[31] Die Verkennung

Du, der des Herschers Weg zur Unsterblichkeit
Mit scharfem Blick sah; aber der Weg' auch viel
Nicht sah, die führen durch die grosse,
Oft von Getäuschten verwünschte Irre:
Nicht sahst, dass Deutschlands Dichtkunst sich schnell erhob,
Aus fester Wurzel daurender Stamm, und weit
Der Äste Schatten warf! doch jetzo
Auch es entbehrtest, zum Wuchs den Hainbaum
Mit Thau zu frischen: Friedrich, dein Adlerblick
Wo war er, da sich regte des Geistes Kraft,
Muth, Flamme, alles, dem Belohner
Könige seyn, es nicht schaffen können?
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Seyd stolz, auch ihr saht, Dichter, wo durch die Irr'
Ein steiler Pfad ging. Ohne die Frischling, wuchs
Im Hain' es fort, und neue Sprosse
Säuselten, tauschten von Frühlingslüften.
Doch kont' auch Hörer deutsches Gesanges seyn,
Defs Ohre Zauber war der tüdeske Reim,
Durch den er jetzt des Thrones Launen
Scheuchte, und jetzo der Schlacht Gespenster?
Dein Lied nicht schützt dich vor der Vergessenheit;
Dein Schirm sind Thaten! Aber des Meisters Werk,
Nur das bleibt da, wie's ist: in Nebel
Hüllt die Geschichte die That des Meisters.
Mehr trübt der Nebel, wenn, was du thatest, du
Selbst redest; mehr noch, wenn du ihm Schimmer giebst:
Auch schafst du diesen nicht, durch kleiner
Blössen Enthüllung, zu Licht der Wahrheit.

Notes
Entstanden 1779. Erstdruck in: Klopstocks Werke, 2. Bd., Leipzig (Göschen) 1798.
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Klopstock, Friedrich Gottlieb. Die Verkennung. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-B33A-1