246. Die Kapelle zu Drüchelte.

Etwa auf dem halben Wege zwischen Arnsberg und Soest liegt ein kleiner, aus drei Höfen bestehender Weiler, Namens Drüchelte; in diesem befindet sich eine kleine achteckige Kapelle von ungemein zierlicher Bauart, wie man sie an diesem Orte am wenigsten zu treffen erwartet; das in eine kleine Kuppel endende Gewölbe wird von zwölf Säulen getragen, die von verschiedener Stärke sind; am umfangreichsten sind die vier die Kuppel tragenden Säulen, von denen die zwei nach Nord und Süd stehenden wieder die andern übertreffen, die jene vier umstehenden acht Säulen sind sehr dünn und zierlich. Nur an einigen Säulencapitälen finden sich Sculpturen, unter ihnen an einer drei Köpfe, an einer andern vier Rosetten. Nach der Sage ist diese Kapelle ehemals ein heidnischer Tempel gewesen; die Leute in Drüchelte erzählen auch, daß die Sonne durch eine der äußerst [217] schmalen Lichtöffnungen am Johannistage gerade beim Aufgange ihre ersten Strahlen werfe.


Ich habe die Kapelle noch vor dem Erscheinen von Wolf's Beiträgen gesehen und leider auf die Sculpturen nicht schärfer geachtet; vielleicht finden sich noch an der Außenseite eingemauerte Bilder; die von Wolf (a.a.O., I, 106 fg.) über die kuppinger und belsener Kirchen mitgetheilten Nachrichten über den Bau derselben stimmen darin überein, daß auch jene von den Sonnenstrahlen zu bestimmter Zeit getroffen werden, in der belsener Kirche sogar durch künstliche Einrichtung des Fensters an den Tag- und Nachtgleichen bei Sonnenaufgang ein Kreuz gebildet wird; Meier, Schwäbische Sagen, Nr. 335. Eine gleiche Bauart soll auch der Tempel der Morgenröthe zu Jüterbog gehabt haben, sodaß die Sonne zur Nachtgleiche durch das eine, mit einem starken Gitter verwahrte Fenster hineinschien; Märkische Sagen, Nr. 87. Mit dieser Bauart stimmt es wol, wenn erzählt wird, Zeus Soter habe ein Heiligthum gehabt, das gegen Morgen geöffnet gewesen sei; Pausanias, VIII, 30, 10. – Nach dem mir schriftlich mitgetheilten Urtheil eines Kunstverständigen ist die Kapelle wahrscheinlich ein Baptisterium aus der Zeit der großen Sachsenbekehrung, wenigstens erinnere der Stil an den Münster zu Aachen; mag es sich damit wie auch immer verhalten, der eigenthümliche Bau scheint jedenfalls auf eine Mitwirkung heidnischer Ideen bei demselben zu deuten, und es wäre daher wohl zu wünschen, daß die Kapelle in dieser Beziehung einer genauern Prüfung unterworfen würde.


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TextGrid Repository (2012). Kuhn, Adalbert. 246. Die Kapelle zu Drüchelte. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-D5B2-0