[378] Aus einem Romane

1. Verlornes Recht, verlornes Glück

Recht im Glücke! goldnes Los,
Land und Leute machst du groß!
Glück im Rechte! fröhlich Blut,
Wer dich hat, der treibt es gut!
Recht im Unglück! herrlich Schaun,
Wie das Meer im Wettergraun!
Göttlich grollt's am Klippenrand,
Perlen wirft es auf den Sand!
Einen Seemann, grau von Jahren,
Sah ich auf den Wassern fahren,
War wie ein Medusenschild
Der erstarrten Unruh Bild.
Und er sang: »Vieltausendmal
Glitt ich in das Wellental,
Fuhr ich auf zur Wogenhöh,
Ruht ich auf der stillen See!
Und die Woge war mein Knecht,
Denn mein Kleinod war das Recht;
Gestern noch mit ihm ich schlief –
Ach, nun liegt's da unten tief!
In der dunklen Tiefe fern
Schimmert ein gefallner Stern;
Und schon ist's wie tausend Jahr,
Daß das Recht einst meines war.
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Wenn die See nun wieder tobt,
Keiner mehr den Meister lobt:
Hab ich Glück, verdien ich's nicht,
Glück wie Unglück mich zerbricht!«

2. In der Trauer

1

Klagt mich nicht an, daß ich vor Leid
Mein eigen Bild nur könne sehen!
Ich seh durch meinen grauen Flor
Fern euere Gestalten gehen.
Und durch den starken Wellenschlag
Der See, die gegen mich verschworen,
Geht mir von euerem Gesang,
Wenn auch gedämpft, kein Ton verloren.
Und wie die müde Danaide wohl,
Das Sieb gesenkt, neugierig um sich blicket,
So schau ich euch verwundert nach,
Besorgt, wie ihr euch fügt und schicket!

2

Ich kenne dich, o Unglück, ganz und gar
Und sehe jedes Glied an deiner Kette!
Du bist vernünftig, zum Bewundern klar,
Als ob ein Denker dich geordnet hätte!
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Nicht mehr noch weniger hat mir gebührt,
Mir ist gerecht die Schale zugemessen;
Und dennoch hab ich bittrer sie verspürt,
Als niemals ich getrunken noch gegessen.
Jetzt aber bring ich leichter sie zum Mund,
Als einst die müde Seele noch wird wissen;
Der quellenklare Perltrank ist gesund,
Ich lieb ihn drum mit dürstendem Gewissen!

3

Ein Meister bin ich worden,
Zu weben Gram und Leid;
Ich webe Tag und Nächte
Am schweren Trauerkleid.
Ich schlepp es auf der Straße
Mühselig und bestaubt;
Ich trag von spitzen Dornen
Ein Kränzlein auf dem Haupt
Die Sonne steht am Himmel,
Sie sieht es und sie lacht:
Was geht da für ein Zwerglein
In einer Königstracht?
Ich lege Kron und Mantel
Beschämt am Wege hin
Und muß nun ohne Trauer
Und ohne Freuden ziehn!

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TextGrid Repository (2012). Keller, Gottfried. Aus einem Romane. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-9EF7-5