Jakob Michael Reinhold Lenz
Die Soldaten
Ein Schauspiel

[182]

Personen

Personen.

    • Wesener, ein Galanteriehändler in Lille.

    • Frau Wesener, seine Frau.

    • Mariane,
    • Charlotte, ihre Töchter.

    • Stolzius, Tuchhändler in Armentières.

    • Seine Mutter.

    • Jungfer Zipfersaat.

    • Desportes, ein Edelmann aus dem französischen Hennegau, in französischen Diensten.

    • Der Graf von Spannheim, sein Obrister.

    • Pirzel, ein Hauptmann.

    • Eisenhardt, Feldprediger.

    • Haudy,
    • Rammler,
    • Mary, Offiziers.

    • Die Gräfin de la Roche.

    • Ihr Sohn.

    • Frau Bischof.

    • Ihre Cousine und andere.

1. Akt

1. Szene
Erste Szene
In Lille.
Mariane. Charlotte.

MARIANE
mit untergestütztem Kopf einen Brief schreibend.
Schwester weißt du nicht, wie schreibt man Madam, Ma, ma, tamm, tamm, me, me.
CHARLOTTE
sitzt und spinnt.
So 'st recht.
MARIANE.

Hör ich will dir vorlesen, ob's so angeht wie ich schreibe: »Meine liebe Matamm! Wir sein gottlob glücklich in Lille arriviert«, ist's so recht: arriviert, ar ar, riew wiert?

CHARLOTTE.
So 'st recht.
MARIANE.

»Wir wissen nicht, womit die Gütigkeit nur verdient haben, womit uns überschüttet, wünschte nur im Stand zu sein« – ist so recht?

CHARLOTTE.
So lies doch bis der Verstand aus ist.
MARIANE.

»Ihro alle die Politessen und Höflichkeit wieder zu erstatten. Weil aber es noch nicht in unsern Kräften steht, als bitten um fernere Condinuation.«

CHARLOTTE.
Bitten wir um fernere.
MARIANE.
Laß doch sein, was fällst du mir in die Rede.
CHARLOTTE.
Wir bitten um fernere Condinuation.
MARIANE.
Ei was redst du doch, der Papa schreibt ja auch so.

Macht alles geschwind wieder zu und will den Brief versiegeln.
CHARLOTTE.
Nu, so les Sie doch aus.
MARIANE.

Das übrige geht dich nichts an. Sie will allesfort klüger sein als der Papa, letzthin sagte der Papa auch es wäre nicht höflich wenn man immer »wir« schriebe und »ich« und so dergleichen. Siegelt zu. Da Steffen Gibt ihm Geld. tragt den Brief auf die Post.

[183]
CHARLOTTE.
Sie wollt mir den Schluß nicht vorlesen, gewiß hat Sie da was Schönes vor den Herrn Stolzius.
MARIANE.
Das geht dich nichts an.
CHARLOTTE.

Nu seht doch, bin ich denn schon schalu darüber gewesen? Ich hätt ja eben so gut schreiben können als du, aber ich hab dir das Vergnügen nicht berauben wollen, deine Hand zur Schau zu stellen.

MARIANE.

Hör Lotte laß mich zufrieden mit dem Stolzius ich sag dir's, oder ich geh gleich herunter und klag's dem Papa.

CHARLOTTE.

Denk doch, was mach ich mir daraus, er weiß ja doch daß du verliebt in ihn bist und daß du's nur nicht leiden kannst, wenn ein andrer ihn nur mit Namen nennt.

MARIANE.
Lotte! Fängt an zu weinen und läuft herunter.
2. Szene
Zweite Szene
In Armentières.
Stolzius und seine Mutter.

STOLZIUS
mit verbundenem Kopf.
Mir ist nicht wohl Mutter.
MUTTER
steht eine Weile und sieht ihn an.

Nu, ich glaube Ihm steckt das verzweifelte Mädel im Kopf, darum tut er Ihm so weh. Seit sie weggereist ist hat Er keine vergnügte Stunde mehr.

STOLZIUS.
Aus Ernst Mutter, mir ist nicht recht.
MUTTER.
Nu, wenn du mir gute Worte gibst, so will ich dir das Herz wohl leichter machen.

Zieht einen Brief heraus.
STOLZIUS
springt auf.
Sie hat Euch geschrieben –
MUTTER.

Da, kannst du's lesen. Stolzius reißt ihn ihr aus der Hand und verschlingt den Brief mit den Augen. [184] Aber hör, der Obrist will das Tuch ausgemessen haben für die Regimenter.

STOLZIUS.
Laßt mich den Brief beantworten Mutter.
MUTTER.
Hanns Narr ich rede vom Tuch, das der Obrist' bestellt hat für die Regimenter. Kommt denn –
3. Szene
Dritte Szene
In Lille.
Mariane. Desportes.

DESPORTES.
Was machen Sie denn da meine göttliche Mademoiselle?
MARIANE
die ein Buch weiß Papier vor sich liegen hat, auf dem sie krützelte, steckt schnell die Feder hinters Ohr.
O nichts, nichts, gnädiger Herr – Lächelnd. Ich schreib gar zu gern.
DESPORTES.

Wenn ich nur so glücklich wäre, einen von Ihren Briefen, nur eine Zeile von Ihrer schönen Hand zu sehen.

MARIANE.
O verzeihen Sie mir, ich schreibe gar nicht schön, ich schäme mich von meiner Schrift zu weisen.
DESPORTES.
Alles was von einer solchen Hand kommt muß schön sein.
MARIANE.
O Herr Baron hören Sie auf, ich weiß doch daß das alles nur Komplimenten sein.
DESPORTES
kniend.
Ich schwöre Ihnen daß ich noch in meinem Leben nichts Vollkommeneres gesehen habe als Sie sind.
MARIANE
strickt, die Augen auf ihre Arbeit niedergeschlagen.
Meine Mutter hat mir doch gesagt – sehen Sie, wie falsch Sie sind.
DESPORTES.

Ich falsch? Können Sie das von mir glauben, göttliche Mademoiselle? Ist das falsch wenn ich mich vom Regiment wegstehle, da ich mein Semestre doch verkauft [185] habe und jetzt riskiere daß wenn man erfährt, daß ich nicht bei meinen Eltern bin wie ich vorgab, man mich in Prison wirft wenn ich wiederkomme, ist das falsch, nur um das Glück zu haben Sie zu sehen, Vollkommenste?

MARIANE
wieder auf ihre Arbeit sehend.

Meine Mutter hat mir doch oft gesagt, ich sei noch nicht vollkommen ausgewachsen, ich sei in den Jahren wo man weder schön noch häßlich ist.


Wesener tritt herein.
WESENER.
Ei sieh doch, gehorsamer Diener Herr Baron, wie kommt's denn daß wir wieder einmal die Ehre haben.

Umarmt ihn.
DESPORTES.

Ich bin nur auf einige Wochen hier, einen meiner Verwandten zu besuchen, der von Brüssel angekommen ist.

WESENER.

Ich bin nicht zu Hause gewesen, werden verzeihen, mein Marianel wird Sie ennuyiert haben, wie befinden sich denn die werten Eltern, werden die Tabatieren doch erhalten haben –

DESPORTES.

Ohnezweifel, ich bin nicht bei ihnen gewesen, wir werden auch noch eine Rechnung mit einander haben Vaterchen.

WESENER.

O das hat gute Wege, es ist ja nicht das erstemal. Die gnädige Frau sind letzten Winter nicht zu unserm Carnaval herabgekommen.

DESPORTES.
Sie befindet sich etwas unpaß – waren viel Bälle?
WESENER.
So so es ließ sich noch halten – Sie wissen, ich komme auf keinen und meine Töchter noch weniger.
DESPORTES.

Aber ist denn das auch erlaubt, Herr Wesener daß Sie Ihren Töchtern alles Vergnügen so versagen, wie können sie dabei gesund bleiben.

WESENER.

O wenn sie arbeiten werden sie schon gesund bleiben. Meinem Marianel fehlt doch Gott sei Dank nichts und sie hat immer rote Backen.

[186]
MARIANE.

Ja das läßt sich der Papa nicht ausreden und ich krieg doch so bisweilen so eng um das Herz, daß ich nicht weiß wo ich vor Angst in der Stube bleiben soll.

DESPORTES.

Sehn Sie, Sie gönnen Ihr Mademoiselle Tochter kein Vergnügen und das wird noch einmal Ursache sein daß sie melancholisch werden wird.

WESENER.

Ei was sie hat Vergnügen genug mit ihren Kamerädinnen, wenn sie zusammen sind hört man sein eigen Wort nicht.

DESPORTES.

Erlauben Sie mir daß ich die Ehre haben kann, Ihre Mademoiselle Tochter einmal in die Komödie zu führen. Man gibt heut ein ganz neues Stück.

MARIANE.
Ach Papa!
WESENER.

Nein – Nein durchaus nicht Herr Baron! Nehmen Sie mir's nicht ungnädig, davon kein Wort mehr. Meine Tochter ist nicht gewohnt in die Komödie zu gehen, das würde nur Gerede bei den Nachbarn geben, und mit einem jungen Herrn von den Milizen dazu.

DESPORTES.
Sie sehen ich bin im Bürgerskleide, wer kennt mich.
WESENER.

Tant pis! ein für allemal es schickt sich mit keinem jungen Herren und denn ist es auch noch nicht einmal zum Tisch des Herrn gewesen und soll schon in die Komödie und die Staatsdame machen, kurz und gut, ich erlaube es nicht Herr Baron.

MARIANE.
Aber Papa, wenn den Herrn Baron doch nun niemand kennt.
WESENER
etwas leise.

Willstu's Maul halten? niemand kennt, tant pis wenn ihn niemand kennt. Werden pardonnieren Herr Baron! so gern als Ihnen den Gefallen tun wollte, in allen andern Stücken haben zu befehlen.

DESPORTES.
A propos lieber Wesener! wollten Sie mir doch nicht einige von Ihren Zitternadeln weisen.
WESENER.
Sogleich.

Geht heraus.
DESPORTES.

Wissen Sie was mein englisches mein göttliches Marianel, wir wollen Ihrem Vater einen Streich spielen. [187] Heut geht es nicht mehr an, aber übermorgen geben sie ein fürtreffliches Stück, La chercheuse d'esprit, und die erste Piece ist der Deserteur – haben Sie hier nicht eine gute Bekannte?

MARIANE.
Frau Weyher.
DESPORTES.
Wo wohnt sie?
MARIANE.
Gleich hier an der Ecke beim Brunnen.
DESPORTES.
Da komm ich hin und da kommen Sie auch hin, so gehn wir mit einander in die Komödie.

Wesener kommt wieder mit einer großen Schachtel Zitternadeln. Mariane winkt Desportes lächelnd zu.
WESENER.

Sehen Sie da sind zu allen Preisen – diese zu hundert Talern, diese zu funfzig, diese zu hundertfunfzig wie es befehlen.

DESPORTES
besieht eine nach der andern und weist die Schachtel Marianen.
Zu welcher rieten Sie mir?

Mariane lächelt und sobald der Vater beschäftigt ist eine herauszunehmen, winkt sie ihm zu.
WESENER.
Sehen Sie die spielt gut, auf meine Ehr.
DESPORTES.

Das ist wahr. Hält sie Marianen an den Kopf. Sehen Sie auf so schönem Braun, was das für eine Wirkung tut. O hören Sie, Herr Wesener, sie steht Ihrer Tochter gar zu schön, wollen Sie mir die Gnade tun und sie behalten.

WESENER
gibt sie ihm lächelnd zurück.

Ich bitte Sie Herr Baron – das geht nicht an – meine Tochter hat noch in ihrem Leben keine Präsente von den Herren angenommen.

MARIANE
die Augen fest auf ihre Arbeit geheftet.
Ich würde sie auch zu dem nicht haben tragen können, sie ist zu groß für meine Frisur.
DESPORTES.
So will ich sie meiner Mutter schicken.

Wickelt sie sorgfältig ein.
WESENER
indem er die andern einschachtelt brummt etwas heimlich zu Marianen.

Zitternadel du selber, sollst in deinem Leben keine auf den Kopf bekommen, das ist [188] kein Tragen für dich. Sie schweigt still und arbeitet fort.

DESPORTES.
So empfehle ich mich denn Herr Wesener! Eh ich wegreise, machen wir richtig.
WESENER.

Das hat gute Wege Herr Baron, das hat gute Wege, sein Sie so gütig und tun uns einmal wieder die Ehre an.

DESPORTES.
Wenn Sie mir's erlauben wollen – Adieu Jungfer Mariane!

Ab.
MARIANE.
Aber sag Er mir doch Papa wie ist Er denn auch.
WESENER.
Na hab ich dir schon wieder nicht recht gemacht. Was verstehst du doch von der Welt, dummes Keuchel.
MARIANE.
Er hat doch gewiß ein gutes Gemüt der Herr Baron.
WESENER.

Weil er dir ein paar Schmeicheleien und so und so – Einer ist so gut wie der andere, lehr du mich die jungen Milizen nit kennen. Da laufen sie in alle Aubergen und in alle Kaffeehäuser und erzählen sich und eh man sich's versieht, wips ist ein armes Maidel in der Leute Mäuler. Ja und mit der und der Jungfer ist's auch nicht zum besten bestellt und die und die kenn ich auch und die hätt ihn auch gern drin –

MARIANE.
Papa Fängt an zu weinen. Er ist auch immer so grob.
WESENER
klopft sie auf die Backen.

Du mußt mir das so übel nicht nehmen, du bist meine einzige Freude, Narr, darum trag ich auch Sorge für dich.

MARIANE.
Wenn Er mich doch nur wollte für mich selber sorgen lassen. Ich bin doch kein klein Kind mehr.
[189]
4. Szene
Vierte Szene
In Armentières.
Der Obriste Graf Spannheim am Tisch mit seinem Feldprediger Eisenhardt, einem jungen Grafen seinem Vetter und dessen Hofmeister, Haudy Untermajor, Mary und andern Offiziers.

DER JUNGE GRAF.
Ob wir nicht bald wieder eine gute Truppe werden herbekommen?
HAUDY.
Das wäre zu wünschen, besonders für unsere junge Herren. Man sagt Godeau hat herkommen wollen.
HOFMEISTER.

Es ist doch in der Tat nicht zu leugnen, daß die Schaubühne eine fast unentbehrliche Sache für eine Garnison ist, c'est à dire eine Schaubühne wo Geschmack herrscht, wie zum Exempel auf der französischen.

EISENHARDT.
Ich sehe nicht ab, wo der Nutzen stecken sollte.
OBRISTER.

Das sagen Sie wohl nur so Herr Pastor, weil Sie die beiden kleinen weißen Läppchen unterm Kinn haben, ich weiß im Herzen denken Sie anders.

EISENHARDT.

Verzeihen Sie Herr Obriste! ich bin nie Heuchler gewesen und wenn das ein notwendiges Laster für unsern Stand wäre, so dächt ich wären doch die Feldprediger davon wohl ausgenommen, da sie mit vernünftigeren Leuten zu tun haben. Ich liebe das Theater selber und gehe gern hinein ein gutes Stück zu sehen, aber deswegen glaube ich noch nicht, daß es ein so heilsames Institut für das Corps Offiziers sei.

HAUDY.

Aber um Gotteswillen Herr Pfaff oder Herr Pfarr wie Sie da heißen, sagen Sie mir einmal, was für Unordnungen werden nicht vorgebeugt oder abgehalten durch die Komödie. Die Offizier[s] müssen doch einen Zeitvertreib haben.

