517. Der versöhnte Niß.

In einem Dorfe Stapelholms war eine Bauernstelle feil geboten, weil der Bewohner mit dem Niß Puk nicht mehr Haus halten konnte. Morgens, ehe der Tag graute, wenn der Hausherr seine Knechte hinaus zur Arbeit trieb, brachte der Niß den ganzen Hühnerstall zum Krähen und so in Aufruhr, daß der Herr auch keinen Schlaf mehr haben konnte. Oft zupfte er ihn bei der Nase oder kniff ihn bei der großen Zehe; das Vieh im Stalle machte er wild, daß es sich Nachts in den Ketten erhängte; darum ließ der Mann sein Haus ausbieten.

Nun wohnte im Hause gegenüber ein wohlhabendes Ehepaar; die sprachen über den Hausverkauf und die Frau sagte: »Das Haus wird wohlfeil wegkommen; du solltest es nur für unsern Ältesten kaufen.« »Das werde ich wohl bleiben lassen«, antwortete der Mann, »und ihm all die Plage auf den Hals zu hetzen; das ganze Dorf weiß ja, warum es verkauft wird. Des Tages Arbeit und des Nachts keine Ruhe!« »Vater«, sagte die Frau, »du weißt doch, wie ruhig er bei dem vorigen Nachbar war. Jeden Abend ward dem Niß seine Schüssel mit süßer Grütze auf den Heuboden gesetzt und niemand durfte ihm etwas zu Leide tun. Da war nichts als Segen und Wohlstand im Hause. Nachher aber zogen diese ein und seitdem hatte der arme Puk keine Ruhe mehr; allenthalben [351] machten sie Jagd auf ihn, und die Grütze gaben sie ihm auch nicht mehr. Da ist er grillisch geworden.« – Der Mann bedachte sich's noch einmal, besprach's wieder mit seiner Frau und als das Haus nun zum Aufgebot kam, so kaufte er es um einen Spottpreis, da sich kein anderer Käufer meldete und der Eigentümer es um jeden Preis losschlagen wollte. Der Mann wollte es mit seiner Frau selber beziehen, der Sohn aber sollte das väterliche Haus bekommen. Die Frau ließ nun das Haus erst rein machen und während acht Tage, ehe sie es bezogen, jeden Abend süße Grütze mit Butter hinübertragen auf den Heuboden. Die drei ersten Abende war nichts angerührt, in den darauffolgenden aber immer alles rein aufgegessen. Als nun am neunten Abend ein Paar weiche Pantoffeln, die sie für den Niß hinübergesetzt hatten, verschwunden waren, da waren sie sicher, sein Wohlwollen gewonnen zu haben und zogen hinüber. Alte Leute behaupten, an Winterabenden den Niß da mitten unter der Familie, meistens in der kleinen Ecke hinterm Ofen gesehn zu haben, wo er aber bei ihrem Anblick sogleich verschwand. Gewiß und allen bekannt ist, daß alles im Hause gut ging und sie stets in ungestörter Ruhe lebten.

Von D. St. durch Storm in Husum. – Kuhn, Märk. Sagen Nr. 43.

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TextGrid Repository (2012). Müllenhoff, Karl. Märchen und Sagen. Sagen, Märchen und Lieder. Drittes Buch. 517. Der versöhnte Niß. 517. Der versöhnte Niß. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-4954-B