[158] Fritzchens Lob des Landlebens

Im November 1772.


Rühmt immer eure große Stadt
Und laßt ihr Lob erschallen!
Mein liebes kleines Dörfchen hat
Mir dennoch mehr gefallen.
Hier muß ich ganze Tage lang
Im öden Zimmer sitzen,
Dort konnt' ich frei und ohne Zwang
Die schönen Tage nützen.
Am frühen Morgen konnt' ich gleich
In meinen Garten hüpfen
Und nach den Vögeln im Gesträuch,
Ihr Nest zu finden, schlüpfen.
Wenn ich ein Röschen offen sah,
Wie pflegt' ich dann zu springen,
Um es mit Freuden der Mama
Zum Morgengruß zu bringen!
Sie nahm es freundlich, küßte mich
Für meine kleine Mühe
Und sah mich an und freute sich,
Daß ich nicht minder blühe.
Da ging ich immer Hand in Hand
Mit unsers Pachters Käthchen,
Ihr gleicht im ganzen weiten Land
Und in der Stadt kein Mädchen.
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Schön, wie ein Maientag, war sie,
Geschäftig, wie ein Bienchen,
Und speiste alle Morgen früh
Im Hühnerhof die Hühnchen.
Da sah ich allemal hinab.
Oft dünkt' ich mich verborgen,
Sie aber sah mich doch, und gab
Mir freundlich guten Morgen.
Ein Lämmchen, weißer noch als Schnee,
Folgt' ihr am roten Bändchen,
Wohin sie ging, und aß den Klee
Aus ihren weißen Händchen.
Die Blumen wuchsen schöner, die
Mir unser Gärtner schenkte,
Wenn das geliebte Mädchen sie
Mit klarem Wasser tränkte.
Ans kleine Schmerlenufer ging
Sie oft mit mir zum Fischen,
Und ließ, wenn ich ein Fischchen fing,
Mitleidig es entwischen.
Da zürnt' ich manchesmal mit ihr,
Doch war es bald vorüber,
Und nach dem Schmollen hatten wir
Einander desto lieber.
O dürft' ich, liebes Dörfchen, dich
Nur einmal wieder sehen,
Gewiß, die Städter sollten mich
Sobald nicht wieder sehen!

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Miller, Johann Martin. Gedichte. Ausgewählte Gedichte. Fritzchens Lob des Landlebens. Fritzchens Lob des Landlebens. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-3965-6