Das – allerdings

Mein lieber Freund Wärndorfer!


Leider traf ich Sie nicht zu Hause, konnte Sie auch anderwärts nirgends finden und muß Sie daher schriftlich bitten, sich doch heute abends mit Zavrel und Doktor Rolof bei mir einzufinden.

Denken Sie nur, der berühmte Philosoph Professor Arjuna Zizerlweis aus Schweden (Sie haben doch von ihm gelesen?) hat gestern mit mir eine Stunde lang im Vereine »Lotos« über spiritistische Phänomene debattiert, und ich habe ihn für heute eingeladen – und er kommt. – –

Er ist begierig, Sie alle kennen zu lernen, und ich denke, wenn wir ihn gehörig ins Kreuzfeuer nehmen, können wir ihn für unsere Sache gewinnen und damit der Menschheit einen vielleicht unschätzbaren Dienst erweisen.

Also, nicht wahr, Sie kommen bestimmt? – (Doktor Rolof soll nicht vergessen, die Photographien mitzubringen).

In Eile Ihr aufrichtiger

Gustav.


– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

[142] Die fünf Herren hatten sich nach dem Souper in das Rauchzimmer zurückgezogen. – Professor Zizerlweis spielte mit dem Kopf eines Igelfisches, der als Streichholzbecher auf dem Tische stand:

»Was Sie mir da erzählen, Herr Doktor Rolof, klingt ja recht wunderlich und für Laien verblüffend, aber die Umstände, die Sie zum Beweise anführen, man könne quasi die Zukunft photographieren, sind durchaus nicht zwingend.

Im Gegenteil lassen sie eine viel näherliegende Erklärung zu. – Fassen wir zusammen: – Ihr Freund also, Herr Zavrel, gibt an, er sei ein sogenanntes Medium, – das heißt, seine bloße Nähe reiche bei gewissen Personen hin, um Phänomene ungewöhnlicher Art zu erzeugen, die dem Auge zwar unsichtbar sind, sich jedoch photographisch festhalten lassen.

Sie haben nun, meine Herren, eines Tages einen scheinbar völlig gesunden Menschen photographiert und beim Entwickeln der Platte« – – – – –

»Jawohl, beim Entwickeln der Platte kamen auf dem photographieren Gesicht eine Menge Narben zum Vorschein, die erst zwei Monate später, bitte, zwei Monate, auf der Haut der betreffenden Person als Folge eines durchgemachten Blatternfalles entstanden,« – unterbrach Doktor Rolof.

[143] »Gut, gut, Herr Doktor, bitte, lassen Sie mich nur ausreden. – Angenommen nun, es läge wirklich kein Zufall vor – Pardon, meine Herren, ich meine nur – also – – – – kein Zufall vor, wie wollen Sie aus diesen Umständen beweisen, man habe hier – – die Zukunft photographiert?!

Ich sage (übrigens ist Ihr Versuch keineswegs neu), die optische Linse zeichnete nur schärfer, sah einfach mehr als das menschliche Auge, sie sah die Blattern im Keime, dieselben Blattern, die ein bis zwei Monate später erst, wie wir es nennen, zum ›Ausbruch‹ kamen, das heißt akut wurden!!« – –

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Triumphierend blickte Professor Zizerlweis im Kreise umher, weidete sich einen Moment an der Verblüffung seiner Gegner und begann dann eifrig an seiner halberloschenen Zigarre zu saugen, unter gierigem Schielen ihr Anglimmen belauernd.

»Möglich! – Wie erklären Sie dann aber folgendes, Herr Professor?« nahm jetzt Zavrel das Wort.

»Eines Tages photographierten wir einen jungen Mann; – wir wußten übrigens nichts Näheres über ihn und kannten ihn nur flüchtig – – eine Kaffeehausbekanntschaft – wir wären wohl gar nicht auf die Idee gekommen, mit ihm zu experimentieren, wenn nicht Gustav, eigentlich ohne jeden Anhaltspunkt, [144] – in diesem Fall etwas ganz Besonderes, eine wissenschaftliche Ausbeute in unserem Sinne, gewittert hätte.

Also wir machen die Aufnahme, ›entwickeln‹, und auf dem Bild zeigt sich mitten auf der Stirn ein deutlicher kreisrunder, schwarzer Fleck.«

– Eine kurze Pause Stillschweigens.

»Na – und?« fragte der Philosoph.

»Und? – vierzehn Tage später tötete sich der junge Mann – – – durch eine Schuß in die Stirne.

Sehen Sie, hier genau an dieser Stelle, – hier haben Sie beide Photographien, – die da als Leiche und diese vierzehn Tage früher.

Vergleichen Sie selbst!«

Während einiger Minuten versank Professor Zizerlweis in tiefes Nachdenken, und sein Auge wurde glanzlos wie blaues Zuckerpapier.

»Diesmal haben wir's ihm gegeben,« flüsterte Wärndorfer und rieb sich die Hände. – Da erwachte der Professor aus seinem Brüten und fragte:

»Hat der junge Mann die photographische Platte mit dem Fleck auf der Stirne je zu Gesicht bekommen? – Ja? – Nun, da liegt die Sache doch ganz einfach: der Mensch trug sich schon damals mit Selbstmordideen. Sie zeigten ihm das Bild, und er, der sehr wohl wußte, daß es sich hier um ein [145] mediumistisches Experiment handle, trug infolgedessen ›unterbewußt‹ eine Suggestion davon.

