Begegnung

Eines Bettlers Hand war offen,
Beide gaben wir zugleich.
Blick und Blick hat sich getroffen,
O wie fühlten wir uns reich!

[Von einem See]

Von einem See
Im schönen Hellas ging die Sage:
Daß wer es je
In diesen See zu schauen wage,
Zum Schattenreich
Zieh's den hinunter in die Tiefe
Und wenn er gleich
Um Rettung alle Götter riefe.
Ja, so bist du!
Wem deine dunklen Blicke winken,
Der sehe zu!
Er wird so tief in sie versinken,
Daß keine Macht
Je mehr erlöst aus diesen Tücken:
Ihn wird die Nacht
Ans stumme Herz auf ewig drücken.

[Wie das Leuchten im Juwele]

[109]
Wie das Leuchten im Juwele
Nicht vom Tag sein Licht erhält,
Ähnlich strahlt die schöne Seele
Nur aus ihrer eignen Welt.
Rätsel bleibt des Steines Funkeln,
Doch was deinen Blick durchflammt,
Sagt mir, daß es aus dem Dunkeln
Eines tiefen Schmerzes stammt.

[Du bist mir gut]

Du bist mir gut –
Doch tiefer an dein Herz geht eine Frage:
Durchleuchtet deine Liebe lautre Glut
Und Todesmut,
Und wirfst du freudig alles in die Wage,
Die Ehre, Frieden, Glück und Gut,
Und nicht ein Blick, kein Ach sagt »ich entsage«?
Du schweigst? Kein Laut
Begegnet mir aus deinem Herzensschlage?
Was dich zurückhält, hast du's nie vertraut? –
O Marmorbraut,
Unselig Traumbild du verlorner Tage!
Weh, daß ich dich geschaut
Und dich geküßt, du schöne, stumme Klage!

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Lingg, Hermann von. Begegnung. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-F0BE-B