339. Die untergegangene Mühle.

Mündlich.


In der Ise befindet sich unweit Knesebeck an einer nach Wittingen gehörigen Wiese bei Vorhop eine Vertiefung (kolk), wo in alter Zeit eine Mühle gestanden haben soll, die untergegangen ist. Der Müller hatte nämlich einen Bund mit dem Teufel gemacht, daß er ihm eine goldene Wiege, die in der Nähe vergraben war, schaffen solle. Nun diente zu der Zeit auf der Mühle eine Magd, die hörte eines Tags, als des Müllers Zeit um war, eine Stimme, welche ihr zurief, sie solle ihr Bündel packen, denn nach wenigen Stunden werde die Mühle untergehen. Da raffte sie eilig alle ihre Habseligkeiten zusammen und ging davon; kaum aber war [300] sie auf dem Mönchenberge angekommen, so hörte sie einen gewaltigen Knall und großes Geschrei hinter sich und als sie sich umsah, war die Mühle mit allem, was darin war, verschwunden und über die Stelle, wo sie gestanden, floß die Ise fort.


Vgl. Märkische Sagen, Nr. 32, 33, zur goldenen Wiege noch Anm. zu Norddeutsche Sagen, Nr. 167; oben Nr. 153 b; Panzer, Beiträge, I, 363; Temme, Preußische Sagen, Nr. 250; Wolf, Zeitschrift, II, 89, 109; Harrys, I, Nr. 7; C.u. Th. Colshorn, S. 116. Diese Sagen ergeben folgende hauptsächlichste Züge:


