Adams Erwachen im Paradiese. Eintritt in die Schöpfung. Erster Sonnenaufgang

Jetzt winkt Adam, der Vater der Menschen, allen aufs Moos nieder; er aber bereitet sich auch, legt den schweren Baum vor sich hin, sitzt mitten unter sie. Herrlich saß Adam, der Urvater unter seinen Kindern: Gottes Meisterstück, saß er in übermächtiger Kraft Leibes und der Seele. Obgleich gefallen, ruhte doch immer Abglanz göttlicher Erhabenheit auf ihm, die ihn über alles Geschaffene hervorhob. Freundlich glühten seine Wangen am silbergrauen Barte, patriarchalisch floß die satte Locke am mannhaften Halse herunter. Jetzt nahet ihm eben Eva, die schöne, gottgeschaffene Mutter. Männlich faßt er sie an in ungeschminkter, schuldloser Liebe und [29] nötigt sie nieder auf sein kraftvolles Knie. Sie sinkt, seiner stärkeren Arme Beute, enthüllt ihren wonnevollen Busen dem unschuldigsten Raube. Der Vater der Menschen sah sie an, verwundert ob ihrer Schönheit, neu verliebt; freudig ward sein Herz jetzt und Entzücken strömt aus seinen strahlenden Augen. Innig umfangen hält er sie nahe seinem Herzen und spricht also;

»Nein, das sagen kann ich dir nicht, teure geliebte Eva: Des ersten Erwachens Schauder bleibt unaussprechlich, mir ewig geheim. Wie könnt' ich auch, liebe Geliebte? Mehr als ein Mensch müßt' ich sein – könnt' ich das jetzt aussprechen. Zwar haben heilige Engel in ihren Liedern oft mir der Schöpfung Geheimnisse verkündet, oft mir erzählt, wie Gott den Erdenkloß zum Menschen beseelt, wie er dalag in des Schöpfers Händen, ungeschlacht, noch Staub, ein Nichts, jetzt, angehaucht vom allmächtigen Odem ins Leben erwärmt, zum schönsten Wunder erwacht. Welche Fülle von Empfindungen umfaßt doch das einzige Wort: Erwachen – ins Leben erwachen! Meine Kinder, wer will das aussprechen!

Wie war dir, Liebe, als du zum erstenmal deine Augen über mir aufschlossest, den schönen Himmel, die schöne Erde zum erstenmal vor dir erblicktest? ... Dies fragt' ich dich öfters, und allemal standst du schweigend, und deine schönen Augen fanden immer eher Tränen als deine Lippen Worte, es auszusprechen.

Als ich zum erstenmal meine Augen aufschloß, über mich zum erstenmal Licht von oben herabkam ... o Gott! ... ich sah, ... und sah nichts, und alles war doch so lieblich; hört' ... und hörte nicht, alles doch so lieblich! ... Es war noch totes Leben, war noch lebendiger Tod. Meine Seele schlummerte noch, meine Sinne alle noch geschlossen ... Bald aber erwacht' ich weiter, meine Sinne eröffneten sich mehr; klarer murmelten jetzt die Bäche vor mir, die Winde rauschten lieblicher, neben mir, über mir, in den Büschen, in den Cedern ... alles sah wundersam, alles ... ha, daß ich's einmal ganz aussagen, hinlallen könnte! Die Winde rauschten so lieblich! Bäche murmelten so klar! die schönen lebendigen Bäume vor meinen Augen! das Gebrüll der Tiere in meinen Ohren! – Alles so fremd und doch mir einfühlend, ganz mir verwandt! Ich sah hin: Himmel, Erde – ein Blick; ich fühlte, freute mich; mir war's, als fühlt' ich des Schöpfers allbelebenden Odem über mir.

Da eröffnet' ich die erwachenden Augen, da sah ich, und meine [30] Blicke faßten stärker. Das Morgenrot quoll auf am Himmel, quoll über mich nieder. Kühl taut's, ich zog die Luft ein, da ging lebendig der Odem in meinem Busen. Noch weht's; ich hielt mein Ohr hin, da klang's, da tönt's, säuselt's ... Da schlossen sich meine Sinne ganz auf, wie einem Kinde schlossen sie sich auf; neue Stärke drang durch alle meine Gebeine, neues Leben ergoß fich in alle meine Adern. Jetzt fühlt' ich Kraft, meine Glieder zu bewegen – aber mich selbst hielt noch immer die kühle Erde in ihrem gewaltigen Schoße fest. Ich saß im Kampfe zwischen Ermannen und Niedersinken und neue Kraft Gottes kam über mich, stärkte mich zum Leben.

