291. Zwergüberfahrt.

Mündlich.


Zu dem Kuhhirten in Barneize an der Aller kam mal des Abends jemand und sagte, er solle nach der [259] Aller hinunterkommen und überfahren. Der Kuhhirt folgte, und als sie an's Waßer kamen, stieg jener zuerst in den Kahn; als der Fährmann aber die Kette lösen und auch einsteigen will, heißt jener ihn noch warten und den Kahn an der Kette festhalten, er werde ihm schon sagen, wenn es Zeit sei, vom Lande zu stoßen. Da wartet nun der Kuhhirt noch eine ganze Weile und sieht keinen in den Kahn steigen, wohl aber merkt er, daß dieser immer tiefer und tiefer ins Waßer sinkt. Endlich sagt der andre, nun sei es gut, und sie fahren über. Als sie aber am andern Ufer ankommen, geht's wie bei der Abfahrt, er muß eine ganze Zeit bis zur Rückfahrt warten, und der andre fährt wieder mit zurück; als sie drüben ankommen, sagt er, er müße noch einmal überfahren, und dabei geht es grade so wie beim erstenmale. Bei dieser Ueberfahrt aber ist er nicht zurückgekehrt, sondern hat sich mit in die Höhle der Zwerge begeben, denn die hatte er übergefahren, und hat ihnen hier eine ihrer Nebelkappen abgenommen, die sie ihm nicht wieder nehmen konnten, weil sie nicht bis zu seinem Kopfe hinaufreichten. Da ist er denn mit ihnen nach Hagenbostel auf eine Hochzeit gegangen, und dort haben ihn die Leute auch nicht sehen können, weil er die Kappe aufgehabt. Bei Tische nun haben die Zwerge den Leuten alle Schüßeln ausgegeßen und dann als Bezahlung hineinhofirt; das hat der Kuhhirt auch thun wollen, aber wie er sich eben hinsetzt, reißen ihm die Zwerge die Kappe ab, die er ihnen genommen, und da war er plötzlich vor aller Augen sichtbar, bekam tüchtige Prügel und kam nur mit genauer Noth heil davon. Vorher hatten ihm die Zwerge aber gesagt, sein Fährgeld liege im Kahn, und er ging daher jetzt zurück zur Aller, um es zu holen und wieder nach Barneize zu fahren. Wie er aber an den Kahn kommt, ist kein Geld drin zu finden, wohl aber liegt [260] dabei ein todtes Pferd. »Das ist auch eine schöne Bezahlung,« denkt er; »indeß kannst du dir doch ein Stück für deinen Hund mitnehmen.« Und so schneidet er denn ein Stück heraus und legt es, als er zu Hause ankommt, unter den Balken am Dach. Als er's aber am andern Morgen wegnehmen will, liegt ein großer Klumpen Gold da; da läuft er rasch wieder nach dem Kahn, aber da ist nichts mehr zu finden, nur überall, wo von dem Stück Fleisch Blutstropfen auf dem Wege niedergefallen sind, hat noch Gold gelegen. – So erzählt man in Winsen; in Barneize aber erzählte einer, die Zwergüberfahrt hätte nicht hier, sondern bei Stöcken an der Leine stattgefunden. Der Fährmann hätte die ganze Nacht überfahren müßen, und als alle herüber gewesen, hätte der, welcher zuerst zu ihm gekommen und ihn geholt, ihm seinen Hut aufgesetzt, damit er doch auch sehe, wen er übergefahren; und nun hätte er gesehen, daß die ganze Marsche voller Zwerge gewesen. Als Bezahlung hätte er ihm zuletzt eine Pferdekeule in den Kahn geworfen, die sei am andern Tage Gold gewesen. – In Moorhausen bei Oldenburg endlich erzählte einer, die Ueberfahrt hätte auf der Hunte stattgefunden, und zwar sollen die Zwerge gesagt haben, sie müßten jetzt fort aus deutschen Landen, denn die Leute würden ihnen hier zu klug.

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TextGrid Repository (2012). Kuhn, Adalbert. Märchen und Sagen. Norddeutsche Sagen, Märchen und Gebräuche. A. Sagen. 291. Zwergüberfahrt. 291. Zwergüberfahrt. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-C554-E