Am oldenburger Wall liegt eine goldene Wiege u.s.w.; da geht auch eine verwünschte Prinzessin umher; bei Bohnert an der Schlei hat eine Königsburg gelegen, auf dem Burgplatz hat man zu Zeiten eine goldene Wiege gesehen; Müllenhoff, Nr. 470; eine herausgegrabene goldene Wiege sind die Pferde nicht im Stande von der Stelle zu bringen; ebendas. Als man die goldene Wiege in Lauenberg haben wollte, ritt ein Reiter auf dreibeinigem Pferd immer um die Arbeiter herum, ebendas. Nr. 277, wo auch noch eine andere goldene Wiege bei Pöggendorf erwähnt wird. Als man die bei Wadekath vergrabene Wiege ausgraben will, erscheint der bei solchen Gelegenheiten gewöhnliche Spuk; Märkische Sagen, Nr. 32. In der Stuenenburg, in deren Nähe sich der Frauenstuhl findet, ist, ehe sie zerstört wurde, von dem Ritter eine goldene Wiege vergraben worden; oben Nr. 153 b. In der Isenburg wohnte ein Raubritter, jetzt ist sie verschwunden, es soll aber außer andern Schätzen auch eine goldene Wiege dort vergraben sein; des Grafen Tochter läßt sich weißgekleidet da sehen; Woeste in Wolf, Zeitschrift, II, 89. Im Heiligengeistbusch bei Einbeck hat ein schönes Schloß gestanden, welches versunken ist. Außer einer goldenen Tafel ist auch eine goldene Wiege da, und zu Zeiten hört man auch Glockengeläut aus der Tiefe; Schambach in Wolf's Zeitschrift, II, 109; dort wohnte eine heilige Jungfrau, die das Gehölz dem Heiligengeisthospital zu Einbeck geschenkt. Sie trägt ein schneeweißes Kleid und ein Schlüßelbund, läßt sich alle sieben Jahre sehen und sonnt dort ihr Geld; Schambach u. Müller, Nr. 117, 1. Nach einer andern Ueberlieferung sind es drei weiße Jungfrauen, die sich dort sehen laßen; ebend. Nr. 3. Zu Schildturn, wo die drei heiligen Jungfrauen Ainbeth, Barbeth, Willbeth [301] verehrt werden, erlangen unfruchtbare Eheleute Kinder und gebärende Frauen glückliche Entbindung, wenn sie die dortige silberne Wiege in Bewegung setzen. Vor Aufhebung der Klöster ward eine silberne Wiege in der Kirche, jetzt wird in der Sakristei eine versilberte aufbewahrt; Panzer, I, Nr. 87, und S. 362-363. Auf dem Golm bei Baruth, wo am Johannis-und Marientage Märkte abgehalten wurden, soll sich eine silberne Wiege befinden; Märkische Sagen, Nr. 90. Im Weinberge bei Hitzacker haben die Zwerge eine goldene Wiege zurückgelaßen, welche in der Johannisnacht zwischen 12-1 Uhr am Berge zu sehen ist; auf der Wiege liegt ein schwarzer Hund mit feurigen Augen; Harrys, I, 23. Im Schalksberg haben die Zwerge eine goldene Wiege zurückgelaßen, welche eine Sau einst auswühlen wird; Colshorn, Märchen und Sagen, S. 116. Wir haben demnach hier fast alle Unterweltskennzeichen beisammen, die versunkene Burg, die weißen Frauen, den Räuber, die Zwerge, den Hund, die Sau, das Glockengeläut aus der Tiefe und das Aufsteigen um Mittsommer, sodaß kein Zweifel sein kann, daß die goldene Wiege in den Anschauungen von der Unterwelt einst eine bedeutsame Rolle spielte. Der aus Panzer oben mitgetheilte Gebrauch zeigt, daß die Wiege mit den drei Jungfrauen in engste Beziehung gesetzt wurde; Panzer führt zur Vergleichung auch die von Schwangern angerufene Diana an, derSchweineopfer fielen; Horaz, III, 22. Noch näher zu unsern Sagen stellt sich aber der Διόνυσος λικνίτης, der Dionysos in der Wiege, in der Getreideschwinge, der in die Unterwelt hinabgestiegen wiedergeboren wird und als Neugeborener im λίκνον liegt; Preller, Griech. Mythologie, I, 427, 432, 442. Daher die Sitte, die Getreideschwinge, das Symbol des Demetersegens, als Wiege zu gebrauchen, oder den Wiegen eine solche Gestalt zu geben, wie es beim Kallimachus vom Jupiter heißt (Hymn. in Jov., 48), daß ihn Adrastea in goldener Wiege in Schlummer bringe; Preller, I, 477. Wenn bei unsern Zwergen und weißen Frauen statt der goldenen Wiege mehrmals eine Wanne oder Mulde vorkommt, so werden beide auch bei uns identisch sein: Ein Zwerg worfelt Gold, als wenn es Getreide wäre, in einer Mulde, vgl. oben Nr. 270; eine weiße Jungfrau erscheint zu ihrer Erlösung mit drei Schweinsköpfen und einer Mulde voll Gold; Schambach u. Müller, Nr. 118, 1; eine weiße Frau, die in silbernem Handkessel Wasser holt, breitet Geld in großen, aus Laub geflochtenen Wannen aus; Rochholz, I, 143; Schatzgräber finden eine Wanne mit Geld; ebend., S. 145.[302] – Welcher Gott bei uns in der Wiege ruhend gedacht wurde, wird weitere Untersuchung herausstellen; am nächsten liegt, an das zu Nr. 274 besprochene schreiende Kind zu denken, wobei Beachtung verdient, daß die finnischen Runen vom Feuer erzählen, welches im Himmel in einer goldenen Wiege von einer Jungfrau geschaukelt wird; Kalevala, rune 26; vgl. Weinhold, Loki, S. 19. In den Veden erscheint Agni, das Feuer des Blitzes, ebenfalls oft als Kind, welches die himmlischen Frauen, die Wasser der Wolken, hegen und pflegen.

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TextGrid Repository (2012). Kuhn, Adalbert. Märchen und Sagen. Sagen, Gebräuche und Märchen aus Westfalen. Erster Theil. Sagen. 339. Die untergegangene Mühle. 339. Die untergegangene Mühle. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-D1F8-0