Schweizerisches

1. An mein Vaterland

O mein Heimatland! O mein Vaterland!
Wie so innig, feurig lieb ich dich!
Schönste Ros', wenn jede mir verblich,
Duftest noch auf meinem öden Strand!
Als ich arm, doch froh, fremdes Land durchstrich,
Königsglanz mit deinen Bergen maß,
Thronenflitter bald ob dir vergaß:
Wie war da der Bettler stolz auf dich!
Als ich fern dir war, o Helvetia!
Faßte manchmal mich ein tiefes Leid;
Doch wie kehrte schnell es sich in Freud,
Wenn ich einen deiner Söhne sah!
O du Schweizerland, all mein Gut und Hab!
Wann dereinst mein banges Stündlein kommt
– Ob ich Schwacher dir auch nichts gefrommt –,
Nicht versage mir ein stilles Grab!
Werfe ich von mir einst mein Staubgewand,
Beten will ich dann zu Gott dem Herrn:
»Lasse strahlen deinen schönsten Stern
Nieder auf mein irdisch Vaterland!«

[128] 2. Waldstätte

Es sind vier Länder gelegen
Um einen urtiefen See,
Die mir das Herze bewegen
Mit noch viel tieferem Weh!
Sie sind der Stolz gewesen,
Die Zierde vom Schweizerland;
Nun kehrt man kaum mit Besen
Hinaus die blutige Schand!
Sie nähren sich noch zur Stunde
Vom alten Ruhme mit List,
Der doch auf der Wasser Grunde
Schon lange versunken ist!
Noch leuchtet in der Sonnen
Der Berge silberner Dom –
Die Täler hat übersponnen
Die alte Spinne von Rom!
Da liegen sie, wie vier Leichen,
Von Alpenrosen umblüht,
Und über die Todesbleichen
Hohnlachend der Böse zieht.
Wer hebt mir die Edelsteine,
Die vier, aus dem Schlamm und Sand?
Wer setzt sie mit neuem Scheine
In die Krone dem Vaterland?

[129] 3. Jesuitenlied

Hussa! Hussa! die Hatz geht los!
Es kommt geritten klein und groß;
Das springt und purzelt gar behend,
Das kreischt und zetert ohne End –
Sie kommen, die Jesuiten!
Da reiten sie auf Schlängelein
Und hintennach auf Drach und Schwein;
Was das für muntre Bursche sind!
Wohl graut im Mutterleib dem Kind:
Sie kommen, die Jesuiten!
Huh! wie das krabbelt, kneipt und kriecht!
Und wie's so infernalisch riecht!
Jetzt fahre hin, du gute Ruh!
Geh, Grete, mach das Fenster zu!
Sie kommen, die Jesuiten!
Von Kreuz und Fahne angeführt,
Den Giftsack hinten aufgeschnürt,
Der Fanatismus als Profoß,
Die Dummheit folgt als Betteltroß:
So kommen die Jesuiten!
O Schweizerland, du schöne Braut,
Du bist dem Teufel angetraut!
Ja, weine nur, du armes Kind!
Vom Gotthard weht ein schlimmer Wind –
Sie kommen, die Jesuiten!

[130] 4. Pietistenwalzer

Nun stimmet die Harfen und salbet die Geigen
Und gebt euch die Händlein zum himmlischen Reigen,
Ein Weiblein, ein Männlein,
Ein Hühnlein, ein Hähnlein,
Je zwei und zwei, wie sich's am besten schickt
Und man sich am frömmsten zu Herzen drückt.
Sind alle da? Ei, so verschließet den Himmel,
Laßt draußen das sündige Pack und Gewimmel,
Verberget die Kniffe,
Die lüsternen Griffe,
Wir haben den Geist uns zu Fleische gemacht
Und feiern subtil die urewige Nacht!
Zu wecken die schlaffen, wollüstigen Gluten,
Bestreicht uns der Satan den Hintern mit Ruten;
Die heilige Völle
Durchwürze die Hölle!
Nun löschet die Lichter von ungefähr;
Das Töchterlein tanzt mit dem Missionär!
O süßliches Grunzen, o seliges Dunkel,
Begehrliches Suchen und tappend Gemunkel!
Mich fasset ein Schwindel!
Bacchantisch Gesindel!
O heilige, himmlische Windbeutelei –
Hinschmelz ich und sied ich im seligsten Brei!