EISENHARDT.

Mit aller Mäßigung Herr Major! sagen Sie [190] lieber, was für Unordnungen werden nicht eingeführt unter den Offiziers durch die Komödie.

HAUDY.

Das ist nun wieder so in den Tag hinein räsonniert. Kurz und gut Herr Lehnt sich mit den beiden Ellenbogen auf den Tisch. ich behaupte Ihnen hier, daß eine einzige Komödie und wenn's die ärgste Farce wäre, zehnmal mehr Nutzen ich sage nicht unter den Offiziers allein sondern im ganzen Staat angerichtet hat als alle Predigten zusammengenommen, die Sie und Ihresgleichen in Ihrem ganzen Leben gehalten haben und halten werden.

OBRISTER
winkt Haudy unwillig.
Major!
EISENHARDT.

Wenn ich mit Vorurteilen für mein Amt eingenommen wäre Herr Major, so würde ich böse werden. So aber wollen wir alles das bei Seite setzen, weil ich weder Sie noch viele von den Herren für fähig halte, den eigentlichen Nutzen unsers Amts in Ihrem ganzen Leben beurteilen zu können, und wollen nur bei der Komödie bleiben und de[m] erstaunenden Nutzen den sie für die Herren vom Corps haben soll. Ich bitte Sie, beantworten Sie mir eine einzige Frage, was lernen die Herren dort?

MARY.
Ei was, muß man denn immer lernen, wir amüsieren uns ist das nicht genug.
EISENHARDT.

Wollte Gott daß Sie sich bloß amüsierten, daß Sie nicht lernten! So aber ahmen Sie nach was Ihnen dort vorgestellt wird und bringen Unglück und Fluch in die Familien.

OBRISTER.

Lieber Herr Pastor, Ihr Enthusiasmus ist löblich, aber er schmeckt nach dem schwarzen Rock, nehmen Sie mir nicht übel. Welche Familie ist noch je durch einen Offizier unglücklich geworden? Daß ein Mädel einmal ein Kind kriegt, das es nicht besser haben will.

HAUDY.

Eine Hure wird immer eine Hure, gerate sie unter welche Hände sie will, wird's keine Soldatenhure so wird's eine Pfaffenhure.

[191]
EISENHARDT.

Herr Major es verdrießt mich daß Sie immer die Pfaffen mit ins Spiel mengen, weil Sie mich dadurch verhindern, Ihnen freimütig zu antworten. Sie könnten denken es mische sich persönliche Bitterkeit in meine Reden, und wenn ich in Feuer gerate so schwöre ich Ihnen doch, daß es bloß die Sache ist von der wir sprechen, nicht Ihre Spöttereien und Anzüglichkeiten über mein Amt. Das kann durch alle dergleichen witzige Einfälle weder verlieren noch gewinnen.

HAUDY.
Na so reden Sie, reden Sie, schwatzen Sie, dafür sind wir ja da, wer verbietet es Ihnen?
EISENHARDT.

Was Sie vorhin gesagt haben war ein Gedanke der eines Nero oder Oglei Oglu Seele würdig gewesen wäre und auch da bei seiner ersten Erscheinung vielleicht Grausen würde verursacht haben. Eine Hure wird immer eine Hure, kennen Sie das andere Geschlecht so genau?

HAUDY.
Herr Sie werden es mich nicht kennen lehren.
EISENHARDT.

Sie kennen es von den Meisterstücken Ihrer Kunst vielleicht, aber erlauben Sie mir Ihnen zu sagen, eine Hure wird niemals eine Hure, wenn sie nicht dazu gemacht wird. Der Trieb ist in allen Menschen, aber jedes Frauenzimmer weiß, daß sie dem Triebe ihre ganze künftige Glückseligkeit zu danken hat, und wird sie die aufopfern, wenn man sie nicht drum betrügt?

HAUDY.
Red ich denn von honetten Mädchen?
EISENHARDT.

Eben die honetten Mädchen müssen zittern vor Ihren Komödien, da lernen Sie die Kunst sie malhonett zu machen.

MARY.
Wer wird so schlecht denken.
HAUDY.

Der Herr hat auch ein verfluchtes Maul über die Offiziers. Sackerment wenn mir ein anderer das sagte. Meint Er Herr denn, wir hören auf, honnêtehommes zu sein, sobald wir in Dienste treten.

EISENHARDT.

Ich wünsche Ihnen viel Glück zu diesen Gesinnungen. Solang ich aber noch entretenierte Mätressen [192] und unglückliche Bürgerstöchter sehen werde, kann ich meine Meinung nicht zurücknehmen.

HAUDY.
Das verdiente einen Nasenstüber.
EISENHARDT
steht auf.
Herr, ich trag einen Degen.
OBRISTER.

Major ich bitt Euch – Herr Eisenhardt hat nicht unrecht, was wollt Ihr von ihm. Und der erste der ihm zu nahe kommt – setzen Sie sich Herr Pastor, er soll Ihnen Genugtuung geben. Haudy geht hinaus. Aber Sie gehn auch zu weit, Herr Eisenhardt, mit alledem. Es ist kein Offizier der nicht wissen sollte was die Ehre von ihm fodert.

EISENHARDT.

Wenn er Zeit genug hat, dran zu denken. Aber werden ihm nicht in den neusten Komödien die gröbsten Verbrechen gegen die heiligsten Rechte der Väter und Familien unter so reizenden Farben vorgestellt, den giftigsten Handlungen so der Stachel genommen, daß ein Bösewicht dasteht als ob er ganz neulich vom Himmel gefallen wäre. Sollte das nicht aufmuntern, sollte das nicht alles ersticken was das Gewissen aus der Eltern Hause mitgebracht haben kann. Einen wachsamen Vater zu betriegen oder ein unschuldig Mädchen in Lastern zu unterrichten, das sind die Preisaufgaben, die dort aufgelöst werden.

HAUDY
im Vorhause mit andern Offiziers, da die Tür aufgeht.
Der verfluchte Schwarzrock –
OBRISTER.

Laßt uns ins Kaffeehaus gehn Pfarrer, Sie sind mir die Revange im Schach schuldig – und Adjutant! wollten Sie doch dem Major Haudy für heut bitten, nicht aus seiner Stube zu gehen. Sagen Sie ihm, ich werde ihm morgen früh seinen Degen selber wiederbringen.

[193]
5. Szene
Fünfte Szene
In Lille.
Wesener sitzt und speist zu Nacht mit seiner Frau und ältesten Tochter. Mariane tritt ganz geputzt herein.

MARIANE
fällt ihm um den Hals.
Ach Pappa, Pappa!
WESENER
mit vollem Munde.
Was ist, was fehlt dir.
MARIANE.
Ich kann's Ihm nicht verhehlen, ich bin in der Komödie gewesen. Was das für Dings ist.
WESENER
rückt seinen Stuhl vom Tisch weg und kehrt das Gesicht ab.
MARIANE.

Wenn Er gesehen hätte was ich gesehen habe, Er würde wahrhaftig nicht böse sein Papa.Setzt sich ihm auf den Schoß. Lieber Papa, was das für Dings alles durcheinander ist, ich werde die Nacht nicht schlafen können für lauter Vergnügen. Der gute Herr Baron.

WESENER.
Was, der Baron hat dich in die Komödie geführt?
MARIANE
etwas furchtsam.
Ja Papa – lieber Pappa!
WESENER
stößt sie von seinem Schoß.
Fort von mir, du Luder – willst die Mätresse vom Baron werden?
MARIANE
mit dem Gesicht halb abgekehrt, halb weinend.
Ich war bei der Weyhern – und da stunden wir an der Tür – Stotternd. und da redt' er uns an.
WESENER.
Ja lüg nur, lüg nur dem Teufel ein Ohr ab – geh mir aus den Augen du gottlose Seele.
CHARLOTTE.

Das hätt ich dem Papa wollen voraussagen daß es so gehen würde. Sie haben immer Geheimlichkeiten miteinander gehabt, sie und der Baron.

MARIANE
weinend.
Willst du das Maul halten.
CHARLOTTE.
Denk doch, vor dir gewiß nicht. Will noch kommandieren dazu und führt sich so auf.
MARIANE.

Nimm dich nur man selber in Acht mit deinem jungen Herrn Heidevogel. Wenn ich mich so schlecht aufführte als du –

[194]
WESENER.

Wollt ihr schweigen? Zu Marianel. Fort in deine Kammer den Augenblick, du sollst heut nicht zu Nacht essen – schlechte Seele! Mariane geht fort. Und schweig du auch nur, du wirst auch nicht engelrein sein. Meinst du kein Mensch sieht warum der Herr Heidevogel so oft ins Haus kommt.

CHARLOTTE.

Das ist alles des Marianel Schuld.Weint. Die gottsvergeßne Allerweltshure will honette Mädels in Blame bringen weil sie so denkt.

WESENER
sehr laut.

Halt's Maul! Mariane hat ein viel zu edles Gemüt als daß sie von dir reden sollte, aber du schalusierst auf deine eigene Schwester; weil du nicht so schön bist als sie, sollst du zum wenigsten besser denken. Schäm dich – Zur Magd. Nehmt ab, ich esse nichts mehr.


Schiebt Teller und Serviette fort, wirft sich in einen Lehnstuhl und bleibt in tiefen Gedanken sitzen.
6. Szene
Sechste Szene
Marianens Zimmer.
Sie sitzt auf ihrem Bett, hat die Zitternadel in der Hand und spiegelt damit, in den tiefsten Träumereien. Der Vater tritt herein, sie fährt auf und sucht die Zitternadel zu verbergen.

MARIANE.
Ach Herr Jesus – –
WESENER.

Na so mach Sie doch das Kind nicht.Geht einigemal auf und ab, dann setzt er sich zu ihr. Hör Marianel! du weißt ich bin dir gut, sei du nur recht aufrichtig gegen mich, es wird dein Schade nicht sein. Sag mir hat dir der Baron was von der Lieb vorgesagt?

MARIANE
sehr geheimnisvoll.

Pappa! – er ist verliebt in mich, das ist wahr. Sieht Er einmal, diese Zitternadel hat er mir auch geschenkt.

[195]
WESENER.

Was tausend Hagelweeter – Potz Mord noch einmal Nimmt ihr die Zitternadel weg. hab ich dir nicht verboten –

MARIANE.

Aber Papa ich kann doch so grob nicht sein und es ihm abschlagen. Ich sag Ihm er hat getan wie wütig, als ich's nicht annehmen wollteLäuft nach dem Schrank. hier sind auch Verse die er auf mich gemacht hat. Reicht ihm ein Papier.

WESENER
liest laut.
Du höchster Gegenstand von meinen reinen Trieben
Ich bet dich an, ich will dich ewig lieben.
Weil die Versicherung von meiner Lieb und Treu
Du allerschönstes Licht mit jedem Morgen neu.

Du allerschönstes Licht, ha ha ha.
MARIANE.

Wart Er, ich will Ihm noch was weisen, er hat mir auch ein Herzchen geschenkt mit kleinen Steinen besetzt in einem Ring.


Wieder zum Schrank. Der Vater besieht es gleichgültig.
WESENER
liest noch einmal.

Du höchster Gegenstand von meinen reinen Trieben. Steckt die Verse in die Tasche. Er denkt doch honett seh ich. Hör aber Marianel, was ich dir sage, du mußt kein Präsent mehr von ihm annehmen. Das gefällt mir nicht daß er dir soviele Präsente macht.

MARIANE.
Das ist sein gutes Herz Pappa.
WESENER.

Und die Zitternadel gib mir her, die will ich ihm zurückgeben. Laß mich nur machen, ich weiß schon was zu deinem Glück dient, ich hab länger in der Welt gelebt als du mein' Tochter und du kannst nur immer allesfort mit ihm in die Komödien gehn, nur nimm jedesmal die Madam Weyher mit, und laß dir nur immer nichts davon merken als ob ich davon wüßte sondern sag nur, daß er's recht geheim hält und daß ich sehr böse werden würde wenn ich's erführe. Nur keine Präsente von ihm angenommen Mädel, um Gotteswillen.

MARIANE.

Ich weiß wohl daß der Pappa mir nicht übel [196] raten wird. Küßt ihm die Hand. Er soll sehen, daß ich Seinem Rat in allen Stücken folgen werde. Und ich werde Ihm alles wiedererzählen darauf kann Er sich verlassen.

WESENER.

Na so denn. Küßt sie. Kannst noch einmal gnädige Frau werden närrisches Kind. Man kann nicht wissen was einem manchmal für ein Glück aufgehoben ist.

MARIANE.
Aber Papa. Etwas leise. Was wird der arme Stolzius sagen?
WESENER.

Du mußt darum den Stolzius nicht so gleich abschröcken, hör einmal. – Nu ich will dir schon sagen, wie du den Brief an ihm einzurichten hast. Unterdessen schlaf Sie gesund Meerkatze.

MARIANE
küßt ihm die Hand.

Gute Nacht Pappuschka! – Da er fort ist, tut sie einen tiefen Seufzer und tritt ans Fenster indem sie sich aufschnürt. Das Herz ist mir so schwer. Ich glaub es wird gewittern die Nacht. Wenn es einschlüge –Sieht in die Höhe, die Hände über ihre offene Brust schlagend. Gott was hab ich denn Böses getan? – – Stolzius – ich lieb dich ja noch – aber wenn ich nun mein Glück besser machen kann – und Pappa selber mir den Rat gibt. Zieht die Gardine vor. Trifft mich's so trifft mich's, ich sterb nicht anders als gerne. Löscht ihr Licht aus.

2. Akt

1. Szene
Erste Szene
In Armentières.
Haudy und Stolzius spazieren an der Lys.

HAUDY.

Er muß sich dadurch nicht gleich ins Bockshorn jagen lassen, guter Freund! ich kenne den Desportes, [197] er ist ein Spitzbube, der nichts sucht als sich zu amüsieren, er wird Ihm darum Seine Braut nicht gleich abspenstig machen wollen.

STOLZIUS.

Aber das Gerede Herr Major! Stadt und Land ist voll davon. Ich könnte mich den Augenblick ins Wasser stürzen wenn ich dem Ding nachdenke.

HAUDY
faßt ihn untern Arm.

Er muß sich das nicht so zu Herzen gehen lassen zum Teufel! Man muß viel über sich reden lassen in der Welt. Ich bin Sein bester Freund, das kann Er versichert sein, und ich würd es Ihm gewiß sagen, wenn Gefahr dabei wäre. Aber es ist nichts, Er bildt sich das nur so ein, mach Er nur daß die Hochzeit noch diesen Winter sein kann, solang wir noch hier in Garnison liegen, und macht Ihm der Desportes alsdenn die geringste Unruhe so bin ich Sein Mann, es soll Blut kosten das versichere ich Ihn. Unterdessen kehr Er sich ans Gerede nicht, Er weiß wohl, die Jungfern die am bravsten sind, von denen wird das meiste dumme Zeug räsonniert, das ist ganz natürlich, daß sich die jungen Fats zu rächen suchen, die nicht haben ankommen können.

2. Szene
Zweite Szene
Das Kaffeehaus.
Eisenhardt und Pirzel im Vordergrunde, auf einem Sofa und trinken Kaffee. Im Hintergrunde eine Gruppe Offiziers schwatzend und lachend.

EISENHARDT
zu Pirzel.

