[273] Der Wein, und das Wasser

Weisst du auch, Gleim noch, wie, o undurstigster
Von allen Sängern, denen des Weines Lob
Sein Geist, und ihrer eingab, wie wir,
Ruhend auf Rosen, und Schmidt uns freuten?
Im kleinen Garten blühten nur sie; und bald
Stand auf dem Marmor blinkend der alte Rhein!
Dem Wirth' ein Wink; und alle Büsche
Wurden gepflückt, und der ganze Saal ward
Zu Röthe, ward durchströmet von süssem Duft:
Aus Rosen ragte halb nur die Flasch' hervor,
Und kaum der Becher. Wag' es, Gleim, nicht
Mir zu erzählen, wie froh wir sprachen!
[274]
Wie hell das Lied scholl! Weste verwehn, und selbst
Die Silberquell' ist eh wol versiegt. Was ging
Uns dieses an? Wenn sie auch wollte,
Konnte denn schweigen der Freuden frohste?
Drey waren unser, und der kristallenen
Gebäude zwey nur, eins nicht die Hälfte leer:
Und dennoch wallten wir, da hoch schon
Strahlte die Sonne, den späten Heimweg
Mit jenem Sönnchen, welchem der Biene Kunst
Den Docht beseelet, welches dem Büchersaal
Sonst nur die Nacht entscheucht, wenn Grübler
Endlich die durstige Feder tränken.
Bekränzt das Haupt mir, Blüthen des Rebenhains:
Ich trug die Kerze! Aber ach schnell erlosch
Die kleine Sonne! Welk', o Reben
Blüthe, nur weg; denn ich blies das Licht aus.
Weisst du auch, Gleim, noch, wie in den Kühlungen
Des hohen Ahorns, und in der Grotte Bach ...
O glückte mir's, dass ich des Wassers
Loh zu dem Lobe des Weines stimte.
[275]
Am Bache sassen wir in den Frischungen
Des Schattens. Wenig wurde der scheue Fuss
Zuerst gesenkt, bald ganz vertiefet,
Nun auch das Knie, und gewandert ward dann
Selbst in des Felsen Wölbung! Gehöhlet war
Die eingetauchte Hand, o wie schöpften wir!
Aus unsrer tiefen, vollen Urne
Rieselt' es nicht in des Freundes Locken.
Des Dorfes Mädchen brachten den Ährenkranz,
Durchschimmert von der Bläue der lieblichen
Kornblume. »Gebet, gebt! doch schmucker
Wäret ihr uns, wenn ihr Eimer brächtet!«
Schnell standen vor uns nicht danaïdische,
Geraume Eimer. Freude! die Wasserschlacht
Begann! Geschehn sind Thaten, derer
Jetzo noch Meldung des Pflügers Mund thut.
Da galt es Stärke, Kunst: Wer am weitesten,
Im höchsten Bogen träfe des Auges Stern!
Fehlgüsse Jachten wir, der Hofhund
Bellte sie, krähte der Henne Mann aus.
[276]
Hoch auf dem Hügel stand bey der Kirche Thurm
Der feiste Küster, äugelte keck nach uns
Durch's lange Rohr. Mit vollen Eimern
Schritten wir hin; doch er war entronnen.

Notizen
Entstanden 1796. Erstdruck in: Der neue Teutsche Merkur, 1797 III.
Lizenz
Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).
Link zur Lizenz

Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Klopstock, Friedrich Gottlieb. Der Wein, und das Wasser. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-B57A-3