Die ganze Schöpfung um mich her – Lebensodem weht überall; die ganze Natur, neben mir, um mich, brach jetzt in einen frohen Laut aus. Lieblich sangen nun die Vögel über mir, fröhlich brüllten die Tiere darein, die Winde sausten erquickend hinüber, die Bäume rauschten freundlich herunter, die Ströme schossen mächtig daher ... Alles ein Stoß dem Erderwacher, nicht Klang spielender, sich selbst überlassener Natur. Heilige Stimme Gottes nun, Aufforderung, Einsetzung, Einsegung des Menschen in die neue Schöpfung, Huldigung, frohes Staunen, Zuruf, Gejauchz der Geschaffenen dem ersten Menschen ins neue Leben.

Nun war ich ... fühlte mich ganz im Lichte geworden .... sah alles an, was vor mir geschaffen war .... aber auf meiner Seele lag noch schwere Dämmerung.

Gewaltigere Lebenskraft floß noch einmal durch alle meine Nerven, riß mich nun ganz der Erde los ... Da stand ich auf: der Sturm wirbelte die Wipfel, das brauste herunter, das kühlte meine Brust ... Nun schaut' ich um mich, ging, sprang, stand wieder, betrachtete meine Glieder ... Die Haare wehten mir um die Stirne, ich griff darnach, hielt mich so selbst gefangen ... nun lacht' ich .... ich fühlte das Anspannen meiner Wangen ... ich schrie, der Odem ward mir im Busen zu mächtig; ich schrie wieder und verwunderte mich ob meiner Stimme ... Jetzt fuhr Schauer durch alle meine Gebeine, riß schwere Nacht von meiner Seele; da erwacht auch mein Inneres und gewaltig drang's in mir darnach: Wer bist du? Wie bist du? Wer hat dich gemacht? hierher gebracht? wer das Klopfen in deine Brust gelegt? den Schrei in deinen Hals? das Recken und Strecken in deine Arme? in deine Ohren den Schall?

Ich sprang über Hügel, Auen, Felsen – überall mir entgegenströmendes [31] Wunder, neues auf mich einstürzendes Entzücken durch alle meine Sinne, alle meine Adern! Da strömte Gefühl auf Gefühl, Schauer auf Schauer, Wonne auf Wonne in mein Herz! Ihr blühenden Wiesen, fallenden Bäche, steigenden Wälder, alles! Licht auf Licht, Kraft auf Kraft, Schlag auf Schlag.

Und nun, o Anblick über alle maßen! Sinneverwirrung mir, Zwang zu stummen, heißen Tränen: als ich zum erstenmal über mir aufsteigen die Sonne sah! ... Mächtiger Anblick, der jetzt noch alle meine Nerven erschüttert! O glaubt mir, ihr Lieben, hätte damals meinen bessern Leib, erst aus Gottes Hand hervorgangen, hätt' ihn nicht selige Reinheit emporgehalten, wär' er sündenschwach, gefallen wie jetzt gewesen, glaubt mir, er hätte die Stärke, den so gewaltigen Schlag dieses Wunderanblicks nicht ertragen können.

Da stand sie, teilte eben leuchtende Wolken auseinander prangt ... himmelan im stolzen Gange! ... Hingezückt, mir selbst verloren, sah ich nichts als sie, ihn, den neuen Engel über mir, den Gott, Weltbeleber, Weltentzücker! Ich flog mit Blicken zu ihm hin, umfaßt' ihn, hielt ihn, erschrak und konnte mich doch nicht loswinden von dem zu süßen, seligen Wunder.

O unaussprechliches, großes, herrliches Gefühl, das damals mit deinen Strahlen zuerst in mein Herz eindrang: Licht, das mich umschwebt, mich umfing, meine Seele entzündet, meine Sinne erleuchtet zum hohen Bildnis dessen, der die Erde, die Himmel gemacht, der den Kloß zum Menschen beseelt! Du gabst mir erst Kraft und Vollendung, o Sonne! In deinen erquickenden Strahlen reift' ich zum Menschen erst aus.

Da riß schwerere Nacht von meiner Seele, da schaut' ich, sah, hörte die Worte dessen, der laut durch mein Inneres rief: Mann von Erde, alles was da ist, alles was du erblickst, ist mein Werk, ist alles geschaffen aus Liebe zu dir! – Da sank ich nieder, von trunkener Andacht ergriffen, streckte stumm meine Hände aus, sprachlos lag die Stimme in meinem Busen. Halleluja dem, der's gemacht! Halleluja dem, der's gegeben! Ihm sei Ehre, Preis in Ewigkeit!

Heilige Geheimnisse lagen jetzt aufgedeckt in meinem Busen.«

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Müller, Friedrich (Maler Müller). Gedichte. Gedichte. Adams erstes Erwachen und erste selige Nächte. Adams Erwachen im Paradiese. Adams Erwachen im Paradiese. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-508E-E