Nicht etwa, daß er sich dessentwegen umgebracht hätte, – nein; aber durch die Stirne schoß er sich, ohne natürlich sich bewußt zu sein, daß die Idee dazu bereits durch den Anblick des Bildes in ihm geboren war.

Hätte er die Platte damals nicht gesehen, würde er vielleicht eine ganz andere Todesart gewählt haben, – Ertränken, Erhängen, Gift oder dergleichen.«

– »Und der Fleck, – wie kam der Fleck auf die Platte, Herr Professor?«

»Der Fleck? – wird eben ein Schatten, ein Stäubchen im Objektiv, ein vorbeifliegendes Insekt vielleicht, möglicherweise auch ein Plattenfehler oder etwas dergleichen Grobsinnliches gewesen sein. – – Kurz und gut, mit solchen Beweisen dürfen Sie einem Forscher wie mir nicht kommen, – diese Fälle sind alle nicht zwingend.«

Betrübt saßen die Freunde und ließen die Flut der Beredsamkeit des Professors Zizerlweis über sich ergehen, der in seinem Sieg förmlich schwelgte.

»Wenn man dem Kerl nur irgend etwas entgegnen könnte auf seine Hypothesen,« raunte der Hausherr Doktor Rolof zu, »schau nur, wie er ekelhaft ist, wenn er so salbadert; – sieht er nicht aus mit [146] seinem kurzen Kinn- und Schnurbart, als ob ihm ein schwarzes Vorhängeschloß unter der Nase hinge? – widerlicher Bursche; – ist vielleicht gar kein Schwede. – Zizerlweis! – Professor Arjuna Zizerlweis!!«

– – »Rede dich nicht in Wut,« beruhigte Rolof seinen Freund, – während Wärndorfer sich im Schweiße seines Angesichtes abmühte, dem Professor wenigstens halbwegs anständige Begriffe von Kunst, wenn er schon nicht an Spiritismus glauben wolle, beizubringen –, »reg dich nicht auf, vielleicht – – – – doch, Herrgott, sind wir denn alle verrückt?! – Wir haben doch die Hauptsache noch gar nicht erzählt! – Kinder! – das Bild ohne Kopf

»Hurra, das Bild ohne Kopf,« riefen alle, »das war doch unser erster und bester Versuch, – Sie, Herr Professor, hören Sie« – –

»Laßt mich, mich laßt erzählen!« rief Gustav jubelnd.

»Kennen Sie hier in der Stadt einen gewissen Hellmut Schreihals, Herr Professor? – Nein?

Das macht übrigens nichts, er ist jetzt Redakteur, damals aber war er noch Kommis in einem Zichoriengeschäft. – Jetzt sind es etwa so sechzehn Jahre her, und wir begannen gerade mit unseren mediumistisch-photographischen Experimenten.

[147] Weiß der Teufel, wie wir gerade auf dieses Rindvieh verfielen – aber kurz und gut, wir hatten ihn aufs Korn genommen und beschlossen, ihn, so sehr er sich auch wehrte, inmitten einer spiritistischen Sitzung bei Magnesiumlicht zu photographieren.

Während der Sitzung selbst war gar nichts vorgefallen, nicht das geringste Phänomen hatte sich gezeigt, – desto seltsamer war das Resultat auf der Platte. – Ich werde dann das Bild heraussuchen, damit Sie sich selbst genau überzeugen können. – Das Negativ ›kam‹ rasch in der Hervorruferflüssigkeit, aber – wir waren sprachlos – der Kopf fehlte; – keine Spur davon; – fehlte einfach.«

– »Wahrscheinlich« – unterbrach Professor Zizerlweis – – –

»Hören Sie doch nur zu, was jetzt kommt; – wir raten also hin und her, und da wir zu keinem Schlusse gelangen, packen wir die Platte sorgfältig ein und tragen sie am nächsten Tage zu Fuchs – Berufsphotograph, gleich gegenüber ... Obstgasse.

Na, und der wendet denn auch die schärfsten chemischen Entwickler an, um aus dem Negativ noch möglichst viel ›herauszuholen‹.

Und richtig, immer deutlicher und deutlicher zeigen sich im Kreise gerade über dem Hemdkragen des Bildes, dort wo der Kopf hätte sein sollen, dreizehn[148] gleich große Lichtflecken; sehen Sie, so angeordnet: eins – zwei; ein – zwei, vier, vier und eins! genau die typische Anordnung der Himmelskörper im Sternbild des ›großen Schöpsen‹.

Nun, sind Sie jetzt überzeugt, Herr Professor?!

Das Symbol ist doch wohl nicht mißzuverstehen!«

Professor Zizerlweis sah etwas verlegen drein: »Ich verstehe nicht ganz, was soll das mit der Zukunft zu tun haben, die Sie doch behaupten photogr ...«

– – »Aber, aber, Herr Professor, haben Sie denn nicht begriffen?« riefen alle durcheinander, »der Mann schlug doch später die Publizistenkarriere ein, er läutert den Geschmack des Volkes und ist jetzt Kunstredakteur beim allteutschen Pressekonzern.«

Da ließ der Gelehrte in größter Überraschung seine Zigarre fallen; vor Staunen konnte er kaum ein Wort finden:

»Hm, hm, – das allerdings, das allerdings!« –

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TextGrid Repository (2012). Meyrink, Gustav. Erzählungen. Des Deutschen Spiessers Wunderhorn. Zweiter Teil. Das - allerdings. Das - allerdings. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-36DD-1