Das Gespenst

Dies war einmal ein Edelhaus,
Nun ist es trauriglich zerfallen,
Es schneit und regnet in die Hallen,
Nur Rauher gehn dort ein und aus.
Der Sohn einst mit dem Vater stritt,
Wer auf der Jagd die Ent erschossen;
Da ist des Alten Blut geflossen,
Der wilde Sohn zum Teufel ritt.
Weib, Knecht und Dirne flohn den Ort,
Hat keins das Blut nur aufgescheuert;
Nun heißts: bei Nacht auf Enten feuert
Des Alten Geist durchs Fenster dort.
Ein Räuber spukt im Haus umher,
Den toten alten Grafen spielend,
Im weißen Hemd, auf Enten zielend,
Durchs Fenster feuernd sein Gewehr.
Der Hirte sieht im Mondschein hell
Von fern das Hemd des Geistes flattern,
Hört in der Luft die Enten schnattern,
Den Schuß – und kriecht ins Lämmerfell.
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Er staunte jüngst in dunkler Nacht,
Wie Lichter im Gemäuer brannten,
Den wirren Lärm von Musikanten
Der Heidewind ihm zugebracht.
Hei! lustig klangs im alten Nest
Von Schmaus und Saus, Zigeunergeigen;
Die Räuber tanzen tollen Reigen,
Der Hauptmann hält sein Hochzeitsfest,
Doch leuchtet nicht am Firmament
Dem Räubersmann und seinem Schatze
Der Brautnacht Mond, des Pfaffen Glatze;
Die Lust vereint, der Scherge trennt.
Den Hirten lockt es Schritt um Schritt,
Er spürt beherzt in diesen Tönen
Das warme Blut von Erdensöhnen;
Er trinkt und tanzt und jubelt mit.
Des alten Edelmannes Geist
Spielt nun der Hirte gern vor allen,
Er läßt die Entenflinte knallen,
Sein weites Hemd im Monde gleißt.
Der Alte übte Raub und Trutz
Im Dickicht finstrer Adelsbräuche,
Nun dient er als Pandurenscheuche
Den Räubern noch zu gutem Nutz.

Notes
Entstanden 1841/42. Erstdruck 1851.
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Lenau, Nikolaus. Das Gespenst. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-DE67-E