Die Blume des Weins

Es blühen Blumen mannigfalt
In Feld und Garten, Wies' und Wald,
Und hinter Rahm und Glase;
Sie schütten ihren süßen Duft
Mit vollen Schalen in die Luft
Zum Opfer für die Nase.
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Und von den Blumen mannigfalt
In Feld und Garten, Wies' und Wald,
Erwähl' ich heut' mir keine.
Kein indianischer Geruch
Thut meiner Nase noch genug:
Sie riecht an deutschem Weine.
Heb' ich mein Glas zur Nas' empor,
Möcht' ich, daß Auge, Mund und Ohr
Sogleich auch Nasen wären,
Um aus dem vollen, goldnen Strauß
Bis auf den letzten Gran heraus
Den Balsamduft zu leeren.
Gesegnet sei des Winzers Hand,
Die an des deutschen Stromes Rand
Mir solchen Strauß gebunden,
Von Blumen nicht, die schnell verblühn,
Die ihren leichten Duft versprühn
In wenig Maienstunden.
Die Blume, die im Fasse ruht,
Sie trotzt der dürren Sommergluth
In ihrer kühlen Klause,
Läßt Eis und Schnee vorüberwehn,
Sieht Lenze kommen, Lenze gehn,
Und blüht zu jedem Schmause.
Und schlürf' ich ihre Düfte ein,
Sie rieseln mir durch Mark und Bein,
Wie reine Ätherflammen,
Und wirbeln in verklärtem Glanz
Zu einem hellen Sternenkranz
Sich um mein Haupt zusammen.

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Müller, Wilhelm. Die Blume des Weins. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-5A7E-4