189. Zwergsagen.

Mündlich.

1. Torke's Kind ist todt.

Bei Westerhausen liegen die Quergeshöhlen, in denen haben vor Alters die Querge gewohnt, die in der Gegend vielfach ihr Wesen getrieben haben. So fährt auch einmal ein Bauer von Halberstadt nach Börneke, welches etwa eine halbe Stunde von Westerhausen liegt, und als er hinter den Tekenberg kommt, ruft ihm einer [162] nach: »Kielkopf, sage doch Torke, er solle nach Hause kommen, sein Kind sei todt!« Da sieht er sich um, aber soviel er auch späht, er erblickt niemand, der es gerufen haben könnte. So fährt er denn nach Haus und als er da ankommt und sich zu Tisch setzt, geht's ihm doch immer noch im Kopf herum, daß ihm da einer nachgerufen und er niemand gesehen, und er erzählt drum seiner Frau: »Denke dir, als ich an den Tekenberg komme, ruft mir einer nach: Kielkopf, sage doch Torke, er solle nach Haus kommen, sein Kind sei todt!« Kaum hat er das gesagt, so ruft's in der Stube: »So? dann muß ich nur machen, daß ich hinkomme!« und indem hören sie einen Fall, da gehn sie hin und finden einen Beutel, der war mit Teig aus ihrem Backtrog gefüllt.

2.

Auch im Kuckuksberg bei Westerhausen und im Steinberg bei Börneke haben sich vor diesem viel Querge aufgehalten. Es sind kleine dickköpfige Leute gewesen mit einem schwarzen Gesicht und einem dreieckigen Hut auf dem Kopf, und sie haben den Menschen bald Gutes erwiesen, bald Böses gethan. Als aber der alte Fritz zur Regierung gekommen ist, hat er sie nicht länger in seinem Lande leiden wollen und hat sie übers schwarze Meer verwiesen; da sind sie denn alle ausgewandert und seit der Zeit hat man nichts mehr von ihnen gehört. Früher aber wußte man noch manches von ihnen zu erzählen. So fährt auch einmal ein Bauer beim Kuckuksberg vorbei, da ruft ihm einer nach: »Laß Wagen und Pferde stehn und lauf geschwind nach Haus und sage Kilian, er solle herkommen, sein Kind sei todt!« Das thut der Bauer und als er zu Hause ankommt und die Bestellung ausrichtet, da wirft's mit einem male den Brotteig aus der Luft herunter und sagt, sie sollten [163] künftig, wenn sie den Teig über Nacht stehn ließen, drei Kreuze drauf machen, dann könnten ihn die Zwerge nicht fortholen. Darum macht man noch bis heute drei Kreuze auf's Brot.

3.

Ein andrer Bauer arbeitet einmal auf dem Felde am Kuckuksberg, da ruft es: »bûr itt.« Denkt er, nun, was soll das heißen? geht hin zu seinem Kober und wie er da hineinsieht, ist er ganz leer. Da fängt er gewaltig an zu fluchen und schilt die Querge, daß sie ihm sein Eßen fortgenommen. Nach einer Weile ruft's wieder»bûr itt,« und als er nun wieder zu seinem Kober kommt, ist statt Brot und Käse, das er vorhin drin hatte, soviel Braten und andre Leckerbißen drin, daß er lange daran genug gehabt hat.

4.

Oft ist's auch geschehen, daß wenn die Bauern eine Hochzeit oder ein Kindtaufen gehabt haben, dann sind sie zu den Quergen gegangen und haben da Schüßeln und andres Geräth geborgt, das haben sie nachher mit Kuchen und anderen Hochzeitspeisen an den bestimmten Ort wieder hingesetzt. Ein Schäfer hat einmal solche Schüßeln gefunden, und da hat er sich darüber her gemacht, allen Kuchen und Braten aufgegeßen. Als er nun fertig war, hat er sich gar hingesetzt und hat die Schüßeln beschmutzt; aber das haben ihm die Querge gar übel genommen und beschloßen, ihn zu strafen. Als daher mal wieder eine Hochzeit in der Nähe war, kommt ein Querg zu demselben Schäfer und fragt ihn, ob er sich mal recht satt eßen und trinken wolle, dann solle er mit auf die Hochzeit kommen. Darauf geht er ein, der Querg setzt ihm eine Nebelkappe auf und nun gehn sie zur Hochzeit. Da [164] gab's volle Schüßeln, aber die waren kaum auf den Tisch gesetzt, so waren sie leer, und die Zwerge aßen den Leuten alles vor der Nase weg und die begriffen gar nicht, wie das zuging. Endlich als nun die letzte Schüßel kommt, sagt der Querg zum Schäfer, er solle sich nun auch hinsetzen und die Schüßel schänden, wie er es neulich gethan. Da setzt er sich hin, aber im Augenblick zieht ihm der Querg die Nebelkappe ab, und da sitzt er vor der ganzen Hochzeitgesellschaft auf dem Tisch. Da haben denn die Bauern so wacker auf ihn losgeschlagen, daß er kaum mit dem Leben davongekommen ist.