Es ist lächerlich wie die Leute alle um den armen Stolzius herschwärmen, wie Fliegen um einen Honigkuchen. Der zupft ihn da, der stößt ihn hier, der geht mit ihm spazieren, der nimmt ihn ins Cabriolet, der spielt Billard mit ihm, wie Jagdhunde die Witterung [198] haben. Und wie augenscheinlich sein Tuchhandel zugenommen hat, seitdem man weiß daß er die schöne Jungfer heuraten wird, die neulich hier durchgegangen.

PIRZEL
faßt ihn an die Hand, mit viel Energie.

Woher kommt's Herr Pfarrer? Daß die Leute nicht denken. Steht auf in einer sehr malerischen Stellung, halb nach der Gruppe zugekehrt. Es ist ein vollkommenstes Wesen. Dieses vollkommenste Wesen kann ich entweder beleidigen oder nicht beleidigen.

EINER AUS DER GESELLSCHAFT
kehrt sich um.
Nun fängt er schon wieder an?
PIRZEL
sehr eifrig.

Kann ich es beleidigen Kehrt sich ganz gegen die Gesellschaft. so würde es auf hören das Vollkommenste zu sein.

EIN ANDERER AUS DER GESELLSCHAFT.
Ja, ja Pirzel, du hast recht, du hast ganz recht.
PIRZEL
kehrt sich geschwind zum Feldprediger.
Kann ich es nicht beleidigen – Faßt ihn an die Hand und bleibt stockstill in tiefen Gedanken.
ZWEI, DREI AUS DEM HAUFEN. Pirzel zum Teufel! redst du mit uns?
PIRZEL
kehrt sich sehr ernsthaft zu ihnen.

Meine lieben Kameraden, ihr seid verehrungswürdige Geschöpfe Gottes, also kann ich euch nicht anders als respektieren und hochachten, ich bin auch ein Geschöpf Gottes, also müßt ihr mich gleichfalls in Ehren halten.

EINER.
Das wollten wir dir auch raten.
PIRZEL
kehrt sich wieder zum Pfarrer.
Nun –
EISENHARDT.

Herr Hauptmann, ich bin in allen Stücken Ihrer Meinung. Nur war die Frage, wie es den Leuten in den Kopf gebracht werden könnte, vom armen Stolzius abzulassen und nicht Eifersucht und Argwohn in zwei Herzen zu werfen, die vielleicht auf ewig einander glücklich gemacht haben würden.

PIRZEL
der sich mittlerweile gesetzt hatte, steht wieder sehr hastig auf.

Wie ich Ihnen die Ehre und das Vergnügen [199] hatte zu sagen Herr Pfarrer! das macht weil die Leute nicht denken. Denken, den ken, was der Mensch ist, das ist ja meine Rede.Faßt ihn an die Hand. Sehen Sie, das ist Ihre Hand, aber was ist das, Haut, Knochen, Erde,Klopft ihm auf den Puls. da, da steckt es, das ist nur die Scheide, da steckt der Degen drein, im Blut, im Blut – Sieht sich plötzlich herum, weil Lärm wird.


Haudy tritt herein mit großem Geschrei.
HAUDY.

Leute, nun hab ich ihn, es ist der frömmste Herrgott von der Welt. Brüllt entsetzlich. Madam Roux! gleich lassen Sie Gläser schwenken und machen uns guten Punsch zurecht. Er wird gleich hier sein, ich bitte euch, geht mir artig mit dem Menschen um.

EISENHARDT
bückt sich vor.
Wer Herr Major, wenn's erlaubt ist –
HAUDY
ohne ihn anzusehen.
Nichts, ein guter Freund von mir.

Die ganze Gesellschaft drängt sich um Haudy.
EINER.
Hast du ihn ausgefragt, wird die Hochzeit bald sein?
HAUDY.

Leute, ihr müßt mich schaffen lassen, sonst verderbt ihr mir den ganzen Handel. Er hat ein Zutrauen zu mir sag ich euch, wie zum Propheten Daniel, und wenn einer von euch sich darein mengt, so ist alles verschissen. Er ist ohnedem eifersüchtig genug das arme Herz, der Desportes macht ihm grausam zu schaffen und ich hab ihn mit genauer Not gehalten, daß er nicht ins Wasser sprang. Mein Pfiff ist, ihm Zutrauen zu seinem Weibe beizubringen, er muß sie wohl kennen, daß sie keine von den sturmfesten ist. Das sei euch also zur Nachricht, daß ihr mir den Menschen nicht verderbt.

RAMMLER.
Was willst du doch reden, ich kenn ihn besser als du, er hat eine feine Nase das glaub du mir nur.
HAUDY.
Und du eine noch feinere merk ich.
RAMMLER.

Du meinst das sei das Mittel sich bei ihm einzuschmeicheln, [200] wenn man ihm Gutes von seiner Braut sagt. Du irrst dich, ich kenn ihn besser, grad das Gegenteil. Er stellt sich als ob er dir's glaubte und schreibt es sich hinter die Ohren. Aber wenn man ihm seine Frau verdächtig macht, so glaubt er daß wir's aufrichtig mit ihm meinen –

HAUDY.

Mit deiner erhabenen Politik Rotnase! Willst du dem Kerl den Kopf toll machen, meinst du, er hat nicht Grillen genug drin. Und wenn er sie sitzen läßt, oder sich aufhängt – so hast du's darnach. Nicht wahr Herr Pfarrer, eines Menschen Leben ist doch kein Pfifferling.

EISENHARDT.
Ich menge mich in Ihren Kriegsrat nicht.
HAUDY.
Sie müssen mir aber doch recht geben.
PIRZEL.

Meine werten Brüder und Kameraden, tut niemand Unrecht. Eines Menschen Leben ist ein Gut, das er sich nicht selber gegeben hat. Nun aber hat niemand ein Recht auf ein Gut, das ihm von einem andern ist gegeben worden. Unser Leben ist ein solches Gut –

HAUDY
faßt ihn an die Hand.

Ja Pirzel du bist der bravste Mann den ich kenne Setzt sich zwischen ihn und den Pfarrer. aber der Jesuit Den Pfarr umarmend. der gern selber möchte Hahn im Korbe sein möchte –

RAMMLER
setzt sich auf die andere Seite zum Pfarrer und zischelt ihm in die Ohren.
Herr Pfarrer, Sie sollen nur sehen was ich dem Haudy für einen Streich spielen werde.

Stolzius tritt herein. Haudy springt auf.
HAUDY.

Ah mein Bester kommen Sie, ich habe ein gut Glas Punsch für uns bestellen lassen. Der Wind hat uns vorhin so durchgeweht.


Führt ihn an einen Tisch.
STOLZIUS
den Hut abziehend zu den übrigen.

Meine Herren Sie werden mir vergeben daß ich so dreist bin auf Ihr Kaffeehaus zu kommen, es ist auf Befehl des Herrn Majors geschehen.


Alle ziehen die Hüte ab, sehr höflich, und schneiden Komplimenten. Rammler steht auf und geht näher.
[201]
RAMMLER.
O gehorsamer Diener, es ist uns eine besondere Ehre.
STOLZIUS
rückt noch einmal den Hut, etwas kaltsinnig, und setzt sich zu Haudy.
Es geht ein so scharfer Wind draußen, ich meine wir werden Schnee bekommen.
HAUDY
eine Pfeife stopfend.
Ich glaub es auch. – Sie rauchen doch Herr Stolzius.
STOLZIUS.
Ein wenig.
RAMMLER.
Ich weiß nicht wo denn unser Punsch bleibt Haudy Steht auf. was die verdammte Roux solange macht.
HAUDY.

Bekümmere dich um deine Sachen. Brüllt mit einer erschröcklichen Stimme. Madam Roux! Licht her – und unser Punsch, wo bleibt er.

STOLZIUS.
O mein Herr Major, als ich Ihnen Ungelegenheit machen sollte, würd es mir sehr von Herzen leid tun.
HAUDY.

Ganz und gar nicht lieber Freund. Präsentiert ihm die Pfeife. Die Lysluft kann doch wahrhaftig der Gesundheit nicht gar zu zuträglich sein.

RAMMLER
setzt sich zu ihnen an den Tisch.
Haben Sie neulich Nachrichten aus Lille gehabt? Wie befindet sich Ihre Jungfer Braut?

Haudy macht ihm ein Paar fürchterliche Augen, er bleibt lächelnd sitzen.
STOLZIUS
verlegen.

Zu Ihren Diensten mein Herr – aber ich bitt gehorsamst um Verzeihung, ich weiß noch von keiner Braut, ich habe keine.

RAMMLER.

Die Jungfer Wesener aus Lille, ist sie nicht Ihre Braut? Der Desportes hat es mir doch geschrieben, daß Sie verlobt wären.

STOLZIUS.
Der Herr Desportes müßte es denn besser wissen als ich.
HAUDY
rauchend.
Der Rammler schwatzt immer in die Welt hinein, ohne zu wissen was er redt und was er will.
EINER AUS DEM HAUFEN.
Ich versichere Ihnen Herr Stolzius, Desportes ist ein ehrlicher Mann.
[202]
STOLZIUS.
Daran habe ich ja gar nicht gezweifelt.
HAUDY.

Ihr Leute wißt viel vom Desportes. Wenn ihn ein Mensch kennen kann, so muß ich es doch wohl sein, er ist mir von seiner Mutter rekommandiert worden als er ans Regiment kam und hat nichts getan ohne mich zu Rat zu ziehen. Aber ich versichere Ihnen Herr Stolzius, daß Desportes ein Mensch ist der Sentiment und Religion hat.

RAMMLER.

Und wir sind Schulkameraden mit einander gewesen. Keinen blödern Menschen mit dem Frauenzimmer habe ich noch in meinem Leben gesehen.

HAUDY.

Das ist wahr, darin hat er recht. Er ist nicht im Stande ein Wort hervorzubringen, sobald ihn ein Frauenzimmer freundlich ansieht.

RAMMLER
mit einer pedantisch plumpen Verstellung.

Ich glaube in der Tat – wo mir recht ist – ja es ist wahr, er korrespondiert noch mit ihr, ich habe den Tag seiner Abreise einen Brief gelesen, den er an eine Mademoiselle in Brüssel schrieb, in die er ganz zum Erstaunen verliebt war. Er wird sie wohl nun bald heiraten denke ich.

EINER AUS DER GESELLSCHAFT.
Ich kann nur nicht begreifen, was er solang in Lille macht.
HAUDY.
Wetter Element, wo bleibt unser Punsch denn – Madam Roux!!!
RAMMLER.

In Lille! O das kann euch niemand erklären als ich, denn ich weiß um alle seine Geheimnisse. Aber es läßt sich nicht öffentlich sagen.

HAUDY
verdrüßlich.
So sag heraus Narre! was hältst du hinter dem Berge.
RAMMLER
lächelnd.

Ich kann euch nur soviel sagen, daß er eine Person dort erwartet, mit der er in der Stille fortreisen will.

STOLZIUS
steht auf und legt die Pfeife weg.
Meine Herren, ich habe die Ehre mich Ihnen zu empfehlen.
HAUDY
erschrocken.
Was ist – wohin liebster Freund – wir werden den Augenblick bekommen.
[203]
STOLZIUS.
Sie nehmen mir's nicht übel – mir ist den Moment etwas zugestoßen.
HAUDY.
Was denn? – Der Punsch wird Ihnen gut tun, ich versichere Sie.
STOLZIUS.

Daß ich mich nicht wohl befinde lieber Herr Major. Sie werden mir verzeihen – erlauben Sie – aber ich kann keinen Augenblick länger hier bleiben, oder ich falle um –

HAUDY.
Das ist die Rheinluft – oder war der Tabak zu stark?
STOLZIUS.
Leben Sie wohl.

Geht wankend ab.
HAUDY.
Da haben wir's. Mit euch verfluchten Arschgesichtern.
RAMMLER.

Ha ha ha ha – Besinnt sich eine Weile, herumgehend. Ihr dummen Teufels, seht ihr denn nicht, daß ich das alles mit Fleiß angestellt habe – Herr Pfarrer hab ich's Ihnen nicht gesagt.

EISENHARDT.
Lassen Sie mich aus dem Spiel, ich bitte Sie.
HAUDY.
Du bist eine politische Gans, ich werde dir das Genick umdrehen.
RAMMLER.

Und ich brech dir Arm und Bein entzwei und werf sie zum Fenster hinaus. Spaziert thrasonisch umher. Ihr kennt meine Finten noch nicht.

HAUDY.

Ja du steckst voll Finten wie ein alter Pelz voll Läuse. Du bist ein Kerl zum Speien mit deiner Politik.

RAMMLEER.

Und ich pariere, daß ich dich und all euch Leute hier beim Stolzius in Sack stecke, wenn ich's darauf ansetze.

HAUDY.

Hör Rammler! es ist nur schade, daß du ein bißchen zuviel Verstand bekommen hast, denn er macht sich selber zu nicht, es geht dir wie einer allzuvollen Bouteille, die man umkehrt und doch kein Tropfen herausläuft, weil einer dem andern im Wege steht. Geh geh, wenn ich eine Frau habe, geb ich dir die Erlaubnis bei ihr zu schlafen, wenn du sie dahin bringen kannst.

[204]
RAMMLER
sehr schnell auf- und abgehend.
Ihr sollt nur sehen, was ich aus dem Stolzius noch machen will. Ab.
HAUDY.

Der Kerl macht einem das Gallenfieber mit seiner Dummheit. Er kann nichts als andern Leuten das Konzept verderben.

EINER.
Das ist wahr er mischt sich in alles.
MARY.

Er hat den Kopf immer voll Intrigen und Ränken, und meint andere Leute können ebenso wenig darohne leben als er. Letzt sagt ich dem Reitz ins Ohr, er möcht mir doch auf morgen seine Sporen leihen; ist er mir nicht den ganzen Tag nachgegangen und hat mich um Gotteswillen gebeten, ich möcht ihm sagen, was wir vorhätten. Ich glaub es ist ein Staatsmann an ihm verdorben.

EIN ANDRER.

Neulich stellt ich mich an ein Haus, einen Brief im Schatten zu lesen, er meinte gleich es wär ein Liebesbrief, der mir aus dem Hause wär herabgeworfen worden, und ist die ganze Nacht bis um zwölf Uhr um das Haus herumgeschlichen. Ich dachte ich sollte aufbersten für Lachen, es wohnt ein alter Jude von sechzig Jahren in dem Hause, und er hatte überall in der Straße Schildwachten ausgestellt, die mir auflauren sollten und ihm ein Zeichen geben wenn ich hereinginge. Ich habe einem von den Kerls mit drei Livres das ganze Geheimnis abgekauft; ich dacht, ich sollte rasend werden.

ALLE.
Ha, ha, ha, und er meint es sei ein hübsch Mädchen drin.
MARY.

Hört einmal, wollt ihr einen Spaß haben der echt ist, so wollen wir den Juden avertieren, es sei einer da der Absichten auf sein Geld habe.

HAUDY.

Recht recht, daß euch die schwere Not, wollen wir gleich zu ihm gehen. Das soll uns eine Komödie geben die ihres gleichen nicht hat. Und du Mary bring ihn nur immer mehr auf die Gedanken, daß da die schönste Frau in ganz Armentières wohnt, und daß Gilbert dir anvertraut hat, er werde diese Nacht zu ihr gehn.

[205]
3. Szene
Dritte Szene
In Lille.
Mariane weinend auf einem Lehnstuhl, einen Brief in der Hand. Desportes tritt herein.

