[59] Der Kranz

Dank euch, Griechen, dass ihr, was der Verstand vereint,
Wie dem Freunde den Freund,
Wie dem Jüngling die Braut Liebe, gewaltsam trent;
Wenn mit siegendem Reitz
Eure Sprache, wie Thau, euch von der Lippe träuft!
Denn wer träte mit euch
In die stäubende Bahn, wo es am Ziele grünt,
Säumt' euch das nicht im Lauf.
»Blumen sinds, was umher wir in der Flur zerstreun!«
Besser flöchtet ihr sie
Gleich in Kränze; so letzt' all des Geruches Duft
Jeden athmenden Zug.
Denn wer mag in der Flur immer umher sich drehn,
Suchen, ob irgendwo noch
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Lieg' ein Blümchen, es dann lesen, und sorgsam reihn?
Lieber nimt man den Kranz.
»Aber der Rithmos gebot's!« Phöbus Gesang ist der
Dichtern, wenn er gehorcht;
Ist Sirenengesang, wenn er gebeut: und doch
Trankt ihr mit durstigem Ohr.
Durft' er hersehen selbst da, wo es das Leben galt,
Welches der Dichter erschaft?
»Ach er lockte so sanft!« Und den verlockten sank
Viel des Lebens dahin!

Notes
Entstanden 1782. Erstdruck in: Vossischer Musenalmanach für 1784, dort unter dem Titel »Die Wortstellung«.
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Klopstock, Friedrich Gottlieb. Der Kranz. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-B30A-D