5.

Auf der Heinrichsburg unweit Gernrode soll in alter Zeit ein Zwergkönig mit zwölf Brüdern gewohnt haben, die gar berüchtigt im Lande wurden, denn sie fingen junge Mädchen auf den Straßen und führten sie dem König zu, der sie schändete.

6.

Auch bei Ilseburg am Weinberg haben ehedem Zwerge gewohnt, die haben den Leuten immer die Kinder und das Brot gestohlen, bis endlich einmal eine Frau am Backtrog über einen Zwerg gestolpert ist, wobei er seine Nebelkappe verlor und gefangen wurde. Da hat er ihr gesagt, sie solle künftig Kümmel in's Brod backen, dann könnten sie's nicht mehr fortragen.

Im übrigen sind sie den Leuten hülfreich gewesen und haben ihnen namentlich das Tenntüch (Schüßeln, Teller und Löffel) bei Hochzeiten und Kindtaufen geliehn. Man ist nur hinaufgegangen und hat gesagt, was man brauche, dann hat's dagestanden, und nachher hat man's wieder hingesetzt, jedoch von jeder Speise etwas zum [165] Danke darin gelaßen. Einer hat aber mal gedacht, was brauchen die Zwerge das, hat alles aufgegeßen und sich dann hingesetzt und die Schüßeln verunreinigt; seitdem sind sie verschwunden.

Auch bei Schwanebeck haben in dem Berge vor der Stadt Zwerge gewohnt, und ebenso bei Cremmlingen unweit Braunschweig. Die letzteren haben ihre Wohnungen am Spring in der Ellernkuhle gehabt, wo man sie häufig aus und eingehn sah.

7.

Oft ist's auch geschehen, daß die Zwerge Hochzeit oder ähnliche Feste hatten und da haben sie denn Kuchen gebacken; traf sichs dann grade, daß einer dazu kam und er war dreist genug sich etwas auszubitten, so fand er gewöhnlich nachher einen Kuchen in einer Furche auf dem Felde.

8.

In Leißnig an der Mulde lag einmal eine Frau Nachts im Bette, da öffnet sich die Thür und herein tritt ein kleines Männchen, kaum drei Spannen hoch, und kommt grade auf sie zu. Als er am Bett war, fragte er, ob sie heute hier ein Fest feiern könnten, und darüber war die Frau so erschrocken, daß sie nicht nein! sagen mochte und nur mit dem Kopfe nickte. Da ging das Männchen fort und bald darauf kam es wieder und hinter ihm eine unendliche Schaar, die hatten jeder, wie der Führer auch, ein Weiblein am Arm. Einige schleppten darauf mühsam kleine, ganz kleine Tische herbei, andre Stühle und Bänke und nun ward ein großes Mahl angerichtet. Nachdem sie sich lange vergnügt hatten, verließen sie das Zimmer in derselben Ordnung, wie sie gekommen waren, nur das Männchen, welches zuerst gekommen war, ging jetzt [166] zuletzt, und als die andern fort waren, drehte es sich um und sagte zur Frau: »Wir laßen dir hier zum Dank all unser Geräth zurück!« Darauf entfernte es sich gleichfalls. Die Frau schlief danach wieder ein und als sie am andern Morgen erwachte, wollte sie doch sehen, was die Zwerge für Geräth haben, und wie sie herzutrat, war alles von purem Golde.


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TextGrid Repository (2012). Kuhn, Adalbert. 189. Zwergsagen. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-BFB0-A