[85] Die Narde

(Nach einem venezianischen Bilde)


Die brave Marthe tat, was sie vermocht',
Sie rupfte, spickte, briet und sott und kocht',.
Sie schob dem Herrn die braunsten Kuchen zu,
Und: »Diesen«, sagt' sie, »Herr, versuche du!«
Maria nahte, die den schlanken Krug,
Gefüllt mit einer seltnen Narde, trug.
Sie neigt' das Knie, den Krug. Die Narde floß.
Sie neigt' das Herz, das strömend sich ergoß.
In der beseelten Hand Mariens ruht'
Der edle Fuß. Drauf quoll der Narde Flut.
Ihn abzutrocknen, löste sie des Haars
Geschlungnen Knoten. Blond und seiden war's.
Ein spitz Geflüster regte sich am Tisch,
Wie der getretnen Viper scharf Gezisch:
»Das duftet! Tausend oder mehr Denar
Verduften mit! Ich wollt, wir hätten's bar!
Bei Levi legten wir's auf Zins geschwind
Und draus erzögen wir ein Waisenkind –«
»Still«, sagt' der Göttliche, »laß unentweiht,
Judas! Wer liebt, verschwendet allezeit.«

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TextGrid Repository (2012). Meyer, Conrad Ferdinand. Gedichte. Gedichte (Ausgabe 1892). 4. Reise. Die Narde. Die Narde. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-3535-C