[131] 5. Apostatenmarsch

Bum! Bum! Bim, bam, bum!
Schnürt den Sack und macht linksum!
Abgeweidet ist die Matte,
Spute dich, du Wanderratte!
Hungern ist kein Gaudium.
Dreht die Fahne, dämpft die Trommel:
Bum! Bum! Bim, bam, bum!
Sind wir nicht ein schöner Zug,
Galgenfroher Rabenflug?
Hinter uns die guten Tröpfe
Stehn und brechen sich die Köpfe
Ob dem lustigen Betrug.
Dreht die Fahne, dämpft die Trommel:
Bum! Bum! Bim, bam, bum!
Hohn und schriller Pfeifenklang
Folgen uns den Weg entlang;
Weiter, weiter in dem Kote!
Weiße, süße Gnadenbrote
Lohnen uns den sauren Gang.
Dreht die Fahne, dämpft die Trommel:
Bum! Bum! Bim, bam, bum!
Aus dem Busen reißt das Herz,
Werft es fluchend hinterwärts!
Fauler Schlamm, o kühle, spüle
Weg die heißen Hochgefühle!
Ei, es war nur Bubenscherz!
Dreht die Fahne, dämpft die Trommel:
Bum! Bum! Bim, bam, bum!
[132]
Nieder mit dem Jungfernkranz!
Ausgelöscht der Ehre Glanz!
Abgeleugnet jede Wahrheit!
Angespien der Sonne Klarheit!
In den Staub mit dem Popanz!
Dreht die Fahne, dämpft die Trommel:
Bum! Bum! Bim, bam, bum!
Tod am Strick – ein dummer Tod –
Schäme dich, Ischariot!
Du magst baumeln! Unsereiner
Schwimmt mit Würde stets als reiner
Goldfisch oben auf dem Kot.
Dreht die Fahne, dämpft die Trommel:
Bum! Bum! Bim, bam, bum!

6. Auf Martin Distelis Tod

Sie haben Ruh, die Kutten braun und schwarz,
Die Flattermäuse, Eulen, blauen Kröpfe,
Die Spieße, die Philister und die Zöpfe,
All das verbrannte, zähe Pech und Harz!
Er hat sie scharf gepeitscht und arg gegeißelt
Die faulen Bäuche und die krummen Rücken,
Er hat aus tausend giftgeschwollnen Mücken
Sich gar ein seltsam Monument gemeißelt!
Schaut her, ihr draußen, denen im Genick
Geharnischte Tyrannen tödlich lasten,
Schaut dies Gewimmel ohne Ruh und Rasten,
Den Bodensatz in einer Republik!
[133]
Solch einen Abschaum wohlgemut zu zeichnen,
Braucht es fürwahr ein gutes, starkes Herz!
Ihm lohnt es auch des Vaterlandes Schmerz,
Und seinen Namen wird es dankbar eignen!

7. Bei Robert Steigers Befreiung und Ankunft in Zürich

am 20. Juni 1845


Mit deinem Adelsbriefe wohl versehen,
Dem Todesurteil mit dem argen Riß,
Sehn wir dich jugendlich und stark erstehen
Aus deines Grabes kalter Finsternis.
Des Unglücks Feuertaufe auf dem Haupte,
Den letzten Kettenring noch an der Hand:
So schreitest du durch dieses jungbelaubte
Und doch so tief gebeugte Vaterland!
Und wo du gehst, da weckst du auf den Bergen
Die hellen Freudenfeuer ohne Zahl!
Doch hinter dir, da stehn die röm'schen Schergen,
Geblendet noch vom unverhofften Strahl:
Der Apostat, des Name nun zertreten
Im Staube an des Volkes Sohlen klebt,
Indes den deinen es mit lautem Beten
Und kindlich dankbar zu den Sternen hebt!
Es grüße dich das goldne Licht der Sonne,
Dich grüßt die Freiheit und das Vaterland!
Es grüßen dich mit heißem Schlag der Wonne
Viel tausend Herzen, freudig zugewandt!
Nimm hin in vollem Maß des Volkes Liebe
[134]
Und seinen Dank, den es den Helden zollt:
Der Männer Lärm und jubelndes Getriebe,
Des Weibes Träne, die im stillen rollt!
Nimm hin die Lieder und die Festgesänge!
Es lauscht ein heil'ger, starker Zorn darin!
Die bittre Klage in dem Lustgedränge,
Den Dorn, den diese Rose birgt, nimm hin!
Denn was dem müden Volk das Herz durchzittert,
Legt's heimlich in die Grüße mit hinein;
Ob's nun in Freude oder Leid gewittert:
Es wird nicht minder ein Gewitter sein!

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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Keller, Gottfried. Schweizerisches. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-9C64-A