Ein Sommerabend

In Musik gesetzt von Robert Kahn

[115] Feierabend

Lindenduft ... Bienenchor ...
Vogelsang und Brunnenrauschen ...
Knarrend schließt sich Tor um Tor;
Feierabend lockt hervor,
Grüße auszutauschen.
Junges Volk will Gesang,
Fiedelspiel und kecke Reigen;
säume heute keiner lang,
sich zur Ehr und uns zu Dank
seine Kunst zu zeigen!
Einer weiß ein neues Lied,
andre freuen sich der alten;
wer von Fern zu Ferne zieht,
muß es, eh er weiter flieht,
fröhlich mit uns halten.
Düfteschwerer Dämmerflor ...
Vogelsang und Brunnenplauschen ...
Trete nun der Mensch hervor,
lasse in den großen Chor
seine Stimme rauschen!

[116] Volkslied

Draußen im weiten Krieg
ist blieben mein armer Schatz,
draußen im fremden Land,
da liegt er kalt und blaß.
Läg ich doch bei ihm im Grab
in der fremden Erd!
Was tu ich hier allein
am einsamen Herd?
Stiller Mond,
der in mein Fenster scheint,
hat schon jemand so
um seinen Schatz geweint?

[117] Geheime Verabredung

Glühend zwischen dir und mir
Julinächte brüten;
gleiche Sterne dort und hier
unsern Schlaf behüten.
Wähl das schönste Sternelein,
will das Gleiche tuen; –
morgen droben Stelldichein
auf geheimen Schuhen.
Gibst du nur nichts anderm Raum,
als mich dort zu finden,
wird ein gleicher süßer Traum
dich und mich verbinden.

[118] Erntelied

Wo gestern noch der Felder Meer
gewogt in allen Farben,
steht heut in Reih und Glied ein Heer
festlich gegürteter Garben.
Es will der goldne Heeresbann
vor Frost und Hungers Wüten
das ganze Dorf mit Maus und Mann
bis übers Jahr behüten.
Und liegen die Bataillone erst
im sichern Scheunquartiere,
du fändst, und wenn du der König wärst,
nicht beßre Grenadiere.

[119] Der Abend

Auf braunen Sammetschuhen geht
der Abend durch das müde Land,
sein weiter Mantel wallt und weht,
und Schlummer fällt von seiner Hand.
Mit stiller Fackel steckt er nun
der Sterne treue Kerzen an.
Sei ruhig, Herz! Das Dunkel kann
dir nun kein Leid mehr tun.

[120] Nachtwächterspruch

Ihr Leut im Dorfe, laßt euch sagen,
die Glock am Turm ist elf.
Nicht lang, so wird es wieder tagen,
drum auf, und geht zu Bett!
Denn der nur gilt in der Gemeine,
der rüstig wirkt und schafft,
der sorgt getreulich für die Seinen,
bis ihn der Tod entrafft.
Ihr Leut im Dorfe, laßt euch sagen,
die Glock am Turm ist elf.
Nicht lang, so wird es wieder tagen,
drum auf, und geht zu Bett!

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Morgenstern, Christian. Ein Sommerabend. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-39E0-E