[215] Der Tierbändiger

Des Tierbändigers Bude ist drückend voll,
Die Menge lauscht lautlos andächtig schier,
Da tritt zornig herein das Pantertier,
Und stattlich der Löwe und würdevoll,
Und mit grausigen Tönen dicht hinterdrein
Zwei schwarze Hyänen hinein in die Reih'n.
Des Bändigers Tochter von hoher Figur,
Von lieblich rundem und rosigem Gesicht
Von glänzend hellbraunem Augenlicht,
Das schwarze Köpfchen in Mannesfrisur,
Betritt grüßend den Kreis, im Miederchen nett,
Um schneeige Schultern und lächelt kokett.
Johanna, gewappnet mit bannendem Blick,
Sie schwingt sich hinauf auf den Leu,
Mit sanftem Mut und mit selt'ner Treu
Erträgt sie das königliche Genick,
Stolz kreuzt sie die Arme und lächelt dabei
Und die Menge lohnt ihr mit Bravogeschrei.
[216]
Die Jungfrau steigt ab und mit Heldenmut
Fährt in des Panthers Rachen ihr Arm,
Drin braust's gewaltig wie Bienenschwarm,
Und wilder tobt es in Heißhungers Glut,
Sie reicht ihm das Becken mit Blut gefüllt,
Und gierig, doch langsam den Durst er nun stillt.
Inzwischen sieht man die Königin der Wut
Gefräßig, schnaubend, spähen ringsum,
Das Mädchen bieget den Nacken krumm,
Und hinten hinauf steigt die wilde Brut;
Den Mörder am Halse, sie lächelt dabei,
Und die Menge lohnt ihr mit Bravogeschrei.
Die zweite Hyäne eilt nun hinan,
Die erste klettert rückwärts hinab,
Johanna beiden die Fütterung gab,
Ihr strahlender Blick, er hält sie im Bann.
Und dankend entflieht sie dem stürm'schen Applaus,
Der Bändiger führet die Tiere hinaus.
Hierauf tritt herein das gehörnte Pferd,
Das seltsam geformte, seltene Gnu
Und leicht hüpft herein das Känguruh.
Ein »Ach« des Staunens im Kreise man hört,
Denn des Känguruh's seitwärts laufender Sprung
Erregt die allgemeinste Bewunderung.
[217]
Der Bändiger führt nun auch Affen hinein,
Die Tiere ledig der keuschen Scham,
Die Menge es demütigend überkam
Beim Schattenbilde vom menschlichen Sein –
Die törichten Knaben nur jubeln dazu,
Der Bändiger benennet die Tiere im Nu.
»Ich sparte,« ruft laut er, »trotz niederem Preis,
Was am meisten die Augen ergötzt,
Das Allerschönste Euch auf, auf zuletzt; –
Johanna, getrocknet schon ist Dein Schweiß,
Wir zeigen nun endlich die zwanzig Fuß lange
Und hundert Pfund schwere Riesenschlange.«
Und siehe, man treibt aus dem Seitenstall
Hinaus ein schneeweißes junges Lamm,
Ach, zaghaft das Auge in Tränen ihm schwamm,
Doch vorwärts dröhnt ihm der Peitsche Geknall.
Das Lämmchen, das heute zum Tode bestimmt,
Die Unschuld zu retten, kein Mensch unternimmt.
Nun trägt man hinein die riesige List,
Mit Kraft und Schönheit herrlich geschmückt,
Und drohend und schlau sie rings um sich blickt,
Und aus der Menge ertönet ein lautes Pst!
Johanna daneben, sie lächelt dabei
Und zeigt ihrer Zähne hell glänzende Reih'.
[218]
Die prächtige Riesin, sie wendet sich um,
Raubgierig spähend und unheilsvoll,
Man sah, wie am Kopfe das Blut ihr schwoll,
Und windet sich um das Mädchen herum.
Die männliche Jungfrau, sie lächelt dabei,
Und die Menge lohnt ihr mit Bravogeschrei.
Nun holt sie das Lamm, das niedliche Tier,
Hält's geschickt vor ihr hin in der Hand,
Die Schlange blickt glühend unverwandt
Und zischend hascht sie darnach mit Begier,
Da zittert das Mädchen, das Antlitz entstellt,
Das Haar sich ihr sträubt, und das Lamm ihr entfällt.
Schnell will sie's erhaschen, den Kopf sie senkt,
Doch im Zug sich das Untier befand,
Ein Nu, ein Schrei, das Köpfchen verschwand,
Und die schöne Gestalt am Rachen hängt.
Noch hebt sich die Brust, noch zuckt es darin,
Und dem starren Vater läuft's wild durch den Sinn.
Er zieht ein Terzerol, er feuert es los
Rasch in den giftigen Schlund hinein,
Die Tochter will er vom Fraße befrei'n.
Und richtig er traf, denn richtig er schoß.
Es wälzt sich in schwärzlichen Strömen von Blut,
In schäumenden Geifer die furchtbare Brut.
[219]
Nun öffnet der Bändiger den riesigen Mund,
Sein stierer Blick sprüht funkelnden Glanz,
Johanna ist tot, doch sie ist ganz,
Nur rund um den Hals, da ist es wie wund.
Die grausame Schlange nahm langsam sich Zeit,
Fast schien es, als tät's um die Jungfrau ihr leid.
Der Bändiger blickt scheu im Kreise herum,
Da dringt kein einziger Laut an sein Ohr,
Die Menge sich fühllos längst verlor,
Und im Bretterzelt ist's entsetzlich stumm.
Der Mond durch die Spalten bescheinet darin
Den Tierbändiger zu Füßen der Tierbändigerin.

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TextGrid Repository (2012). Kempner, Friederike. Gedichte. Gedichte (Ausgabe 1903). Der Tierbändiger. Der Tierbändiger. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-A237-5