DESPORTES.
Was fehlt Ihnen mein goldenes Marianel, was haben Sie.
MARIANE
will den Brief in die Tasche stecken.
Ach –
DESPORTES.
Ums Himmels willen, was ist das für ein Brief der Ihnen Tränen verursachen kann.
MARIANE
etwas leiser.

Sehen Sie nur, was mir der Mensch der Stolzius schreibt, recht als ob er ein Recht hätte mich auszuschelten. Weint wieder.

DESPORTES
liest stille.

Das ist ein impertinenter Esel. Aber sagen Sie mir, warum wechseln Sie Briefe mit solch einem Hundejungen.

MARIANE
trocknet sich die Augen.

Ich will Ihnen nur sagen Herr Baron, es ist weil er angehalten hat um mich und ich ihm schon so gut als halb versprochen bin.

DESPORTES.

Er um Sie angehalten? Wie darf sich der Esel das unterstehen? Warten Sie ich will ihm den Brief beantworten.

MARIANE.

Ja mein lieber Herr Baron! Und Sie können nicht glauben was ich mit meinem Vater auszustehen habe, er liegt mir immer in den Ohren, ich soll mir mein Glück nicht verderben.

DESPORTES.

Ihr Glück – mit solch einem Lümmel. Was denken Sie doch, liebstes Marianel, und was denkt Ihr Vater? ich kenne ja des Menschen seine Umstände. Und kurz und gut, Sie sind für keinen Bürger gemacht.

MARIANE.

Nein Herr Baron, davon wird nichts, das sind nur leere Hoffnungen mit denen Sie mich hintergehen. Ihre Familie wird das nimmermehr zugeben.

DESPORTES.

Das ist meine Sorge. Haben Sie Feder und Dinte, ich will dem Lumpenhund seinen Brief beantworten, warten Sie einmal.

[206]
MARIANE.
Nein ich will selber schreiben.

Setzt sich an den Tisch und macht das Schreibzeug zurecht, er stellt sich ihr hinter die Schulter.
DESPORTES.
So will ich Ihnen diktieren.
MARIANE.
Das sollen Sie auch nicht.

Schreibt.
DESPORTES
liest ihr über die Schulter.
Monsieur – Flegel setzen Sie dazu. Tunkt eine Feder ein und will dazu schreiben.
MARIANE
beide Arme über den Brief ausbreitend.
Herr Baron –

Sie fangen an zu schöckern; sobald sie den Arm rückt, macht er Miene zu schreiben; nach vielem Lachen gibt sie ihm mit der nassen Feder eine große Schmarre übers Gesicht. Er läuft zum Spiegel sich abzuwischen, sie schreibt fort.
DESPORTES.
Ich belaure Sie doch.

Er kommt näher, sie droht ihm mit der Feder, endlich steckt sie das Blatt in die Tasche; er will sie daran verhindern, sie ringen zusammen; Marie kützelt ihn, er macht ein erbärmliches Geschrei, bis er endlich halb atemlos auf den Lehnstuhl fällt.
WESENER
tritt herein.
Na was gibt's – die Leute von der Straße werden bald hereinkommen.
MARIANE
erholt sich.

Pappa denkt doch was der grobe Flegel der Stolzius mir für einen Brief schreibt, er nennt mich Ungetreue! Denk doch, als ob ich die Säue mit ihm gehütet hätte, aber ich will ihm antworten darauf das er sich nicht vermuten soll, der Grobian.

WESENER.

Zeig mir her den Brief – ei sieh doch die Jungfer Zipfersaat – ich will ihn unten im Laden lesen. Ab.


Junger Zipfersaat tritt herein.
MARIANE
hier und da launigt herumknicksend.

Jungfer Zipfersaat hier hab ich die Ehre dir einen Baron zu präsentieren der sterblich verliebt in dich ist. Hier Herr Baron ist die Jungfer von der wir soviel gesprochen haben und in die Sie sich neulich in der Komödie so sterblich verschameriert haben.

[207]
JUNGFER ZIPFERSAAT
beschämt.
Ich weiß nicht wie du bist Marianel.
MARIANE
einen tiefen Knicks.

Jetzt können Sie Ihre Liebesdeklaration machen. Läuft ab, die Kammertür hinter sich zuschlagend. Jungfer Zipfersaat ganz verlegen tritt ans Fenster. Desportes der sie verächtlich angesehen, paßt auf Marianen, die von Zeit zu Zeit die Kammertür ein wenig eröffnet. Endlich steckt sie den Kopf heraus; höhnisch. Na seid ihr bald fertig?


Desportes sucht sich zwischen die Tür einzuklemmen, Mariane sticht ihn mit einer großen Stecknadel fort; er schreit und läuft plötzlich heraus, um durch eine andere Tür in jenes Zimmer zu kommen. Jungfer Zipfersaat geht ganz verdrüßlich fort, derweil das Geschrei und Gejauchz im Nebenzimmer fortwährt.
WESENERS ALTE MUTTER
kriecht durch die Stube, die Brille auf der Nase, setzt sich in eine Ecke des Fensters und strickt und singt, oder krächzt vielmehr mit ihrer alten rauhen Stimme.
Ein Mädele jung ein Würfel ist
Wohl auf den Tisch gelegen:
Das kleine Rösel aus Hennegau
Wird bald zu Gottes Tisch gehen.

Zählt die Maschen ab.

Was lächelst so froh mein liebes Kind
Dein Kreuz wird dir'n schon kommen
Wenn's heißt das Rösel aus Hennegau
Hab nun einen Mann genommen.

O Kindlein mein, wie tut's mir so weh
Wie dir dein Äugelein lachen
Und wenn ich die tausend Tränelein seh
Die werden dein Bäckelein waschen.

Indessen dauert das Geschöcker im Nebenzimmer fort. Die alte Frau geht hinein, sie zu berufen.
[208]

3. Akt

1. Szene
Erste Szene
In Armentières.
Des Juden Haus.
Rammler mit einigen verkleideten Leuten die er stellt.

RAMMLER
zum letzten.

Wenn jemand hineingeht, so huste – ich will mich unter die Treppe verstecken, daß ich ihm gleich nachschleichen kann. Verkriecht sich unter die Treppe.

AARON
sieht aus dem Fenster.
Gad was ein gewaltiger Kamplat ist das unter meinem eignen Hause.

Mary im Rocklor eingewickelt kommt die Gasse heran, bleibt unter des Juden Fenster stehen und läßt ein subtiles Pfeifchen hören.
AARON
leise herab.
Sein Sie's gnädiger Herr? Jener winkt. Ich werde soglach aufmachen.

Mary geht die Treppe hinauf. Einer hustet leise. Rammler schleicht ihm auf den Zehen nach, ohne daß der sich umsieht. Der Jude macht die Tür auf, beide gehen hinein.
Der Schauplatz verwandelt sich in das Zimmer des
Juden. Es ist stockdunkel. Mary und Aaron flüstern sich in die Ohren. Rammler schleicht immer von weitem herum, weicht aber gleich zurück sobald jene eine Bewegung machen.
MARY.
Er ist hier drinne.
AARON.
O wai mer.
MARY.

Still nur, er soll Euch kein Leides tun, laßt mit Euch machen was er will und wenn er Euch auch knebelte, in einer Minute bin ich wieder bei Euch mit der Wache, es soll ihm übel genug bekommen. Legt Euch nur zu Bette.

[209]
AARON.
Wenn er mich aber ams Leben bringt, he?
MARY.

Seid nur ohne Sorgen, ich bin im Augenblick wieder da. Er kann sonst nicht überführt werden. Die Wache steht hier unten schon parat, ich will sie nur hereinrufen. Legt Euch –


Geht hinaus. Der Jude legt sich zu Bette. Rammler schleicht näher hin an.
AARON
klappt mit den Zähnen.
Adonai! Adonai!
RAMMLER
vor sich.

Ich glaube gar es ist eine Jüdin. Laut, indem er Marys Stimme nachzuahmen sucht. Ach mein Schätzchen wie kalt ist es draußen.

AARON
immer leiser.
Adonai!
RAMMLER.

Du kennst mich doch, ich bin dein Mann nicht, ich bin Mary. Zieht sich Stiefel und Rock aus. Ich glaube wir werden noch Schnee bekommen, so kalt ist es.


Mary mit einem großen Gefolge Offizieren mit Laternen stürzen herein und schlagen ein abscheulich Gelächter auf. Der Jude richtet sich erschrocken auf.
HAUDY.
Bist du toll geworden Rammler, willst du mit dem Juden Unzucht treiben?
RAMMLER
steht wie versteinert da.

Endlich zieht er seinen Degen. Ich will euch in Kreuz Millionen Stücken zerhauen alle mit einander. Läuft verwirrt heraus. Die andern lachen nur noch rasender.

AARON.
Ich bin wäs Gad halb tot gewesen. Steht auf.

Die andern laufen alle Rammlern nach, der Jude folgt ihnen.

[210]
2. Szene
Zweite Szene
Stolzius' Wohnung.
Er sitzt mit verbundenem Kopf an einem Tisch auf dem eine Lampe brennt, einen Brief in der Hand, seine Mutter neben ihm.

MUTTER
die auf einmal sich ereifert.

Willst du denn nicht schlafen gehen du gottloser Mensch! So red doch, so sag was dir fehlt. Das Luder ist deiner nicht wert gewesen. Was grämst du dich, was wimmerst du um eine solche – Soldatenhure.

STOLZIUS
mit dem äußersten Unwillen vom Tisch sich aufrichtend.
Mutter –
MUTTER.
Was ist sie denn anders – du – und du auch, daß du dich an solche Menscher hängst.
STOLZIUS
faßt ihr beide Hände.

Liebe Mutter, schimpft nicht auf sie, sie ist unschuldig, der Offizier hat ihr den Kopf verrückt. Seht einmal wie sie mir sonst geschrieben hat. Ich muß den Verstand verlieren darüber. Solch ein gutes Herz.

MUTTER
steht auf und stampft mit dem Fuß.

Solch ein Luder – Gleich zu Bett mit dir, ich befehl es dir. Was soll daraus werden, was soll da herauskommen. Ich will dir weisen, junger Herr, daß ich deine Mutter bin.

STOLZIUS
an seine Brust schlagend.
Marianel – nein sie ist es nicht mehr, sie ist nicht dieselbige mehr – Springt auf. Laßt mich –
MUTTER
weint.
Wohin du Gottvergessener.
STOLZIUS.

Ich will dem Teufel der sie verkehrt hat – Fällt kraftlos auf die Bank, beide Hände in die Höhe. Oh du sollst mir's bezahlen, du sollst mir's bezahlen. Kalt. Ein Tag ist wie der andere, was nicht heut kommt, kommt morgen, und was langsam kommt, kommt gut. Wie heißt's in dem Liede Mutter, wenn ein Vögelein von einem Berge alle Jahre ein Körnlein wegtrüge, endlich würde es ihm doch gelingen.

[211]
MUTTER.

Ich glaube du phantasierst schon Greift ihm an den Puls. leg dich zu Bett Karl, ich bitte dich um Gotteswillen. Ich will dich warm zudecken, was wird da herauskommen du großer Gott das ist ein hitziges Fieber – um solch eine Metze –

STOLZIUS.

Endlich – endlich – – alle Tage ein Sandkorn, ein Jahr hat zehn zwanzig dreißig hundert – Die Mutter will ihn fortleiten. Laßt mich Mutter, ich bin gesund.

MUTTER.

Komm nur komm Ihn mit Gewalt fortschleppend. Narre! – Ich werd dich nicht loslassen, das glaub mir nur. Ab.

3. Szene
Dritte Szene
In Lille.
Jungfer Zipfersaat. Eine Magd aus Weseners Hause.

JUNGFER ZIPFERSAAT.
Sie ist zu Hause, aber sie läßt sich nicht sprechen? Denk doch, ist sie so vornehm geworden?
MAGD.
Sie sagt sie hat zu tun, sie liest in einem Buch.
JUNGFER ZIPFERSAAT.
Sag Sie ihr nur, ich hätt ihr etwas zu sagen, woran ihr alles in der Welt gelegen ist.

Mariane kommt, ein Buch in der Hand. Mit nachlässigem Ton.
MARIANE.
Guten Morgen Jungfer Zipfersaat. Warum hat Sie sich nicht gesetzt?
JUNGFER ZIPFERSAAT.
Ich kam Ihr nur zu sagen, daß der Baron Desportes diesen Morgen weggelaufen ist.
MARIANE.
Was redst du da?

Ganz außer sich.
JUNGFER ZIPFERSAAT.

Sie kann es mir glauben, er ist meinem Vetter über die siebenhundert Taler schuldig geblieben, und als sie auf sein Zimmer kamen, fanden sie alles ausgeräumt und einen Zettel auf dem Tisch, wo er [212] ihnen schrieb, sie sollten sich keine vergebliche Mühe geben ihm nachzusetzen, er hab seinen Abschied genommen und wolle in österreichische Dienste gehen.

MARIANE
schluchsend läuft heraus und ruft.
Pappa! Pappa!
WESENER
hinter der Szene.
Na was ist?
MARIANE.
Komm Er doch geschwind herauf, lieber Pappa!
JUNGER ZIPFERSAAT.
Da sieht Sie wie die Herren Offiziers sind. Das hätt ich Ihr wollen zum voraus sagen.
WESENER
kommt herein.
Na was ist – Ihr Diener Jungfer Zipfersaat.
MARIANE.
Pappa was sollen wir anfangen? Der Desportes ist weggelaufen.
WESENER.
Ei sieh doch, wer erzählt dir denn so artige Histörchen.
MARIANE.

Er ist dem jungen Herrn Seidenhändler Zipfersaat siebenhundert Taler schuldig geblieben und hat einen Zettel auf dem Tisch gelassen, daß er in seinem Leben nicht nach Flandern wiederkommen will.

WESENER
sehr böse.

Was das ein gottloses verdammtes Gered – Sich auf die Brust schlagend. Ich sag gut für die siebenhundert Taler, versteht Sie mich Jungfer Zipfersaat? Und für noch einmal soviel wenn Sie's haben will. Ich hab mit dem Hause über die dreißig Jahr verkehrt, aber das sind die gottsvergessenen Neider –

JUNGFER ZIPFERSAAT.

Das wird meinem Vetter eine große Freude machen Herr Wesener, wenn Sie es auf sich nehmen wollen den guten Namen vom Herrn Baron zu retten.

WESENER.

Ich geh mit Ihr, den Augenblick. Sucht seinen Hut. Ich will den Leuten das Maul stopfen, die sich unterstehen wollen, mir das Haus in üblen Ruf zu bringen, versteht Sie mich.

MARIANE.
Aber Papa – Ungeduldig. O ich wünschte daß ich ihn nie gesehen hätte.

[213] Wesener und Jungfer Zipfersaat gehen ab.
MARIANE
wirft sich in den Sorgstuhl und nachdem sie eine Weile in tiefen Gedanken gesessen, ruft sie ängstlich.
Lotte! – – Lotte!

Charlotte kommt.
CHARLOTTE.
Na was willst du denn, daß du mich so rufst.
MARIANE
geht ihr entgegen.
Lottchen – mein liebes Lottchen. Ihr unter dem Kinn streichelnd.
CHARLOTTE.
Na Gott behüt, wo kommt das Wunder?
MARIANE.
Du bist auch mein allerbestes Scharlottel, du.
CHARLOTTE.
Gewiß will Sie wieder Geld von mir leihen.
MARIANE.
Ich will dir auch alles zu Gefallen tun.
CHARLOTTE.
Ei was ich habe nicht Zeit.

