297. Geist erlöst.

Mündlich aus Thören an der Aller.


In Ostenholz war einmal eine Frau, die haspelte für andre Zwirngarn und weil sie da mal zwei Knäuel von einer Frau für sich behalten, hat sie nach ihrem Tode umgehen müßen. Nun sagten die Leute immer, in dem Holze zwischen Ostenholz und Hohenbrelingen ist es nicht recht richtig, da läßt sich des Nachts ein weißer Spitzhund sehen, und wenn darum einer um diese Zeit dort entlang gehn mußte, so machte er, daß er hindurchkam. Mal ging nun auch einer des Nachts aus Ostenholz durch den Busch nach Brelingen zu, und wie er beinahe an dem Kreuzwege ist, sieht er, wie ein weißgekleidetes Frauenzimmer ihm entgegenkommt und auch auf den Kreuzweg zuläuft. Da denkt er, willst nur eilen, daß du hinüberkommst und mit ihr dort nicht zusammentriffst; als er aber dicht herankommt, sitzt die Frau bereits auf dem Kreuzwege. Da faßt er sich ein Herz, tritt an sie heran [265] und fragt, was sie hier sitze; da sagt sie denn, sie wolle ihm gern alles erzählen, aber er müße ihr auch versprechen, das zu thun, was sie von ihm verlange, denn wenn er es wolle, so könne er es erfüllen. Das versprach ihr der Mann und nun erzählte sie ihm, sie habe bei ihren Lebzeiten Zwirngarn für andre gesponnen und zwei Knäuel von einer Frau für sich behalten und deshalb habe sie nun keine Ruhe im Grabe und müße des Nachts hier umgehen. Darum solle er zu der Frau, die sie ihm bezeichnete, gehen und ihr zwei Knäuel Zwirngarn bringen, dann wäre sie erlöst. Der Mann versprach ihr nochmals, es zu thun, und sie verlangte nur noch, daß er ihr seine rechte Hand drauf geben solle. Das mochte er aber doch nicht und reichte ihr seinen Handstock hin, und als sie den losließ, waren ihre fünf Finger tief darin eingebrannt. Sogleich aber schwebte sie auf wie ein lichter Geist und der Mann hörte, wie sie das Lied: »Nun ruhen alle Wälder« anstimmte; darauf stieg sie immer höher und höher und der Gesang tönte immer schwächer und schwächer, bis er endlich ganz und gar verhallte. Der Mann aber brachte der ihm bezeichneten Frau die beiden Knäuel Garn und seit der Zeit hat sich nie wieder etwas in dem Holze sehen laßen; der Stock aber, in dem die fünf Finger eingebrannt sind, ist noch in Ostenholz zu sehen.

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TextGrid Repository (2012). Kuhn, Adalbert. Märchen und Sagen. Norddeutsche Sagen, Märchen und Gebräuche. A. Sagen. 297. Geist erlöst. 297. Geist erlöst. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-C5E0-3