1

Zu Daumers Hafis

1

Sie kamen von der Tränke,
Sie wankten aus der Schenke
Mit einer Zecherschar,
Als es Karfreitag morgen
Und grabesstille war.
Von heißen Stirnen nicken
Und stäuben die Perücken,
Wie Wolke birgt den Blitz;
Die spitze Kling am Degen
Zuckt wie geschliffner Witz.
Sie taumelten und sangen,
Vom Mund wie Stöpsel sprangen
Die Verse, Schlag auf Schlag;
Da schrie Panard: »O fühlet
Den furchtbar großen Tag!
Das Universum trauert,
Die dunkle Sonne schauert,
Die Erde wankt und bebt,
Daß unter unsern Füßen
Der lose Boden schwebt!
[223]
Unsicher ist's zu stehen
Und ratsam nicht, zu gehen:
Kehrt um! zu unsrem Wirt!« –
Und alsbald kroch die Herde
Zurück zu ihrem Hirt.
Dort blieben sie verborgen
Bis an den dritten Morgen,
Tief und geheimnisvoll,
Bis durch die goldne Frühe
Die Osterglocke scholl.
Als die verjüngte Sonne
In Auferstehungswonne
Durchschritt des Frühlings Tor,
Da stiegen aus der Höhle
Weinselig sie hervor.

Fußnoten

1 Französische Poeten des 18. Jahrhunderts

2

Auf seinem Bette liegt Galet,
Weglachend seines Todes Weh.
Er schickt Panard den Morgengruß,
Sechs frische Lieder zum Genuß.
»Erst wollt ich reimen, liebes Kind!
So viele, als Apostel sind;
Doch hab ich's nur auf sechs gebracht,
Weil schon der Totengräber wacht,
Der Totengräber vor der Tür
Mit seinen Burschen lauscht herfür.
[224]
Der hackt, wie Blumen, kunterbunt
Die andern sechse in den Grund,
Daß zwischen Scholl und Totenbein
Sehn sie vergehn die Schwesterlein.
Doch die sind lieblich, meiner Treu!
Der letzte Reim ist süß und neu,
So voll und rein, wie Rhein und Wein –
Leb wohl! mich dünkt, nun muß es sein!«

3

Es klagt Panard: »Habt ihr gesehn
Die Stätte, wo Er ruht?
So könnt ihr meinen Schmerz verstehn
Und meines Zornes Glut.
Der keiner Quelle, noch so rein,
Beim größten Durst genaht,
Ihn, dem kein schnödes Wässerlein
Die Lippe je betrat,
Ihn haben sie nun hingelegt,
Wo graus vom Dach herab
Die Traufe ihm zu Häupten schlägt
Und tröpfelt auf das Grab!
Daß ich, wenn ich 'nen feur'gen Guß
Weihn möcht auf seinem Stein,
Hinweg voll Abscheu fliehen muß,
Zu schützen meinen Wein!
[225]
Ich selbst bin nun ein Wasserfaß,
Dran keine Daube schließt,
Da stets ein unglückselig Naß
Mir aus den Augen schießt.
Es regnet meiner Tränen Fluß
Wie toll zu jeder Stund,
Daß mit der Hand ich decken muß
Das Glas an meinem Mund.
Die süße Traube sank zur Ruh
Vom Stocke, der ich bin.
O Winzer Tod! nun schneide du
Mich selber bald dahin!«

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Keller, Gottfried. Panard und Galet. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-9C54-E