Will gehen.
MARIANE
hält sie.
So hör doch – nur für einen Augenblick – kannst du mir nicht helfen einen Brief schreiben?
CHARLOTTE.
Ich habe nicht Zeit.
MARIANE.
Nur ein paar Zeilen – ich laß dir auch die Perlen vor sechs Livres.
CHARLOTTE.
An wen denn?
MARIANE
beschämt.
An den Stolzius.
CHARLOTTE
fängt an zu lachen.
Schlägt Ihr das Gewissen?
MARIANE
halb weinend.
So laß doch –
CHARLOTTE
setzt sich an den Tisch.
Na was willst du ihm denn schreiben – Sie weiß wie ungern ich schreib.
MARIANE.

Ich hab so ein Zittern in den Händen – schreib so oben oder in einer Reihe wie du willst: »Mein liebwertester Freund.«

CHARLOTTE.
Mein liebwertester Freund.
MARIANE.
»Dero haben in Ihren letzten Schreiben mir billige Gelegenheit gegeben, da meine Ehre angegriffen.«
CHARLOTTE.
Angegriffen.
MARIANE.

»Indessen müssen nicht alle Ausdrücke auf der Waagschale legen, sondern auf das Herz ansehen, das Ihnen« – wart wie soll ich nun schreiben.

[214]
CHARLOTTE.
Was weiß ich?
MARIANE.
So sag doch wie heißt das Wort nun.
CHARLOTTE.
Weiß ich denn was du ihm schreiben willst.
MARIANE.
»Daß mein Herz und –«

Fängt an zu weinen und wirft sich in den Lehnstuhl.
CHARLOTTE
sieht sie an und lacht.
Na was soll ich ihm denn schreiben?
MARIANE
schluchsend.
Schreib was du willst.
CHARLOTTE
schreibt und liest.
»Daß mein Herz nicht so wankelmütig ist als Sie es sich vorstellen« – ist so recht?
MARIANE
springt auf und sieht ihr über die Schulter.
Ja so ist recht, so ist recht. Sie umhalsend. Mein altes Scharlottel du.
CHARLOTTE.
Na so laß Sie mich doch ausschreiben.
MARIANE
spaziert ein paarmal auf und ab, dann springt sie plötzlich zu ihr, reißt ihr das Papier unter dem Arm weg und zerreißt's in tausend Stücken.
CHARLOTTE
in Wut.

Na seht doch – ist das nicht ein Luder – eben da ich den besten Gedanken hatte – aber so eine Canaille ist Sie.

MARIANE.
Canaille vous même.
CHARLOTTE
droht ihr mit dem Dintenfaß.
Du –
MARIANE.
Sie sucht einen noch mehr zu kränken, wenn man schon im Unglück ist.
CHARLOTTE.
Luder! warum zerreißt du denn, da ich eben im besten Schreiben bin.
MARIANE
ganz hitzig.
Schimpf nicht!
CHARLOTTE
auch halb weinend.
Warum zerreißt du denn?
MARIANE.

Soll ich ihm denn vorlügen? Fängt äußerst heftig an zu weinen und wirft sich mit dem Gesicht auf einen Stuhl.

WESENER
tritt herein.

Mariane sieht auf und fliegt ihm an den Hals.
MARIANE
zitternd.
Pappa, lieber Pappa, wie steht's – um Gotteswillen, red Er doch.
[215]
WESENER.
So sei doch nicht so närrisch, er ist ja nicht aus der Welt, Sie tut ja wie abgeschmackt –
MARIANE.
Wenn er aber fort ist –
WESENER.

Wenn er fort ist so muß er wiederkommen, ich glaube Sie hat den Verstand verloren und will mich auch wunderlich machen. Ich kenne das Haus seit länger als gestern, sie werden doch das nicht wollen auf sich sitzen lassen. Kurz und gut, schick herauf zu unserm Notarius droben, ob er zu Hause ist, ich will den Wechsel, den ich für ihn unterschrieben habe, fidimieren lassen, zugleich die Kopei von dem Promesse de Mariage, und alles den Eltern zuschicken.

MARIANE.
Ach Papa, lieber Pappa! ich will gleich selber laufen und ihn holen.

Läuft über Hals und Kopf ab.
WESENER.

Das Mädel kann Gott verzeih mir einem Louis quatorze selber das Herz machen in die Hosen fallen. Aber schlecht ist das auch von Monsieur le Baron, ich will es bei seinem Herrn Vatter schon für ihn kochen, wart du nur. – Wo bleibt sie denn? Geht Marianen nach.

4. Szene
Vierte Szene
In Armentières.
Ein Spaziergang auf dem eingegangenen Stadtgraben.
Eisenhardt und Pirzel spazieren.

EISENHARDT.

Herr von Mary will das Semester in Lille zubringen, was mag das zu bedeuten haben? Er hat doch dort keine Verwandte, soviel ich weiß.

PIRZEL.

Er ist auch keiner von denen, die es weghaben. Flüchtig, flüchtig – Aber der Obristlieutenant, das ist ein Mann.

EISENHARDT
bei Seite.

Weh mir, wie bring ich den Menschen [216] aus seiner Metaphysik zurück – Laut. Um den Menschen zu kennen müßte man meines Erachtens bei dem Frauenzimmer anfangen.

PIRZEL
schüttelt den Kopf.
EISENHARDT
bei Seite.

Was die andern zuviel sind ist der zu wenig. O Soldatenstand, furchtbare Ehlosigkeit, was für Karikaturen machst du aus den Menschen.

PIRZEL.

Sie meinen beim Frauenzimmer – das wär grad als ob man bei den Schafen anfinge. Nein, was der Mensch ist –


Den Finger an der Nase.
EISENHARDT
bei Seite.

Der philosophiert mich zu Tode. Laut. Ich habe die Anmerkung gemacht, daß man in diesem Monat keinen Schritt vors Tor tun kann, wo man nicht einen Soldaten mit einem Mädchen karessieren sieht.

PIRZEL.
Das macht weil die Leute nicht denken.
EISENHARDT.
Aber hindert Sie das Denken nicht zuweilen im Exerzieren?
PIRZEL.

Ganz und gar nicht, das geht so mechanisch. Haben doch die andern auch nicht die Gedanken beisammen, sondern schweben ihnen alleweile die schönen Mädchens vor den Augen.

EISENHARDT.
Das muß seltsame Bataillen geben. Ein ganzes Regiment mit verrückten Köpfen muß Wundertaten tun.
PIRZEL.
Das geht alles mechanisch.
EISENHARDT.

Ja aber Sie laufen auch mechanisch. Die preußischen Kugeln müssen Sie bisweilen sehr unsanft aus Ihren süßen Träumen geweckt haben.Gehen weiter.

[217]
5. Szene
Fünfte Szene
In Lille.
Marys Wohnung.
Mary. Stolzius als Soldat.

MARY
zeichnet, sieht auf.
Wer da? Sieht ihn lang an und steht auf. Stolzius?
STOLZIUS.
Ja Herr.
MARY.

Wo zum Sackerment kommt Ihr denn her? und in diesem Rock? Kehrt ihn um. Wie verändert, wie abgefallen, wie blaß? Ihr könntet mir's hundertmal sagen, Ihr wärt Stolzius, ich glaubt es Euch nicht.

STOLZIUS.

Das macht der Schnurrbart gnädiger Herr. Ich hörte daß Ew. Gnaden einen Bedienten brauchten, und weil ich dem Herrn Obristen sicher bin, so hat er mir die Erlaubnis gegeben hieherzukommen, um allenfalls Ihnen einige Rekruten anwerben zu helfen und Sie zu bedienen.

MARY.

Bravo! Ihr seid ein braver Kerl! und das gefällt mir daß Ihr dem König dient. Was kommt auch heraus bei dem Philisterleben. Und Ihr habt was zuzusetzen, Ihr könnt honett leben und es noch einmal weit bringen, ich will für Euch sorgen, das könnt Ihr versichert sein. Kommt nur, ich will gleich ein Zimmer für Euch besprechen, Ihr sollt diesen ganzen Winter bei mir bleiben, ich will es schon gut machen beim Obristen.

STOLZIUS.
Solang ich meine Schildwachten bezahle, kann mir niemand was anhaben. Gehen ab.
6. Szene
Sechste Szene
Frau Wesenern. Mariane. Charlotte.

FRAU WESENERN.

Es ist eine Schande wie Sie mit ihm umgeht. Ich seh keinen Unterschied, wie du dem Desportes begegnet bist, so begegnest du ihm auch.

[218]
MARIANE.

Was soll ich denn machen Mamma? Wenn er nun sein bester Freund ist und er uns allein noch Nachrichten von ihm verschaffen kann.

CHARLOTTE.
Wenn er dir nicht soviele Präsente machte, würdst du auch anders mit ihm sein.
MARIANE.

Soll ich ihm denn die Präsente ins Gesicht zurückwerfen? Ich muß doch wohl höflich mit ihm sein da er noch der einzige ist der mit ihm korrespondiert. Wenn ich ihn abschrecke, da wird schön Dings herauskommen, er fängt ja alle Briefe auf die der Pappa an seinen Vater schreibt, das hört Sie ja.

FRAU WESENERN.
Kurz und gut, du sollst nun nicht ausfahren mit diesem, ich leid es nicht.
MARIANE.
So komm Sie denn mit Mama! er hat Pferd und Cabriolet bestellt, sollen die wieder zurückfahren?
FRAU WESENER.
Was geht's mich an?
MARIANE.

So komm du denn mit Lotte – Was fang ich nun an? Mamma Sie weiß nicht was ich alles aussteh um Ihrentwillen.

CHARLOTTE.
Sie ist frech obenein.
MARIANE.
Schweig du nur still.
LOTTE
etwas leise für sich.
Soldatenmensch.
MARIANE
tut als ob sie's nicht hörte und fährt fort sich vor dem Spiegel zu putzen.
Wenn wir den Mary beleidigen, so haben wir alles uns selber vorzuwerfen.
LOTTE
laut, indem sie schnell zur Stube hinausgeht.
Soldatenmensch!
MARIANE
kehrt sich um.
Seh Sie nur Mamma! Die Hände faltend.
FRAU WESENER.
Wer kann dir helfen, du machst es darnach.

Mary tritt herein.
MARIANE
heitert schnell ihr Gesicht auf.

Mit der größten Munterkeit und Freundlichkeit ihm entgegen gehend. Ihre Dienerin Herr von Mary! haben Sie wohl geschlafen?

[219]
MARY.

Unvergleichlich meine gnädige Mademoiselle! ich habe das ganze gestrige Feuerwerk im Traum zum andernmal gesehen.

MARIANE.
Es war doch recht schön.
MARY.
Es muß wohl schön gewesen sein, weil es Ihre Approbation hat.
MARIANE.

O ich bin keine Connoisseuse von den Sachen, ich sage nur wieder, wie ich es von Ihnen gehört habe. Er küßt ihr die Hand, sie macht einen tiefen Knicks. Sie sehen uns hier noch ganz in Rumor, meine Mutter wird gleich fertig sein.

MARY.
Madam Wesener kommen also mit?
FRAU WESENER
trocken.
Wie so? ist kein Platz für mich da?
MARY.
O ja, ich steh hinten auf und mein Caspar kann zu Fuß vorangehn.
MARIANE.

Hören Sie, Ihr Soldat gleicht sehr viel einem gewissen Menschen den ich ehemals gekannt habe und der auch um mich angehalten hat.

MARY.
Und Sie gaben ihm ein Körbchen. Daran ist auch der Desportes wohl schuld gewesen.
MARIANE.
Er hat mir's eingetränkt.
MARY.

Wollen wir? Er bietet ihr die Hand, sie macht ihm einen Knicks und winkt auf ihre Mutter, er gibt Frau Wesenern die Hand und sie folgt ihnen.

7. Szene
Siebente Szene
In Philippeville.
Desportes allein, ausgezogen, in einem grünen Zimmer, einen Brief schreibend, ein brennend Licht vor ihm.

DESPORTES
brummt indem er schreibt.

Ich muß ihr doch das Maul schmieren ein wenig, sonst nimmt das Briefschreiben kein Ende, und mein Vater fängt noch wohl [220] gar einmal einen auf. Liest den Brief. »Ihr bester Vater ist böse auf mich, daß ich ihn solange aufs Geld warten lasse, ich bitte Sie, besänftigen Sie ihn, bis ich eine bequeme Gelegenheit finde, meinem Vater alles zu entdecken und ihn zu der Einwilligung zu bewegen, Sie, meine Geliebte, auf ewig zu besitzen. Denken Sie ich bin in der größten Angst, daß er nicht schon einige von Ihren Briefen aufgefangen hat, denn ich sehe aus Ihrem letzten, daß Sie viele an mich müssen geschrieben haben, die ich nicht erhalten habe. Und das könnte uns alles verderben. Darf ich bitten, so schreiben Sie nicht eher an mich, als bis ich Ihnen eine neue Adresse geschickt habe unter der ich die Briefe sicher erhalten kann.« Siegelt zu. Wenn ich den Mary recht verliebt in sie machen könnte, daß sie mich vielleicht vergißt. Ich will ihm schreiben, er soll nicht von meiner Seite kommen, wenn ich meine anbetungswürdige Mariane werde glücklich gemacht haben, er soll ihr Cicisbeo sein, wart nur. Spaziert einigemal tiefsinnig auf und nieder, dann geht er heraus.

8. Szene
Achte Szene
In Lille.
Der Gräfin La Roche Wohnung.
Die Gräfin. Ein Bedienter.

GRÄFIN
sieht nach ihrer Uhr.
Ist der junge Herr noch nicht zurückgekommen?
BEDIENTER.
Nein gnädige Frau.
GRÄFIN.

Gebt mir den Hauptschlüssel und legt Euch schlafen. Ich werde dem jungen Herrn selber aufmachen. Was macht Jungfer Cathrinchen?

BEDIENTER.
Sie hat den Abend große Hitze gehabt.
[221]
GRÄFIN.

Geht nur noch einmal hinein und seht ob die Mademoiselle auch noch munter ist. Sagt ihr nur, ich gehe nicht zu Bett, um ein Uhr werde ich kommen und sie ablösen.

BEDIENTER
ab.
GRÄFIN
allein.

Muß denn ein Kind seiner Mutter bis ins Grab Schmerzen schaffen? Wenn du nicht mein Einziger wärst und ich dir kein so empfindliches Herz gegeben hätte – Man pocht. Sie geht heraus und kommt wieder herein mit ihm.

JUNGER GRAF.

Aber gnädige Mutter, wo ist denn der Bediente, die verfluchten Leute, wenn es nicht so spät wäre ich ließ den Augenblick nach der Wache gehen und ihm alle Knochen im Leibe entzweischlagen.

GRÄFIN.

Sachte, sachte mein Sohn. Wie wenn ich mich nun gegen dich so übereilte, wie du gegen den unschuldigen Menschen.

JUNGER GRAF.
Aber es ist doch nicht auszuhalten.
GRÄFIN.

Ich selbst habe ihn zu Bett geschickt. Ist's nicht genug daß der Kerl den ganzen Tag auf dich passen muß, soll er sich auch die Nachtruhe entziehen um deinetwillen. Ich glaube du willst mich lehren die Bedienten anzusehen wie die Bestien.

JUNGER GRAF
küßt ihr die Hand.
Gnädige Mutter.
GRÄFIN.

