197. Der Nickelmann.

Mündlich.

1.

Kinder dürfen nicht zu nah ans Wasser gehn, denn da unten sitzt der schwarze Nickelmann, der schnappt nach ihnen. Oben ist er wie ein Mensch gestaltet, unten aber wie ein Fisch und hat gar scharfe Zähne; denn er frißt gewöhnlich Fische, oft aber holt er sich auch Menschen hinunter, und in Thale mußten sie vor Zeiten alljährlich einen schwarzen Hahn in die Bode werfen, denn wenn sie's nicht thaten, so ertrank sicherlich im Jahre einer. Einmal hatten sie es unterlaßen und da ist auch gleich am andern Tage (es mußte nämlich immer zu bestimmter Frist geschehn) ein Mensch ertrunken. – Die kleinen schwarzen Kerls in Holzbüchsen, die hervorspringen, wenn man den Deckel aufmacht, nennt man in Ilseburg Nickelmännlein.

[172] 2.

Bei Westerhausen, anderthalb Meilen von Halberstadt, liegt ein tiefes Waßerloch, das heißt die Beck, da sitzt auch so ein Nickelmann drin, das ist ein gar schlimmer Gesell, denn er hätte fast einem Fischer einmal den Hals umgedreht. Der fischt nämlich in der Beck und stößt dabei mit einer langen Stange auf den Grund, wie das die Fischer thun, um die Fische ins Netz zu jagen, und mag sich wohl dabei nicht recht vorsehen, stößt dem Nickelmann eine Scheibe ein. Der ist im Augenblick oben mit dem zerschlagenen Fenster und sagt: »Fischer, ist meine Scheibe in einer halben Stunde nicht wieder heil, so drehe ich dir den Hals um.« Da ist der Fischer über Hals über Kopf davongerannt und hat ihm noch grade zu rechter Zeit sein Fenster heil wiedergebracht.

3.

Ein andermal sitzt die Hebemutter in Westerhausen Abends in der Stube, klopft's ans Fenster und ruft, sie solle herauskommen. Da geht sie hinaus, steht der Nick da, der heißt sie folgen. Drauf gehn sie bis zur Beck und da nimmt der Nick eine Ruthe, schlägt damit aufs Waßer, daß es sich breit von einander theilt und sie trocknen Fußes unten ankommen. Hier steht sie der Nickelfrau bei in ihrer schweren Stunde, und die sagt ihr zum Dank dafür, wenn sie der Nick frage, was sie für Lohn wolle, dann möge sie sich kein Geld, sondern etwas von dem Kehricht ausbitten. Drauf geht sie hin und bringt das Kind ins Bad; da hört sie, wie des Nickelmann's Kinder, denn es liefen ihrer dort schon fünfe umher, den Alten fragen: »sollen wir knicken, sollen wir knicken?« Der Alte aber verbietet es ihnen. Als die Hebemutter fertig ist, fragt der Nick: »Nun, was bekömmst du zum Lohn?« sie aber bittet, wie die Frau ihr geheißen, um [173] etwas von dem Kehricht hinter der Thür. »Das heißt dich Gott sprechen,« sagt der Nickelmann und gibt ihr, was sie begehrt. Drauf bringt er sie wieder hinauf und als sie heimkommt und den Kehricht beschauen will, ist er zu lauterem Golde geworden.

4.

Bei Hadmersleben waren einmal ein Paar Knaben hinausgegangen an die Bode, um Wurzeln, die das Waßer freigespült hatte, abzuhauen, damit sie Holz zur Feurung hätten. Wie sie dabei beschäftigt sind, taucht auf einmal die Waßernixe schnell wie der Blitz empor und setzt sich auf die Wiese ihnen gegenüber am andern Ufer und kämmt ihre schönen langen Haare; aber ebenso schnell, wie sie kam, ist sie auch wieder verschwunden. Die Knaben sind noch ganz verwundert über den Anblick und schicken sich an, eben wieder ans Werk zu gehn, da taucht plötzlich der Nickelmann empor und schnappt nach einem der Knaben und eh der andre noch schreien kann, ist er schon mit ihm hinunter in die Flut und das Waßer schlägt über ihnen wie ein Kreisel zusammen. Da läuft denn der andere schnell nach Hause und die Aeltern und gute Nachbarn kommen sogleich mit Stangen und Netzen, aber nirgend ist eine Spur mehr von dem Kinde, so daß sie endlich von fruchtlosem Suchen abstehn. Endlich am dritten Tage kam das Kind von selbst wieder zum Vorschein und, wunderbarer Weise! es war am ganzen Leibe tief kornblau.

5.

In Quedlinburg hat sich ehedem oft ein Nickelmann sehen laßen, der hat im übrigen ausgesehn wie ein Mensch, und nur das besondre war an ihm, daß er brandrothe Haare hatte. So hat man ihn oft in Quedlinburg auf [174] den Markt kommen sehn, wo er seine Einkäufe machte, und von dort hat er auch mal eine Kindermutter zu sich mit hinuntergenommen, seiner Frau beizustehn, und hat sie nachher reich beschenkt wieder heraufgebracht.

6.

Wenn der Nix sich zeigt, muß einer ertrinken. Das geschah auch einmal zu Leisnig an der Mulde; da waren mehrere Mädchen an der Stadtmauer, kommt plötzlich der Nix mit rothem Rock, weißem Kragen und einem Tragkorb auf dem Rücken an, der geht eine Strecke ins Waßer hinein, kehrt dann um und breitet Wäsche am Ufer aus; gleich darauf aber war er verschwunden, und noch am selben Tage ertrank einer.

7.

Drei Waßerjunfern sind auch mal in der Nähe von Leisnig bei einem Tanz erschienen und haben wacker mit getanzt. In allem sahen sie außen wie andre Menschen aus, nur ein Zipfel ihres Kleides war naß, daran konnte man sie erkennen.


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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Kuhn, Adalbert. 197. Der Nickelmann. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-C683-B