Lied

1772.


Ein schöner, junger Rittersmann
Schleicht mir den ganzen Tag,
Vom allerersten Morgen an
Bis an den Abend, nach.
Ich aber meid' ihn für und für
Und flieh' ihn überall,
Weil es mit vielem Ernste mir
Die Mutter anbefahl.
Doch thut es mir im Herzen leid,
Daß ich ihn meiden soll,
Denn sein Gesicht voll Freundlichkeit
Gefällt mir gar zu wohl.
Heut sprach er viel von Angst und Not,
Zuletzt vom Sterben gar,
Und ward dabei so rot, so rot,
Als kaum der Himmel war.
[189]
Ich konnt' ihm wahrlich nicht entfliehn;
Denn weinend bat er mich,
Und weinend setzt' ich neben ihn
Aufs Blumenlager mich.
Den Mund, so sehr ich's ihm verbot,
Hat er mir so geküßt,
Daß er noch itzo feuerrot
Von seinen Küssen ist.
Die ganze Stätte, wo ich saß,
Bedeckt' er mir mit Moos,
Und streute Blumen aus dem Gras
Mir freundlich in den Schoß.
Man sieht, ich fürchte, noch die Spur
Von unsrer Lagerstatt.
O guter Himmel! wenn man nur
Uns nicht belauschet hat!
Doch war kein Mensch im ganzen Thal,
Und dunkel war der Hain;
Und die geliebte Nachtigall
Wird doch verschwiegen sein?

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Miller, Johann Martin. Gedichte. Ausgewählte Gedichte. Lied. Lied. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-38F3-C