Ich muß ernsthaft mit dir reden, junger Mensch! Du fängst an, mir trübe Tage zu machen. Du weißt ich habe dich nie eingeschränkt, mich in alle deine Sachen gemischt als deine Freundin, nie als Mutter. Warum fängst du mir denn jetzt an, ein Geheimnis aus deinen Herzensangelegenheiten zu machen, da du doch sonst keine deiner jugendlichen Torheiten vor mir geheim hieltest und ich, weil ich selbst ein Frauenzimmer bin, dir allezeit den besten Rat zu geben wußte. Sieht ihn steif an. Du fängst an lüderlich zu werden mein Sohn.

JUNGER GRAF
ihr die Hand mit Tränen küssend.

Gnädige Mutter, ich schwöre Ihnen, ich habe kein Geheimnis für Sie. Sie haben mich nach dem Nachtessen mit Jungfer [222] Wesenern begegnet, Sie haben aus der Zeit und aus der Art mit der wir sprachen Schlüsse gemacht – es ist ein artig Mädchen und das ist alles.

GRÄFIN.

Ich will nichts mehr wissen. Sobald du Ursache zu haben glaubst mir was zu verhehlen – aber bedenk auch daß du hernach die Folgen deiner Handlungen nur dir selber zuzuschreiben hast. Fräulein Anklam hat hier Verwandte, und ich weiß daß Jungfer Wesenern nicht in dem besten Ruf steht, ich glaube, nicht aus ihrer Schuld, das arme Kind soll hintergangen worden sein.

JUNGER GRAF
kniend.

Eben das gnädige Mutter! eben ihr Unglück – Wenn Sie die Umstände wüßten, ja ich muß Ihnen alles sagen, ich fühle daß ich einen Anteil an dem Schicksal des Mädchens nehme – Und doch – wie leicht ist sie zu hintergehen gewesen, ein so leichtes offenes unschuldiges Herz – es quält mich Mama! daß sie nicht in bessere Hände gefallen ist.

GRÄFIN.

Mein Sohn, überlaß das Mitleiden mir. Glaube mir Umarmt ihn. glaube mir, ich habe kein härteres Herz als du. Aber mir kann das Mitleiden nicht so gefährlich werden. Höre meinen Rat, folge mir. Um deiner Ruhe willen, geh nicht mehr hin, reis aus der Stadt, reis zu Fräulein Anklam – und sei versichert daß es Jungfer Wesenern hier nicht übel werden soll. Du hast ihr in mir ihre zärtlichste Freundin zurückgelassen – Versprichst du mir das?

JUNGER GRAF
sieht sie lang zärtlich an.

Gut Mamma, ich verspreche Ihnen alles – Nur noch ein Wort eh ich reise. Es ist ein unglückliches Mädchen, das ist gewiß.

GRÄFIN.
Beruhige dich nur. Ihm auf die Backen klopfend. Ich glaube dir's mehr als du mir es sagen kannst.
JUNGER GRAF
steht auf und küßt ihr die Hand.
Ich kenne Sie – Beide gehen ab.
[223]
9. Szene
Neunte Szene
Frau Wesenern. Mariane.

MARIANE.
Laß Sie nur sein Mama! ich will ihn recht quälen.
FRAU WESENER.

Ach geh doch, was? er hat dich vergessen, er ist in drei Tagen nicht hier gewesen und die ganze Welt sagt, er hab sich verliebt in die kleine Madam Düval, da in der Brüßlerstraße.

MARIANE.
Sie kann nicht glauben wie kompläsant der Graf gegen mich ist.
FRAU WESENER.
Ei was der soll ja auch schon versprochen sein.
MARIANE.

So quäl ich doch den Mary damit. Er kommt den Abend nach dem Nachtessen wieder her. Wenn uns doch der Mary nur einmal begegnen wollte mit seiner Madam Düval.


Ein Bedienter tritt herein.
BEDIENTER.
Die Gräfin La Roche läßt fragen, ob Sie zu Hause sind.
MARIANE
in der äußersten Verwirrung.
Ach Himmel, die Mutter vom Herrn Grafen – Sag Er nur – Mamma so sag Sie doch, was soll er sagen.
FRAU WESENER
will gehen.
MARIANE.
Sag Er nur, es wird uns eine hohe Ehre – Mamma! Mamma! so red Sie doch.
FRAU WESENER.

Kannst du denn das Maul nicht auftun? Sag Er, es wird uns eine hohe Ehre sein – wir sind zwar in der größten Unordnung hier.

MARIANE.

Nein, nein, wart Er nur, ich will selber an den Wagen herabkommen. Geht herunter mit dem Bedienten. Die alte Wesenern geht fort.

[224]
10. Szene
Zehnte Szene
Die Gräfin La Roche und Mariane, die wieder hereinkommen.

MARIANE.
Sie werden verzeihen gnädige Frau, es ist hier alles in der größten Rappuse.
GRÄFIN.

Mein liebes Kind, Sie brauchen mit mir nicht die allergeringsten Umstände zu machen.Faßt sie an die Hand und setzt sich mit ihr aufs Kanapee. Sehen Sie mich als Ihre beste Freundin an Sie küssend. ich versichere Sie, daß ich den aufrichtigsten Anteil nehme an allem was Ihnen begegnen kann.

MARIANE
sich die Augen wischend.
Ich weiß nicht womit ich die besondere Gnade verdient habe, die Sie für mich tragen.
GRÄFIN.

Nichts von Gnade, ich bitte Sie. Es ist mir lieb, daß wir allein sind, ich habe Ihnen viel vieles zu sagen, das mir auf dem Herzen liegt, und Sie auch manches zu fragen. Mariane sehr aufmerksam, die Freude in ihrem Gesicht. Ich liebe Sie mein Engel! ich kann mich nicht enthalten, es Ihnen zu zeigen. Mariane küßt ihr inbrunstvoll die Hand. Ihr ganzes Betragen hat so etwas Offenes, so etwas Einnehmendes, daß mir Ihr Unglück dadurch doppelt schmerzhaft wird. Wissen Sie denn auch meine neue liebe Freundin daß man viel viel in der Stadt von Ihnen spricht.

MARIANE.
Ich weiß wohl, daß es allenthalben böse Zungen gibt.
GRÄFIN.

Nicht lauter böse, auch gute sprechen von Ihnen. Sie sind unglücklich, aber Sie können sich damit trösten daß Sie sich Ihr Unglück durch kein Laster zugezogen. Ihr einziger Fehler war, daß Sie die Welt nicht kannten, daß Sie den Unterscheid nicht kannten, der unter den verschiedenen Ständen herrscht, daß Sie die Pamela gelesen haben, das gefährlichste Buch das eine Person aus Ihrem Stande lesen kann.

[225]
MARIANE.
Ich kenne das Buch ganz und gar nicht.
GRÄFIN.
So haben Sie den Reden der jungen Leute zuviel getraut.
MARIANE.
Ich habe nur einem zuviel getraut und es ist noch nicht ausgemacht, ob er falsch gegen mich denkt.
GRÄFIN.

Gut liebe Freundin! aber sagen Sie mir, ich bitte Sie, wie kamen Sie doch dazu, über Ihren Stand heraus sich nach einem Mann umzusehen. Ihre Gestalt, dachten Sie, könnte Sie schon weiter führen als Ihre Gespielinnen; ach liebe Freundin, eben das hätte Sie sollen vorsichtiger machen. Schönheit ist niemals ein Mittel, eine gute Heurat zu stiften, und niemand hat mehr Ursache zu zittern als ein schön Gesicht. Tausend Gefahren mit Blumen überstreut, tausend Anbeter und keinen Freund, tausend unbarmherzige Verräter.

MARIANE.
Ach gnädige Frau, ich weiß wohl daß ich häßlich bin.
GRÄFIN.

Keine falsche Bescheidenheit. Sie sind schön, der Himmel hat Sie damit gestraft. Es fanden sich Leute über Ihren Stand die Ihnen Versprechungen taten. Sie sahen gar keine Schwürigkeit eine Stufe höher zu rücken, Sie verachteten Ihre Gespielinnen, Sie glaubten nicht nötig zu haben, sich andere liebenswürdige Eigenschaften zu erwerben, Sie scheuten die Arbeit, Sie begegneten jungen Mannsleuten Ihres Standes verächtlich, Sie wurden gehaßt. Armes Kind! wie glücklich hätten Sie einen rechtschaffenen Bürger machen können, wenn Sie diese fürtreffliche Gesichtszüge, dieses einnehmende bezaubernde Wesen mit einem demütigen menschenfreundlichen Geist beseelt hätten, wie wären Sie von allen Ihres gleichen angebetet, von allen Vornehmen nachgeahmt und bewundert worden. Aber Sie wollten von Ihresgleichen beneidet werden. Armes Kind, wo dachten Sie hin und gegen welch ein elendes Glück wollten Sie alle diese Vorzüge eintauschen? Die Frau eines Mannes zu [226] werden, der um Ihrentwillen von seiner ganzen Familie gehaßt und verachtet würde. Und einem so unglücklichen Hazardspiel zu Gefallen Ihr ganzes Glück, Ihre ganze Ehre, Ihr Leben selber auf die Karte zu setzen. Wo dachten Sie hinaus? wo dachten Ihre Eltern hinaus? Armes betrogenes durch die Eitelkeit gemißhandeltes Kind. Drückt sie an ihre Brust. Ich wollte mein Blut hergeben, daß das nicht geschehen wäre.

MARIANE
weint auf ihre Hand.
Er liebte mich aber.
GRÄFIN.

Die Liebe eines Offiziers Mariane – eines Menschen, der an jede Art von Ausschweifung, von Veränderung gewöhnt ist, der ein braver Soldat zu sein aufhört, sobald er ein treuer Liebhaber wird, der dem König schwört es nicht zu sein und sich dafür von ihm bezahlen läßt. Und Sie glaubten die einzige Person auf der Welt zu sein, die ihn trotz des Zorns seiner Eltern, trotz des Hochmuts seiner Familie, trotz seines Schwurs, trotz seines Charakters, trotz der ganzen Welt treu erhalten wollten? Das heißt, Sie wollten die Welt umkehren. – – Und da Sie nun sehen daß es fehlgeschlagen hat, so glauben Sie bei andern Ihren Plan auszuführen und sehen nicht, daß das was Sie für Liebe bei den Leuten halten, nichts als Mitleiden mit Ihrer Geschichte, oder gar was Schlimmers ist. Mariane fällt vor ihr auf die Knie, verbirgt ihr Gesicht in ihren Schoß und schluchst. Entschließ dich bestes Kind! unglückliches Mädchen, noch ist es Zeit, noch ist der Abgrund zu vermeiden, ich will sterben, wenn ich dich nicht herausziehe. Lassen Sie sich alle Anschläge auf meinen Sohn vergehen, er ist versprochen, die Fräulein Anklam hat seine Hand und sein Herz. Aber kommen Sie mit in mein Haus, Ihre Ehre hat einen großen Stoß gelitten, das ist der einzige Weg, sie wieder herzustellen. Werden Sie meine Gesellschafterin und machen Sie sich gefaßt in einem Jahr keine Mannsperson zu sehen. Sie sollen mir meine Tochter erziehen helfen – kommen Sie wir wollen [227] gleich zu Ihrer Mutter gehen und sie um Erlaubnis bitten, daß Sie mit mir fahren dürfen.

MARIANE
hebt den Kopf rührend aus ihrem Schoß auf.
Gnädige Frau – es ist zu spät.
GRÄFIN
hastig.

Es ist nie zu spät vernünftig zu werden. Ich setze Ihnen tausend Taler zur Aussteuer aus, ich weiß daß Ihre Eltern Schulden haben.

MARIANE
noch immer auf den Knien, halb rückwärts fallend, mit gefaltenen Händen.

Ach gnädige Frau, erlauben Sie mir daß ich mich drüber bedenke – daß ich alles das meiner Mutter vorstelle.

GRÄFIN.

Gut liebes Kind, tun Sie Ihr Bestes – Sie sollen Zeitvertreib genug bei mir haben, ich will Sie im Zeichnen, Tanzen und Singen unterrichten lassen.

MARIANE
fällt auf ihr Gesicht.
O gar zu, gar zu gnädige Frau.
GRÄFIN.

Ich muß fort – Ihre Mutter würde mich in einem wunderlichen Zustand antreffen. Geht schnell ab, sieht noch durch die Tür hinein nach Marianen, die noch immer wie im Gebet liegt. Adieu Kind! Ab.

4. Akt

1. Szene
Erste Szene
Mary. Stolzius.

MARY.

Soll ich dir aufrichtig sagen Stolzius, wenn der Desportes das Mädchen nicht heuratet, so heurate ich's. Ich bin zum Rasendwerden verliebt in sie. Ich habe schon versucht mir die Gedanken zu zerstreuen, du weißt wohl mit der Duval, und denn gefällt mir die Wirtschaft mit dem Grafen gar nicht und daß die Gräfin sie nun gar ins Haus genommen hat, aber alles das – verschlägt [228] doch nichts, ich kann mir die Narrheit nicht aus dem Kopf bringen.

STOLZIUS.
Schreibt denn der Desportes gar nicht mehr.
MARY.

Ei freilich schreibt er. Sein Vater hat ihn neulich wollen zu einer Heurat zwingen und ihn vierzehn Tage bei Wasser und Brod eingesperrt – – Sich an den Kopf schlagend. Und wenn ich noch so denke, wie sie neulich im Mondschein mit mir spazieren ging und mir ihre Not klagte, wie sie manchmal mitten in der Nacht aufspränge, wenn ihr die schwermütigen Gedanken einkämen, und nach einem Messer suchte.

STOLZIUS
zittert.
MARY.

Ich fragte, ob sie mich auch liebte. Sie sagte, sie liebte mich zärtlicher als alle ihre Freunde und Verwandten, und drückte meine Hand gegen ihre Brust.

STOLZIUS
wendet sein Gesicht gegen die Wand.
MARY.

Und als ich sie um ein Schmätzchen bat, so sagte sie, wenn es in ihrer Gewalt stünde mich glücklich zu machen, so täte sie es gewiß. So aber müßte ich erst die Erlaubnis vom Desportes haben. – Faßt Stolzius hastig an. Kerl der Teufel soll mich holen, wenn ich sie nicht heurate, wenn der Desportes sie sitzen läßt.

STOLZIUS
sehr kalt.
Sie soll doch recht gut mit der Gräfin sein.
MARY.
Wenn ich nur wüßte, wie man sie zu sprechen bekommen könnte. Erkundige dich doch.
2. Szene
Zweite Szene
In Armentières.
Desportes in der Prison. Haudy bei ihm.

DESPORTES.
Es ist mir recht lieb, daß ich in Prison itzt bin, so erfährt kein Mensch, daß ich hier sei.
[229]
HAUDY.
Ich will den Kameraden allen verbieten es zu sagen.
DESPORTES.
Vor allen Dingen daß es nur der Mary nicht erfährt.
HAUDY.

Und der Rammler. Der ohnedem so ein großer Freund von dir sein will, und sagt er ist mit Fleiß darum ein paar Wochen später zum Regiment gekommen, um dir die Anciennität zu lassen.

DESPORTES.
Der Narr.
HAUDY.

