Nachtgesicht

An Johann Christian Günther


Ich bin mit dir gegangen
Durch Nebel, Nacht und Wind.
Die Tannenwälder sangen,
Die Wolken krochen wie Schlangen
Über den Himmel hin.
Plötzlich aus goldenem Rohre –
Eine Wolke wurde leck –
In mondgewebtem Flore
Entschwebte Leonore
Zu uns hernieder auf den Weg.
Wir gaben uns die Hände
Und tanzten und tanzten zu drein.
In unsrer Seelen Brände,
Dass er die Lust uns schände,
Zischte der Tod hinein.
Wir schwankten zu viert in die Schänke
Und soffen uns voll, dass es kracht.
Wir lagen über die Bänke,
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Der Tod erzählte Schwänke,
Wir haben uns krumm gelacht.
Er klapperte frech mit den Knochen,
Wir schmissen den Saufsack hinaus.
Er hat sich die Rippen zerbrochen ...
Leonore kam in die Wochen,
Wir beide ins Irrenhaus.
Da sitzen wir nun und staunen
Durch die Stäbe uns blind.
Wir haben Herrscherlaunen.
Wir fressen unsre Kaldaunen,
Weil wir hungrig sind.

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Klabund. Nachtgesicht. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-AD7C-4