288. Muschwillensee.

Mündlich.

1.

Bei Resse, Amts Neustadt am Rübenberge, liegt im Moor der Muschwillensee, ein Waßerloch, etwa von der [255] Größe eines Bauerhauses, aber von unergründlicher Tiefe; in dem quillt das Waßer unaufhörlich auf und nieder, als koche und siede es fortwährend. Hier ist ein prächtiges Schloß untergegangen, in dem ein Amtmann gewohnt; der hat einen Streit gehabt und gesagt, wenn seine Angabe nicht wahr sei, so wolle er nur noch gewiße Schritte thun und dann sammt seinem Schloße untergehn, und so ist es denn auch gekommen, da er falsch geschworen; das Schloß ist versunken und steht noch bis auf den heutigen Tag da unten. Da kann man es noch zuweilen sehen, aber nur nach Sonnenuntergang, wenn der Himmel so recht hell ist und keine Wolken an demselben stehen.

2.

Ein Taucher (d ýpker), der gern wißen wollte, ob denn auch wirklich ein Schloß da unten stehe, ist einmal hinabgestiegen und hat, als er wieder heraufkam, erzählt, da unten stände wirklich ein herrliches Schloß und mitten in demselben befände sich ein Tisch, an welchem vier schwarze Männer mit großen Bärten säßen, die spielten Solo; unter dem Tisch aber läge ein großer schwarzer Hund an einer goldenen Kette. Nun wolle er noch einmal hinunter und versuchen, dem Hunde die goldene Kette zu nehmen; käme sein Schnupftuch herauf, so sei es ein Zeichen, daß es ihm gelungen, käme aber Blut, dann habe ihn der Hund zerrißen. Drauf ist er hinabgesprungen und nach wenigen Minuten ist Blut aus der Tiefe heraufgequollen und der Taucher nie wieder zum Vorschein gekommen.

3.

Ein Kuhhirt aus Wichendorf, deßen Heerde hier auf dem Moor ging, erhielt täglich sein Mittagessen von einem [256] bunten Stier, der aus dem See heraufstieg, und zwar brachte er's ihm in einem Topf, den er hinter den Machandelbaum, wo der Hirt Mittagsruhe zu halten pflegte, setzte, und legte ihm außerdem noch an jedem Sonntag ein reines Hemde hin. Einmal hat er aber einen andern bei der Heerde gelaßen, und als nun der Stier das Mittagbrot gebracht und er es verzehrt hatte, da ward jener so wollüstig, daß er den Topf verunreinigte, und seit der Zeit hat der Hirt weder Mittagbrot noch Hemden bekommen.

Dieser Stier mischte sich auch stets unter die Wichendorfer Kühe und belegte dieselben; als aber einmal eine Magd ihm aus Uebermuth mit dem Melkeimer auf den Hintern geschlagen, da hat er sich nicht wieder sehen laßen.


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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Kuhn, Adalbert. 288. Muschwillensee. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-BF30-C