Sternkunde

Ich sah dich oft in stiller Nacht.
Du nahmst ins Rohr des Himmels Sterne
Und hast darüber nachgedacht,
Wie man sie wohl ergründen lerne.
Ists um die Körper dir zu thun,
So magst du deiner Forschung leben.
Die Wissenschaft darf nimmer ruhn;
Es ist ihr Schweres aufgegeben.
Doch weiter, weiter trachte nicht;
Die Allmacht läßt sich nicht bestehlen.
Gott gab den Sternen zwar das Licht,
Sie zu ergründen, wird dirs fehlen.
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Der Weg zum rechten, wahren Schaun
Steigt nicht empor auf Prismenstrahlen.
Es ist da Andres aufzubaun
Als Logarithmen-Dezimalen.
Den großen Weltzusammenhang
Regiert allein die Hand des Einen,
Durch die sich wie ein Lobgesang
Die Sphärentöne hell vereinen.
In seiner Wunder ewgem Reich
Ist keines seiner Schöpfungsworte
Und nie ein Ton dem andern gleich
Und doch harmonisch im Akkorde.
Willst du ein Intervall verstehn
Von deinem Standpunkt aus, der Erde,
So mußt du bittend zu ihm gehn,
Ob er es dir erlauben werde.
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Dann lausche demuthsvoll und still,
Dein ganzes Sein ihm zugewendet,
Bis er dein Flehn erhören will
Und einen seiner Boten sendet.
Der nimmt und trägt dich hoch empor,
Wo keine Gegenklänge stören,
Und dann wirst du im Weltenchor
Die Stimme deines Sternes hören.
[31]

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). May, Karl. Sternkunde. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-30AE-8