O hör, neulich ist wieder ein Streich mit ihm gewesen, der zum Fressen ist. Du weißt der Gilbert logiert bei einer alten krummen schielenden Witwe, bloß um ihrer schönen Cousine willen, nun gibt er alle Woche der zu Gefallen ein Konzert im Hause, einmal besäuft sich mein Rammler und weil er meint die Cousine schläft dort, so schleicht er sich vom Nachtessen weg und nach seiner gewöhnlichen Politik obenauf in der Witwe Schlafzimmer, zieht sich aus und legt sich zu Bette. Die Witwe die sich auch den Kopf etwas warm gemacht hat, bringt noch erst ihre Cousine, die auf der Nachbarschaft wohnt, mit der Laterne nach Hause; wir meinen unser Rammler ist nach Hause gegangen, sie steigt hernach in ihr Zimmer herauf, will sich zu Bett legen und findt meinen Monsieur da, der in der äußersten Konfusion ist. Er entschuldigt sich er habe die Gelegenheit vom Hause nicht gewußt, sie transportiert ihn ohne viele Mühe wieder herunter und wir lachen uns über den Mißverstand die Bäuche fast entzwei. Er bittet sie und uns alle um Gotteswillen doch keinem Menschen was von der Historie zu sagen. Du weißt nun aber wie der Gilbert ist, der hat's nun alles dem Mädel wiedererzählt und die hat dem alten Weibe steif und fest in den Kopf gesetzt, Rammler wäre verliebt in sie. In der Tat hat er auch ein Zimmer in dem Hause gemietet, vielleicht um sie zu bewegen nicht Lärm davon zu machen. Nun solltest du aber dein Himmelsgaudium haben, ihn und das alte [230] Mensch in Gesellschaft zusammen zu sehen. Sie minaudiert und liebäugelt und verzerrt ihr schiefes runzligtes Gesicht gegen ihn, daß man sterben möchte, und er mit seiner roten Habichtsnase und den stieren erschrocknen Augen – siehst du es ist ein Anblick, an den man nicht denken kann ohne zu zerspringen.

DESPORTES.

Wenn ich wieder frei werde soll doch mein erster Gang zu Gilbert sein. Meine Mutter wird nächstens an den Obristen schreiben, das Regiment soll für meine Schulden gut sagen.

3. Szene
Dritte Szene
In Lille.
Ein Gärtchen an der Gräfin La Roche Hause.
Die Gräfin in einer Allee.

GRÄFIN.

Was das Mädchen haben mag, daß es so spät in den Garten hinausgegangen ist. Ich fürchte, ich fürchte es ist etwas Abgeredtes. Sie zeichnet zerstreut, spielt die Harfe zerstreut, ist immer abwesend wenn ihr der Sprachmeister was vorsagt – still hör ich nicht jemand – ja sie ist oben im Lusthause und von der Straße antwortet ihr jemand.


Lehnt ihr Ohr an die grüne Wand des Gartens.
Hinter der Szene.
MARYS STIMME.
Ist das erlaubt, alle Freunde, alles was Ihnen lieb war so zu vergessen?
MARIANENS STIMME.

Ach lieber Herr Mary, es tut mir leid genug, aber es muß schon so sein. Ich versichere Ihnen die Frau Gräfin ist die scharmanteste Frau die auf Gottes Erdboden ist.

MARY.

Sie sind ja aber wie in einem Kloster da, wollen Sie denn gar nicht mehr in die Welt? Wissen Sie daß [231] Desportes geschrieben hat, er ist untröstlich, er will wissen wo Sie sind und warum Sie ihm nicht antworten?

MARIANE.
So? – Ach ich muß ihn vergessen, sagen Sie ihm das, er soll mich nur auch vergessen.
MARY.
Warum denn? – Grausame Mademoiselle! ist das erlaubt, Freunden so zu begegnen.
MARIANE.

Es kann nun schon nicht anders sein – Ach Herr Gott, ich höre jemand im Garten unten. Adieu, adieu – Flattieren Sie sich nur nicht –


Kommt herunter.
GRÄFIN.
So Mariane! ihr gebt euch Rendezvous.
MARIANE
äußerst erschrocken.

Ach gnädige Frau – es war ein Verwandter von mir – mein Vetter und der hat nun erst erfahren wo ich bin –

GRÄFIN
sehr ernsthaft.
Ich habe alles gehört.
MARIANE
halb auf Knien.
Ach Gott so verzeihen Sie mir nur diesmal.
GRÄFIN.

Mädchen du bist wie das Bäumchen hier im Abendwinde, jeder Hauch verändert dich. Was denkst du denn, daß du hier unter meinen Augen den Faden mit dem Desportes wieder anzuspinnen denkst, dir Rendezvous mit seinen guten Freunden gibst. Hätt ich das gewußt, ich hätte mich deiner nicht angenommen.

MARIANE.
Verzeihen Sie mir nur diesmal.
GRÄFIN.
Ich verzeih es dir niemals wenn du wider dein eigen Glück handelst. Geh!
MARIANE
geht ganz verzweiflungsvoll ab.
GRÄFIN
allein.

Ich weiß nicht ob ich dem Mädchen ihren Roman fast mit gutem Gewissen nehmen darf. Was behält das Leben für Reiz übrig, wenn unsere Imagination nicht welchen hineinträgt; Essen, Trinken, Beschäftigungen ohne Aussicht, ohne sich selbst gebildetem Vergnügen sind nur ein gefristeter Tod. Das fühlt sie auch wohl und stellt sich nur vergnügt. Wenn ich etwas ausfündig machen könnte, ihre Phantasei mit meiner Klugheit zu vereinigen, ihr Herz, nicht ihren Verstand zu zwingen mir zu folgen.

[232]
4. Szene
Vierte Szene
In Armentières.
Desportes im Prison, hastig auf- und abgehend, einen Brief in der Hand.

DESPORTES.

Wenn sie mir hieher kommt, ist mein ganzes Glück verdorben – zu Schand und Spott bei allen Kameraden. Setzt sich und schreibt. – – Mein Vater darf sie auch nicht sehen –

5. Szene
Fünfte Szene
In Lille.
Weseners Haus.
Der alte Wesener. Ein Bedienter der Gräfin.

WESENER.
Mariane fortgelaufen –! Ich bin des Todes. Läuft heraus. Der Bediente folgt ihm.
6. Szene
Sechste Szene
Marys Wohnung.
Mary. Stolzius, der ganz bleich und verwildert dasteht.

MARY.

So laßt uns ihr nachsetzen, zum tausend Sackerment. Ich bin schuld an allem. Gleich lauf hin und bring Pferde her.

STOLZIUS.
Wenn man nur wissen könnte, wohin –
MARY.
Nach Armentières. Wo kann sie anders hinsein. Beide ab.
[233]
7. Szene
Siebente Szene
Weseners Haus.
Frau Wesener und Charlotte in Kappen. Wesener kommt wieder.

WESENER.

Es ist alles umsonst. Sie ist nirgends ausfündig zu machen. Schlägt in die Hände. Gott! – wer weiß wo sie sich ertränkt hat.

CHARLOTTE.
Wer weiß aber noch Papa –
WESENER.

Nichts. Die Boten der Frau Gräfin sind wiedergekommen und es ist noch keine halbe Stunde daß man sie vermißt hat. Zu jedem Tor ist einer herausgeritten und sie kann doch nicht aus der Welt sein in so kurzer Zeit.

8. Szene
Achte Szene
In Philippeville.
Desportes' Jäger einen Brief von seinem Herrn in der Hand.

JÄGER.

O! da kommt mir ja ein schönes Stück Wildpret recht ins Garn hereingelaufen. Sie hat meinem Herrn geschrieben, sie würde grad nach Philippeville zu ihm kommen Sieht in den Brief. zu Fuß – o das arme Kind – ich will dich erfrischen.

9. Szene
Neunte Szene
In Armentières.
Ein Konzert im Hause der Frau Bischof.
Verschiedene Damen im Kreise um das Orchester, unter denen auch Frau Bischof und ihre Cousine. Verschiedene [234] Offiziere, unter denen auch Haudy, Rammler, Mary, Desportes, Gilbert, stehen vor ihnen und unterhalten die Damen.

MADEMOISELLE BISCHOF
zu Rammler.
Und Sie sind auch hier eingezogen, Herr Baron?
RAMMLER
verbeugt sich stillschweigend und wird rot über und über.
HAUDY.
Er hat sein Logis im zweiten Stock genommen grad gegenüber Ihrer Frau Base Schlafkammer.
MADEMOISELLE BISCHOF.
Das hab ich gehört. Ich wünsche meiner Base viel Glück.
MADAME BISCHOF
schielt und lächelt auf eine kokette Art.

He he he, der Herr Baron wäre wohl nicht eingezogen, wenn ihm nicht der Herr von Gilbert mein Haus so rekummandiert hätte. Und zum andern begegne ich allen meinen Herren auf eine solche Art, daß sie sich nicht über mich werden zu beklagen haben.

MADEMOISELLE BISCHOF.
Das glaub ich, Sie werden sich gut miteinander vertragen.
GILBERT.
Es ist mit alledem so ein kleiner Haken unter den beiden, sonst wäre Rammler nicht hier eingezogen.
MADAME BISCHOF.

So? Hält den Fächer vorm Gesicht. He he he, seiter wenn denn, meinten Sie, Herr von Gilbert, seiter wenn denn?

HAUDY.
Seit dem letzten Konzert-Abend, wissen Sie wohl Madame.
RAMMLER
zupft Haudy.
Haudy.
MADAME BISCHOF
schlägt ihn mit dem Fächer.
Unartiger Herr Major! müssen Sie denn auch alles gleich herausplappern.
RAMMLER.

Madame! ich weiß gar nicht, wie wir so familiär mit einander sollten geworden sein, ich bitte mir's aus –

MADAME BISCHOF
sehr böse.

So Herr? und Sie wollen sich noch mausig machen, und zum andern müßten Sie [235] sich das noch für eine große Ehre halten wenn eine Frau von meinem Alter und von meinem Charaktère sich familiär mit Ihnen gemacht hätte, und denk doch einmal was Er sich nicht einbildt der junge Herr.

ALLE OFFIZIERS.
Ach Rammler – Pfui Rammler – das ist doch nicht recht wie du der Madam begegnest.
RAMMLER.

Madame halten Sie das Maul oder ich brech Ihnen Arm und Bein entzwei und werf Sie zum Fenster hinaus.

MADAME BISCHOF
steht wütend auf.
Herr komm Er Faßt ihn an Arm. – den Augenblick komm Er, probier Er mir was Leids zu tun.
ALLE.
In die Schlafkammer Rammler, Sie fodert dich heraus.
MADAME BISCHOF.

Wenn Er sich noch breit macht, so werf ich ihn aus dem Hause heraus weiß Er das. Und der Weg zum Kommendanten ist nicht weit. Fängt an zu weinen. Denk doch mir in meinem eigenen Hause Impertinenzien zu sagen, der impertinente Flegel –

MADEMOISELLE BISCHOF.

Nun still doch Bäslein, der Herr Baron hat es ja so übel nicht gemeint. Er hat ja nur gespaßt, so sei Sie doch ruhig.

GILBERT.
Rammler sei vernünftig, ich bitte dich. Was für Ehre hast du davon ein alt Weib zu beleidigen.
RAMMLER.
Ihr könnt mir alle –

Läuft heraus.
MARY.
Ist das nicht lustig Desportes? Was fehlt dir? Du lachst ja nicht.
DESPORTES.
Ich hab erstaunende Stiche auf der Brust. Der Katarrh wird mich noch umbringen.
MARY.

Ist das aber nicht zum Zerspringen mit dem Original? Sahst du wie er braun und blau um die Nase ward für Ärgernis. Ein andrer würde sich lustig gemacht haben mit der alten Vettel.

STOLZIUS
kommt herein und zupft Mary.
MARY.
Was ist?
STOLZIUS.

Nehmen Sie doch nicht ungnädig Herr Lieutenant! [236] wollten Sie nicht auf einen Augenblick in die Kammer kommen.

MARY.
Was gibt's denn? Habt Ihr wo was erfahren.
STOLZIUS
schüttelt mit dem Kopf.
MARY.
Nun denn Geht etwas weiter vorwärts. – so sagt nur hier.
STOLZIUS.

Die Ratten haben die vorige Nacht Ihr bestes Antolagenhemd zerfressen; eben als ich den Wäscheschrank aufmachte, sprangen mir zwei drei entgegen.

MARY.
Was ist daran gelegen? – Laßt Gift aussetzen.
STOLZIUS.
Da muß ich ein versiegeltes Zettelchen von Ihnen haben.
MARY
unwillig.
Warum kommt Ihr mir denn just jetzt.
STOLZIUS.

Auf den Abend hab ich nicht Zeit, Herr Lieutenant – ich muß heute noch bei der Lieferung von den Mundierungsstücken sein.

MARY.
Da habt Ihr meine Uhr, Ihr könnt ja mit meinem Petschaft zusiegeln.

Stolzius geht ab – Mary tritt wieder zur Gesellschaft. Eine Symphonie hebt an.
DESPORTES
der sich in einen Winkel gestellt hat, für sich.

Ihr Bild steht unaufhörlich vor mir – Pfui Teufel! fort mit den Gedanken. Kann ich dafür daß sie so eine wird. Sie hat's ja nicht besser haben wollen. Tritt wieder zur andern Gesellschaft und hustet erbärmlich.


Mary steckt ihm ein Stück Lakritze in den Mund. Er erschrickt. Mary lacht.
10. Szene
Zehnte Szene
In Lille.
Weseners Haus.
Frau Wesener. Ein Bedienter der Gräfin.

FRAU WESENERN.

Wie die Frau Gräfin haben sich zu Bett gelegt vor Alteration? Vermeld Er unsern untertänigsten [237] Respekt der Frau Gräfin und der Fräulein, mein Mann ist nach Armentières gereist, weil ihm die Leute alles im Hause haben versiegeln wollen wegen der Kaution und er gehört hat, daß der Herr von Desportes beim Regiment sein soll. Und es tut uns herzlich leid, daß die Frau Gräfin sich unser Unglück so zu Herzen nimmt.

11. Szene
Eilfte Szene
In Armentières.
Stolzius geht vor einer Apothek herum. Es regnet.

STOLZIUS.

Was zitterst du? – Meine Zunge ist so schwach, daß ich fürchte ich werde kein einziges Wort hervorbringen können. Er wird mir's ansehen – Und müssen denn die zittern, die Unrecht leiden und die allein fröhlich sein, die Unrecht tun! – – Wer weiß zwischen welchem Zaun sie jetzt verhungert. Herein Stolzius! wenn's nicht für ihn ist, so ist's doch für dich. Und das ist ja alles was du wünschest – – Geht hinein.

5. Akt

1. Szene
Erste Szene
Auf dem Wege nach Armentières.
Wesener, der ausruht.

WESENER.

Nein keine Post nehm ich nicht und sollt ich hier liegen bleiben. Mein armes Kind hat mich genug gekostet eh sie zu der Gräfin kam, das mußte immer die [238] Staatsdame gemacht sein, und Bruder und Schwester sollen's ihr nicht vorzuwerfen haben. Mein Handel hat auch nun schon zwei Jahr gelegen – wer weiß was Desportes mit ihr tut, was er mit uns allen tut – denn bei ihm ist sie doch gewiß. Man muß Gott vertrauen – Bleibt in tiefen Gedanken.

2. Szene
Zweite Szene
Mariane auf einem andern Wege nach Armentières unter einem Baum ruhend, zieht ein Stück trocknes Brod aus der Tasche.

MARIANE.

