[114] Der alte Steinbruch

Tief im Walde, tief im Walde
bildet, fern der Wege Reich,
eines Bruchs verlaßne Halde
einen kleinen, stillen Teich.
Moosbewachsne Blöcke ragen
aus der seichten Regenflut,
Falter und Libellen jagen
über bunter Lurche Brut.
Aber wenn im Abendbrande
hinterm Wald die Glut verraucht,
stößt und rudert es vom Rande,
kriecht und klettert, plumpst und taucht.
Und der Unken Urgroßahne
– niemand weiß, wann Gott ihn schuf –
ruft, daß er sein Weibchen mahne,
seinen dunklen Werberuf.
Daß das Froschgeschlecht nicht sterbe,
bleibt zuletzt nicht Einer still:
Denn der Tümpel ist ein Erbe,
das getreu gewahrt sein will.
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Liebeskranke Grunzer fliehen
der bewegten Weibchen Schlund;
immer kühnre Harmonien
füllen den dämmertrauten Grund.
Bis des Mondes Goldhorn endlich
neuen Schimmers alles speist:
Nun erwahrt sich unabwendlich
trunkner Nächstenliebe Geist ...
Tief im Walde, tief im Walde
schwärmt Froschbräutigam und Braut
in versteckter Steinbruchhalde,
bis der letzte Stern ergraut.

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TextGrid Repository (2012). Morgenstern, Christian. Der alte Steinbruch. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-3A39-2