Der Trunkenbold

Ja, lächelt nur und rümpft die Nasen,
Nennt Säufer mich und Trunkenbold,
Erzählt's bei Vettern und bei Basen,
Daß ich vom Stuhle sei gerollt;
Erzählt es lachend meinetwegen,
Daß in der Gosse ich gelegen,
Ich bin ein ruinierter Mann –
Schnaps her, daß ich's vergessen kann!
Was hilft's mir, daß es mir gelungen
Durch meiner Hände Eisenkraft,
Nachdem ich Jahr und Tag gerungen,
Daß Haus und Hof ich mir geschafft?
O, könnt ich es doch ganz vergessen,
Daß Weib und Kinder ich besessen,
O Kinderlachen, Weibeskuß –
Schnaps her, weil ich's vergessen muß!
Zehn Jahre Zuchthaus, – neun gesessen, –
Neun Jahre öder Kerkersnacht;
Mir ward die Strafe zugemessen,
Ein andrer hat die Tat vollbracht.
Herrgott, warum hast du geduldet,
Daß ich gebüßt und nichts verschuldet,
Daß ich ein kraftgebrochner Mann –
Schnaps her, daß ich's vergessen kann!
Man ließ mich gehn aus meiner Zelle,
Entschädigung – nicht einen Deut.
Ich trat an meines Hauses Schwelle,
Dort wohnt ein andrer lange Zeit.
Mein Heim zerstört, mein Weib gestorben,
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Mein Sohn verkommen und verdorben,
Die Tochter – davon schweig' ich still –
Schnaps her, weil ich's vergessen will!

Münster, Herbst 1888


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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Löns, Hermann. Der Trunkenbold. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-22BD-4