11. Der 137. Psalm

Auff die Weise deß 96.

Singet ein neues Lied dem Herren.


An Babylons begrünten Flüssen
Da wolten wir der Ruh geniessen
Und frey von stetem Kummer seyn;
Bald kam uns Sion aber ein,
Daß wir die Thränenquellen liessen.
Wir musten nur die Harffen meiden
Und henckten sie den zarten Weiden
An ihrer Aeste bleiche Zier,
Die gleichsamb mit uns und als wir
Auch schienen Traurigkeit zu leiden.
Noch sagten die, so uns gefangen,
Durch die wir im Rauch auffgegangen,
Wol auff, singt einen Freudenthon,
Laßt von der werthen Burg Sion,
Die schönen Freyer-Lieder prangen.
Ach sprachen wir, wer kan sich zwingen,
Was frölichs jetzt herfür zu bringen?
Der Herr zwar herschet für und für,
Doch wer will in der Frembde hier
Wie recht und gut ist, ihn besingen?
Diß kan ich dir von Hertzen sagen,
Jerusalem, wann dein Behagen
Auß meinen Sinnen wird getrant,
So müsse diese meine Hand
Die Harffen ewig nicht mehr schlagen.
Die Zunge klebe mir am Rachen
Wann nicht mein Hertze stets wird wachen,
Jerusalem, in treuer Gunst,
Wann mir nicht deine Liebesbrunst
Wird süsser seyn, dann alle Sachen.
Du wollest, Herr, es ja gedencken,
Den Kindern Edom es nicht schencken,
Daß sie Jerusalem zerstört;
Fort, fort, hat man ihr Wort gehört,
Man muß sie auff den Grund versencken.
O Babylon, frech von Geberden,
Du auch solt kehren noch die Erden!
Wol, wol, durch welchen dir fortan
Das Uebel, so du uns gethan
Gar reichlich soll belohnet werden!
Wol, wol dem, der sich wird befleissen
Dir deine Kinder weg zu reissen
Von deiner Brust mit grimmer Hand;
Der sie wird schlagen an die Wand,
Und an die rauen Felsen schmeissen.

Notes
Erstdruck in: Zehen Psalmen Davids. Aus dem eigentlichen Verstande der Schrift auf anderer Psalmen und Gesänge gewöhnliche Weisen gesetzt von Martin Opitzen, Leipzig (David Müller) 1634.
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Opitz, Martin. 11. Der 137. Psalm. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-6384-F