39. Sagen vom Markgrafen Karl.

Mündlich aus der Gegend von Angermünde und Schwedt.

1. [Viele erzählen, das sei nicht Markgraf Hans, sondern Markgraf Karl]

1.

Viele erzählen, das sei nicht Markgraf Hans, sondern Markgraf Karl gewesen, der in Schwedt gehaust, und dieser habe die Schwester des alten Fritz zur Frau gehabt, die er aber schlecht behandelt und sogar einmal in die Oder gejagt habe, aus der sie nur noch mit genauer Noth von den Dragonern gerettet worden sei. Ueberhaupt, wird erzählt, sei der Markgraf ein toller Christ gewesen, denn so habe er zum Beispiel oft, wenn er ausgefahren, den Kutscher die Leine fortwerfen und immer [36] auf die Pferde losschlagen laßen, so daß es in rasendem Lauf über Stock und Stein gegangen und zuletzt alle, die im Wagen geseßen, nur herausgesprungen seien, um nicht mit Pferd und Wagen jämmerlich zerschellt zu werden. – Man sagt auch, bei ihm sei der General Seidlitz in seiner Jugend Page gewesen, der die Reiterei im Preußischen zuerst recht heraufgebracht hat; der hat immer die wildesten Hirsche, die im Wildpark gewesen sind, besteigen und auf ihnen unter den Flügeln einer klappernden Windmühle hinwegreiten müßen; davon ist er denn aber auch ein Reitergeneral geworden, wie es noch keinen zweiten auf der Welt gegeben hat.

2. [Eines Tages sagte Markgraf Karl (nach Andern war es Markgraf Hans)]

2.

Eines Tages sagte Markgraf Karl (nach Andern war es Markgraf Hans) seinem Kutscher, ob er thun wolle, was er ihm befehlen werde, und als der es versprach, sagte er ihm, er solle am andern Tage, wenn seine Frau ihre gewöhnliche Spazierfahrt mache, mit ihr zu dem Thore hinausfahren, welches sie ihm nennen werde, bei der Rückkehr aber solle er nicht zum Schloße, sondern mitten auf die Oderbrücke hinauf und von dort hinab in den Strom hineinfahren. – Andern Tages nun verlangte die Markgräfin vor's Berliner Thor zu fahren, und das that der Kutscher auch; als sie aber draußen waren, ging es ihm doch an's Herz und er erzählte ihr, was ihr Mann ihm befohlen. Da hieß sie ihn grades Weges nach Berlin zu ihrem Bruder fahren, aber so rasch als nur immer möglich. Unterdeß lag der Markgraf im Fenster und wartete, daß die Markgräfin angefahren käme; als sie aber immer noch nicht erschien, da merkte er wohl, was geschehen war, setzte sich eiligst zu Pferde und jagte ihr nach; allein sie hatte einen zu großen Vorsprung gewonnen und er kam erst eine halbe Stunde später als [37] sie beim alten Fritz an. Da wußte der nun schon alles, war gewaltig bös und sagte: »Du hättest das Jungfernküssen verdient oder gar lebendig eingemauert zu werden, allein das will ich dir diesmal noch schenken; doch deiner Frau bist du nicht werth, die bekommst du nicht zurück!« Und so ist es denn auch geschehen; die Markgräfin ist in Berlin geblieben und so auch der Kutscher, denn wäre der nach Schwedt zurückgekehrt, so würde der Markgraf es ihm wohl eingetränkt haben.

3. [Markgraf Karl (Hans) hat sich auch gern in Niederkränig aufgehalten]

3.

Markgraf Karl (Hans) hat sich auch gern in Niederkränig aufgehalten und hat sich darum dort einen großen Saal bauen laßen, der ist ringsum mit Glasfenstern umgeben gewesen, so daß er nicht allein das ganze Dorf, sondern auch die ganze Gegend hat mit einem Blick überschauen können. Dies Haus soll noch bis auf den heutigen Tag stehen und sich jetzt eine Gastwirthschaft darin befinden.

4. [Zuweilen hat auch Markgraf Karl (Hans) Hetzjagden für seine Bauern]

4.

Zuweilen hat auch Markgraf Karl (Hans) Hetzjagden für seine Bauern veranstaltet; dann hat er nämlich wilde Schweine einfangen und auf einen umzäunten Hof bringen laßen, die Bauern haben sich mit Hunden einstellen müßen und dann die Schweine zu Tode gehetzt; der Markgraf aber hat dabei im Fenster gelegen und so recht seine Freude daran gehabt.

5. [Eines Tages hat der Markgraf auch alle seine Bauern zusammenkommen]

5.

Eines Tages hat der Markgraf auch alle seine Bauern zusammenkommen laßen, und wie viele das waren, kann man daraus abnehmen, daß er neun und neunzig Güter hatte und das hundertste nur nicht nahm, um nicht ein [38] Regiment stellen zu müßen. Als nun alle zusammen waren, hat er ihnen verkündet, wer von ihnen seine Frau nackt, ohne ihren Kopf zu sehen, erkennen könne, der solle fortan sein Gut als freies Eigenthum besitzen. Darauf ließ er einen gewaltigen Strohhaufen errichten, und dahinein mußten nun die entkleideten Frauen der Bauern ihre Köpfe stecken, so daß man nur ihren Rücken sah. Da gingen die Bauern rathlos herum, aber keiner von ihnen erkannte sein Weib bis auf einen einzigen von allen; dessen Frau hatte nämlich auf einer der Backen, die man von hinten sieht, ein Mal und daran erkannte er sie sogleich, gab ihr einen Schlag darauf und sagte: »dat is mîne.« Da hat ihm der Markgraf sogleich sein Gut als freies Eigenthum gegeben, die andern aber hat er ausgelacht und gesagt, was sie für Kerls wären, daß sie nicht einmal ihre Frauen kennten, und hat sie mit Spott wieder heimgeschickt.

6. [Im Ganzen ist Markgraf Hans (Karl) ein leutseliger Herr gewesen]

6.

Im Ganzen ist Markgraf Hans (Karl) ein leutseliger Herr gewesen, der mit Bürger und Bauer freundlich sprach und umging; aber er hat auch dafür gefordert, daß man pünktlich seinen Willen erfülle, und in Niederkränig wißen sie noch viele Beispiele davon zu erzählen, wie er Bauern, die ihm nicht gehorcht, augenblicklich aus der Wirthschaft gejagt und einen anderen hineingesetzt habe. – Vor seinem Tode hat der Markgraf noch verordnet, daß die Schulzen seiner Markgrafschaft auf ewige Zeiten einen grünen Flausrock, grauen Hut und silbernes Brustschild zum Abzeichen ihrer Würde tragen sollten, und das geschieht heute noch.

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TextGrid Repository (2012). Kuhn, Adalbert. Märchen und Sagen. Norddeutsche Sagen, Märchen und Gebräuche. A. Sagen. 39. Sagen vom Markgrafen Karl. 39. Sagen vom Markgrafen Karl. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-BE01-D