221. Venetianer am Harz.

Mündlich.

1.

Am ganzen Harz weiß man viel von den Leuten aus Venedig zu erzählen, die alljährlich von dorther gekommen sind und sich dann immer nach bestimmten Punkten, die sie vorher genau angegeben, haben bringen laßen. Die Berge haben sich vor ihnen aufgethan und sie sind hineingegangen und reich beladen zurückgekehrt. Denen, welche ihnen als Führer gedient, haben sie meistens reichlich gelohnt, und ihnen oft gesagt, die Leute hier zu Lande wüßten gar nicht, was noch alles in den Bergen stecke, und der Stein, mit dem sie nach der Kuh würfen, sei mehr werth als die Kuh selber.

2.

Zu einem Manne im Thale sind auch mal Venediger gekommen, die haben ihm gesagt, er solle sie zu einem bestimmten Thale führen; das hat er gethan und als sie da angekommen sind, haben sie eine Hasel in die Höhe geklappt, unter der ist ein großer Gang zum Vorschein gekommen. Da sind sie nun hineingegangen und der Mann mit ihnen und sind endlich in einen großen Saal gekommen, in dem eine große große Mulde voll Goldkugeln gelegen hat. Da haben sie denn ihre Säcke aufgemacht und die vollgepackt; wie das aber der Mann gesehen, hat er wie von ungefähr sein Tuch in die Mulde [197] fallen laßen, hat sich danach gebückt und unter ihm gleichfalls eine der Kugeln herausgenommen, ohne daß es einer gesehen hätte. Sogleich ist aber ein großer schwarzer Hund, der dabei lag, aufgesprungen und hat den Mann zerreißen wollen; die Venediger aber haben ihn gleich wieder beruhigt. Darauf sind sie wieder hinausgegangen, und haben da dem Manne gesagt, er könne nun gehn, denn er habe seine Belohnung schon. Nachher, als sie fortgewesen, hat der Mann gern noch mal in den Berg gewollt, um mehr zu holen, und hat alle Haseln, die dastanden, aufzuklappen versucht, aber es hat sich keine wollen aufklappen laßen.

3.

Bei einem Manne in Grund sind auch alljährlich Leute aus Venedigen eingekehrt, die haben sich von ihm in die Berge führen laßen und hatten einen Spiegel mit sich, wenn sie in den schauten, konnten sie alles sehen, was im Berge war. Das wußte der Mann und nahm ihnen einmal in der Nacht heimlich ihren Spiegel fort, und da sah er denn, daß der Iberg bei Grund einen eisernen Kopf, einen silbernen Leib und einen goldenen Fuß hatte und der schwamm auf dem Waßer. Früh Morgens als die Venediger aufstanden, wußten sie schon, daß ihr Wirth ihnen den Spiegel fortgenommen hatte, und zwangen ihn sogleich, ihnen selben herauszugeben. Da sind sie denn fortgegangen und nie wiedergekommen und der Mann hat wieder arbeiten müßen, um sich sein kärgliches Brot zu verdienen, während er früher von den Venedigern soviel bekam, daß er vollauf zu leben hatte.

4.

Mal kamen Venediger zu einem Mann und fragten ihn, ob er die und die Klippe am Brocken wiße, und[198] als er es bejahte, hießen sie ihn, sie dorthin führen. Als sie nun auf der Klippe waren, schlug der eine mit einer eisernen Ruthe auf den Stein, da that sich die Klippe von einander und nun nahmen sie von dem Lehm, der darunter lag, und füllten ihre Ränzel damit und fragten den Mann, ob er auch etwas davon haben wolle; er aber sagte, davon hätte er zu Hause genug. Darauf zog der eine seine Flöte heraus und fing an zu blasen und da kamen aus allen Ecken der Klippe Schlangen hervor, und immer mehr kamen und immer mehr, sie aber sagten, es sei immer die rechte noch nicht. Endlich ganz zuletzt kam eine, die hatte eine Krone auf dem Kopf, und das, sagten sie, sei die rechte. Da fingen sie dieselbe und schlugen ihr den Kopf ab und einer von ihnen holte eine Pfanne heraus und darin wurde sie gebraten. Danach verzehrten sie dieselbe und fragten den Mann, ob er auch etwas davon wolle, er aber schlug es aus. Darauf pflückten sie ein Paar gelbe Blumen, die umherstanden, und gaben sie ihm und nun schlug der eine mit der eisernen Ruthe wieder auf die Klippe und da that sie sich wieder zu. Als der Mann nach Hause kam, waren die Blumen eitel Gold und da hat er denn gemerkt, daß das wohl auch kein gewöhnlicher Lehm gewesen sein möge, der unter der Klippe lag, und es hat ihn doch gereut, daß er nichts davon genommen.


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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Kuhn, Adalbert. 221. Venetianer am Harz. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-BF18-4