Blind und doch sehend

Die Sonne krönt den goldnen Tag;
Der Abend nennt die Sterne sein;
Wo nur ein Aug sich öffnen mag,
Glänzt ihm ein Licht, ein Himmelsschein.
Doch all die Wonne, all die Pracht,
Mein todter Blick erfaßt sie nicht;
In meines Daseins dunkler Nacht
Giebts keine Sonne, giebts kein Licht.
Mein Gott und Vater, nahmst du mir
Der Erde schönstes, freistes Gut,
So ruf ich flehend auf zu dir
Um deinen Schirm, um deine Hut.
Hör mein Gebet; vernimm den Schrei;
Ich bin dein Kind; verstoß mich nicht.
O halt mich fest, Herrgott, und sei
Du meine Sonne, du mein Licht!
[114]
Wie wird mir doch? Es tagt und tagt
Mir in des Herzens Nacht hinein,
Und eine Stimme in mir sagt:
»Der Herr der Welt erbarmt sich dein!«
Es wird die Seele mir so weit;
Nun bin ich still und zage nicht,
Denn du, o Allbarmherzigkeit,
Bist meine Sonne, bist mein Licht!
[115]

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). May, Karl. Gedichte. Himmelsgedanken. Blind und doch sehend. Blind und doch sehend. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-308B-5