Ich habe immer geglaubt, daß man von Brod und Wasser allein leben könnte. Nagt daran. O hätt ich nur einen Tropfen von dem Wein, den ich so oft aus dem Fenster geworfen – womit ich mir in der Hitze die Hände wusch – Kontorsionen. O das quält – – nun ein Bettelmensch – Sieht das Stück Brod an. Ich kann's nicht essen Gott weiß es. Besser verhungern. Wirft das Stück Brod hin und rafft sich auf. Ich will kriechen, so weit ich komme, und fall ich um, desto besser.

3. Szene
Dritte Szene
In Armentières.
Marys Wohnung.
Mary und Desportes sitzen beide ausgekleidet an einem kleinen gedeckten Tisch. Stolzius nimmt Servietten aus.

DESPORTES.

Wie ich dir sage, es ist eine Hure vom Anfang an gewesen und sie ist mir nur darum gut gewesen, weil ich ihr Präsenten machte. Ich bin ja durch sie in Schulden gekommen, daß es erstaunend war, sie hätte [239] mich um Haus und Hof gebracht, hätt ich das Spiel länger getrieben. Kurz um Herr Bruder, eh ich mich's versehe, krieg ich einen Brief von dem Mädel, sie will zu mir kommen nach Philippeville. Nun stell dir das Spektakel vor, wenn mein Vater die hätte zu sehen gekriegt. Stolzius wechselt einmal ums andere die Servietten um, um Gelegenheit zu haben, länger im Zimmer zu bleiben. Was zu tun, ich schreib meinem Jäger er soll sie empfangen und ihr solange Stubenarrest auf meinem Zimmer ankündigen, bis ich selber wieder nach Philippeville zurückkäme und sie heimlich zum Regiment abholte. Denn sobald mein Vater sie zu sehen kriegte, wäre sie des Todes. Nun mein Jäger ist ein starker robuster Kerl, die Zeit wird ihnen schon lang werden auf einer Stube allein. Was der nun aus ihr macht will ich abwartenLacht Höhnisch. ich hab ihm unter der Hand zu verstehen gegeben daß es mir nicht zuwider sein würde.

MARY.
Hör Desportes, das ist doch malhonett.
DESPORTES.

Was malhonett, was willst du – Ist sie nicht versorgt genug wenn mein Jäger sie heuratet? Und für so eine –

MARY.

Sie war doch sehr gut angeschrieben bei der Gräfin. Und hol mich der Teufel Bruder ich hätte sie geheuratet, wenn mir nicht der junge Graf in die Quer gekommen wäre, denn der war auch verflucht gut bei ihr angeschrieben auch.

DESPORTES.
Da hättest du ein schön Sauleder an den Hals bekommen.

Stolzius geht heraus.
MARY
ruf ihm nach.

Macht daß der Herr seine Weinsuppe bald bekommt – Ich weiß nicht wie es kam, daß der Mensch mit ihr bekannt ward, ich glaube gar sie wollte mich eifersüchtig machen, denn ich hatte eben ein paar Tage her mit ihr gemault. Das hätt alles noch nichts zu sagen gehabt, aber einmal kam ich hin, es war in den heißesten Hundstagen, und sie hatte eben wegen der Hitze nur ein dünnes dünnes Röckchen von Nesseltuch[240] an, durch das ihre schönen Beine durchschienen. Sooft sie durchs Zimmer ging und das Röckchen ihr so nachflatterte – hör ich hätte die Seligkeit drum geben mögen, die Nacht bei ihr zu schlafen. Nun stell dir vor, zu allem Unglück muß den Tag der Graf hinkommen, nun kennst du des Mädels Eitelkeit. Sie tat wie unsinnig mit ihm, ob nun mich zu schagrinieren, oder weil solche Mädchens gleich nicht wissen, woran sie sind wenn ein Herr von hohem Stande sich herabläßt, ihnen ein freundlich Gesicht zu weisen. Stolzius kommt herein, trägt vor Desportes auf und stellt sich totenbleich hinter seinen Stuhl. Mir ging's wie dem überglühten Eisen, das auf einmal kalt wie Eis wird. Desportes schlingt die Suppe begierig in sich. Aller Appetit zu ihr verging mir. Von der Zeit an hab ich ihr nie wieder recht gut werden können. Zwar wie ich hörte daß sie von der Gräfin weggelaufen sei –

DESPORTES
im Essen.

Was reden wir weiter von dem Knochen? Ich will dir sagen Herr Bruder, du tust mir einen Gefallen, wenn du mir ihrer nicht mehr erwähnst. Es ennuyiert mich wenn ich an sie denken soll. Schiebt die Schale weg.

STOLZIUS
hinter dem Stuhl, mit verzerrtem Gesicht.
Würklich?

Beide sehen ihn an voll Verwunderung.
DESPORTES
hält sich die Brust.
Ich kriege Stiche – Aye! –
MARY
steif den Blick auf Stolzius geheftet ohne ein Wort zu sagen.
DESPORTES
wirft sich in einen Lehnstuhl.
– Aye! – Mit Kontorsionen. Mary! –
STOLZIUS
springt hinzu, faßt ihn an die Ohren und heftet sein Gesicht auf das seinige.
Mit fürchterlicher Stimme. Mariane! – Mariane! – Mariane!
MARY
zieht den Degen und will ihn durchbohren.
STOLZIUS
kehrt sich kaltblütig um und faßt ihm in den Degen.
Geben Sie sich keine Mühe, es ist schon geschehen. [241] Ich sterbe vergnügt da ich den mitnehmen kann.
MARY
läßt ihm den Degen in der Hand und läuft heraus.
Hülfe! – Hülfe –
DESPORTES.
Ich bin vergiftet.
STOLZIUS.

Ja Verräter das bist du – und ich bin Stolzius, dessen Braut du zur Hure machtest. Sie war meine Braut. Wenn ihr nicht leben könnt, ohne Frauenzimmer unglücklich zu machen, warum wendt ihr euch an die, die euch nicht widerstehen können, die euch aufs erste Wort glauben. – Du bist gerochen meine Mariane! Gott kann mich nicht verdammen.


Sinkt nieder.
DESPORTES.
Hülfe! Nach einigen Verzuckungen stirbt er gleichfalls.
4. Szene
Vierte Szene
Wesener spaziert an der Lys in tiefen Gedanken. Es ist Dämmerung. Eine verhüllte Weibsperson zupft ihn am Rock.

WESENER.
Laß Sie mich – ich bin kein Liebhaber von solchen Sachen.
DIE WEIBSPERSON
mit halb unvernehmlicher Stimme.
Um Gottes willen, ein klein Almosen, gnädiger Herr.
WESENER.

Ins Arbeitshaus mit Euch. Es sind hier der lüderlichen Bälge die Menge, wenn man allen Almosen geben sollte hätte man viel zu tun.

WEIBSPERSON.

Gnädiger Herr ich bin drei Tage gewesen, ohne einen Bissen Brod in Mund zu stecken, haben Sie doch die Gnade und führen mich in ein Wirtshaus, wo ich einen Schluck Wein tun kann.

WESENER.

Ihr lüderliche Seele! schämt Ihr Euch nicht, einem honetten Mann das zuzumuten? Geht, lauft Euren Soldaten nach.

[242]
WEIBSPERSON
geht fort ohne zu antworten.
WESENER.

Mich deucht, sie seufzte so tief. Das Herz wird mir so schwer. Zieht den Beutel hervor. Wer weiß wo meine Tochter itzt Almosen heischt.Läuft ihr nach und reicht ihr zitternd ein Stück Geld. Da hat Sie einen Gulden – aber bessere Sie sich.

WEIBSPERSON
fängt an zu weinen.
O Gott! Nimmt das Geld und fällt halb ohnmächtig nieder. Was kann mir das helfen?
WESENER
kehrt sich ab und wischt sich die Augen.
Zu ihr ganz außer sich. Wo ist Sie her?
WEIBSPERSON.
Das darf ich nicht sagen. Aber ich bin eines honetten Mannes Tochter.
WESENER.
War Ihr Vater ein Galanteriehändler?
WEIBSPERSON
schweigt stille.
WESENER.

Ihr Vater war ein honetter Mann? – Steh Sie auf, ich will Sie in mein Haus führen. Sucht ihr aufzuhelfen. Wohnt Ihr Vater nicht etwan in Lille – Beim letzten Wort fällt sie ihm um den Hals.

WESENER
schreit laut.
Ach meine Tochter.
MARIANE.
Mein Vater!

Beide wälzen sich halb tot auf der Erde. Eine Menge Leute versammlen sich um sie und tragen sie fort.
5. Szene
Fünfte und letzte Szene
Des Obristen Wohnung.
Der Obriste Graf von Spannheim. Die Gräfin La Roche.

GRÄFIN.

Haben Sie die beiden Unglücklichen gesehen? Ich habe das Herz noch nicht. Der Anblick würde mich töten.

OBRISTE.

Er hat mich zehn Jahre älter gemacht. Und daß das bei meinem Corps soll geschehen sein. – Aber gnädige Frau! was kann man da machen. Es ist das [243] Schicksal des Himmels über gewisse Personen – Ich will dem Mann alle seine Schulden bezahlen und noch tausend Taler zur Schadloshaltung obenein. Hernach will ich sehen, was ich bei dem Vater des Bösewichts für diese durch ihn verwüstete und verheerte Familie auswirken kann.

GRÄFIN.

Würdiger Mann! nehmen Sie meinen heißesten Dank in diesen Tränen. Ich habe alles getan das unglückliche Schlachtopfer zu retten – sie wollte nicht.

OBRISTE.

Ich wüßt ihr keinen andern Rat, als daß sie Beguine würde. Ihre Ehre ist hin, kein Mensch darf sich ohne zu erröten ihrer annehmen. Obschon sie versichert, sie sei den Gewalttätigkeiten des verwünschten Jägers noch entkommen. O gnädige Frau, wenn ich Gouverneur wäre, der Mensch müßte mir hängen –

GRÄFIN.

Das beste liebenswürdigste Geschöpf – ich versichere Ihnen, daß ich anfing die größte Hoffnungen von ihr zu schöpfen.


Sie weint.
OBRIST.

Diese Tränen machen Ihnen Ehre gnädige Frau! Sie erweichen auch mich. Und warum sollte ich nicht weinen, ich der ich fürs Vaterland streiten und sterben soll, einen Bürger desselben durch einen meiner Untergebenen mit seinem ganzen Hause in den unvermeidlichsten Untergang gestürzt zu sehen.

GRÄFIN.
Das sind die Folgen des ehlosen Standes der Herren Soldaten.
OBRIST
zuckt die Schultern.

Wie ist dem abzuhelfen? Wissen Sie denn nicht gnädige Frau, daß schon Homer gesagt hat, ein guter Ehmann sei immer auch ein schlechter Soldat.

GRÄFIN.

Ich habe allezeit eine besondere Idee gehabt, wenn ich die Geschichte der Andromeda gelesen. Ich sehe die Soldaten an wie das Ungeheuer, dem schon von Zeit zu Zeit ein unglückliches Frauenzimmer freiwillig aufgeopfert werden muß, damit die übrigen Gattinnen und Töchter verschont bleiben.

[244]
OBRIST.

Ihre Idee ist lange die meinige gewesen, nur habe ich sie nicht so schön gedacht. Der König müßte dergleichen Personen besolden, die sich auf die Art dem äußersten Bedürfnis seiner Diener aufopferten, denn kurz um, den Trieb haben doch alle Menschen; dieses wären keine Weiber die die Herzen der Soldaten feig machen könnten, es wären Konkubinen die allenthalben in den Krieg mitzögen und allenfalls wie jene medischen Weiber unter dem Cyrus die Soldaten zur Tapferkeit aufmuntern würden.

GRÄFIN.
O daß sich einer fände diese Gedanken bei Hofe durchzutreiben. Dem ganzen Staat würde geholfen sein.
OBRIST.

Und Millionen Unglückliche weniger. Die durch unsere Unordnungen zerrüttete Gesellschaft würde wieder aufblühen und Fried und Wohlfahrt aller und Ruhe und Freude sich untereinander küssen.

6. Szene
Zweite Fassung der Schlußszene
Des Obristen Wohnung.
Der Obriste Graf von Spannheim. Die Gräfin La Roche.

GRÄFIN.
Haben Sie die beiden Unglücklichen gesehen? Ich habe das Herz noch nicht. Der Anblick tötete mich.
OBRISTER.

Er hat mich zehn Jahre älter gemacht. Und daß das bei meinem Corps – ich will dem Mann alle seine Schulden bezahlen, und noch tausend Taler zu seiner Schadloshaltung obenein. Hernach will ich sehen, was ich bei dem Vater des Bösewichts für diese durch ihn verwüstete Familie auswirken kann.

GRÄFIN.

Würdiger Mann! nehmen Sie meinen heißesten Dank in dieser Träne – das beste liebenswürdigste Geschöpf! was für Hoffnungen fing ich nicht schon an von ihr zu schöpfen.


Sie weint.
[245]
OBRISTER.

Diese Tränen machen Ihnen Ehre. Sie erweichen auch mich. Und warum sollte ich nicht weinen, ich, der fürs Vaterland streiten und sterben soll, einen Bürger desselben durch einen meiner Untergebenen mit seinem ganzen Hause in den unwiederbringlichsten Untergang gestürzt zu sehen.

GRÄFIN.
Das sind die Folgen des ehlosen Standes der Herren Soldaten.
OBRISTER
zuckt die Schultern.

Wie ist dem abzuhelfen? Schon Homer hat, deucht mich, gesagt, ein guter Ehmann sei ein schlechter Soldat. Und die Erfahrung bestätigt's. – Ich habe allezeit eine besondere Idee gehabt, wenn ich die Geschichte der Andromeda gelesen. Ich sehe die Soldaten an wie das Ungeheuer, dem schon von Zeit zu Zeit ein unglückliches Frauenzimmer freiwillig aufgeopfert werden muß, damit die übrigen Gattinnen und Töchter verschont bleiben.

GRÄFIN.
Wie verstehen Sie das?
OBRISTER.

Wenn der König eine Pflanzschule von Soldatenweibern anlegte; die müßten sich aber freilich denn schon dazu verstehen, den hohen Begriffen, die sich ein junges Frauenzimmer von ewigen Verbindungen macht, zu entsagen.

GRÄFIN.
Ich zweifle, daß sich ein Frauenzimmer von Ehre dazu entschließen könnte.
OBRISTER.

Amazonen müßten es sein. Eine edle Empfindung, deucht mich, hält hier der andern die Waage. Die Delikatesse der weiblichen Ehre dem Gedanken, eine Märtyrerin für den Staat zu sein.

GRÄFIN.
Wie wenig kennt ihr Männer doch das Herz und die Wünsche eines Frauenzimmers.
OBRISTER.

Freilich müßte der König das Beste tun, diesen Stand glänzend und rühmlich zu machen. Dafür ersparte er die Werbegelder und die Kinder gehörten ihm. O ich wünschte, daß sich nur einer fände, diese Gedanken bei Hofe durchzutreiben, ich wollte ihm schon [246] Quellen entdecken. Die Beschützer des Staats würden sodann auch sein Glück sein, die äußere Sicherheit desselben nicht die innere aufheben, und in der bisher durch uns zerrütteten Gesellschaft Fried und Wohlfahrt aller und Freude sich untereinander küssen.

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TextGrid Repository (2012). Lenz, Jakob Michael Reinhold. Dramen. Die Soldaten. Die Soldaten. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-E31F-B