[287] 2.

Einst hörte in der Burg Kemnaten
Lütgarde, da es draußen stürmte,
Die Mutter mit dem Vogt beraten,
Wie man zwei fremde Reiter schirmte,
Die wohl verirrt, als sank der Tag,
Einlaß begehrt, auf Werawag.
Kaum nennt der Aeltere der beiden,
Den jüngeren: Rudolf, den Sänger,
Da tönten bald der Harfen Saiten.
Mit süßen Klängen, eng und enger
Umwob in Tönen Zauberbann
Die Jungfrau und den fremden Mann –
Da er geschieden, ging die Märe:
Es sei der Kaiser selbst gewesen,
Der hier verirrt von ungefähre
Solch stillen Aufenthalt erlesen.
Doch bald verkündet ward mit Hohn:
Der Fremde war ein Bürgerssohn.
Mit Lächeln hörte es Lütgarde:
Wer also hold die Saiten rührte
War ihr ein gottgesandter Barde.
[288]
Ob er ein stolzes Wappen führte,
Die Krone trug –: ihr galts nicht mehr –
Dem Sänger nur gab sie die Ehr'.
Dem Sänger nur gab sie die Seele –
Sie wies zurücke jedes Werben:
Und daß sie niemals sich vermähle
Viel lieber wollt als Jungfrau sterben
Gab stets zur Antwort jeder Frag',
Die Nachtigall von Werawag. –
Da einstens ist der Tag gekommen:
Zu Freiburgs Mauern sieht man's wallen,
Ein herrlich Paar zieht glückumschwommen
In die geweihten hohen Hallen.
Das ist der frohe Hochzeitstag
Der Nachtigall von Werawag.
Der Bürgerssohn im Dienst der Minne,
Im Dienst des Sanges und der Seinen,
Den Bürgern all', die im Gewinne
Ersehnter Freiheit ihm sich einen,
Dem Sänger, der die Holde freit,
Die Nachtigall, die ihm sich weiht.
Sie ließ das Raubschloß ihrer Ahnen
Mit seinem blut'gen Heldenruhme
Und wandte sich auf neuen Bahnen,
[289]
Zu des Geliebten Bürgertume,
Die Nachtigall von Werawag,
Vereint mit ihm des Sanges pflag.
[290]

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Otto, Louise. Gedichte. Mein Lebensgang. Abteilung 4. Aus den Jahren 1870-1880. Die Nachtigall von Werawag. 2. [Einst hörte in der Burg Kemnaten]. 2. [Einst hörte in der Burg Kemnaten]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-6667-8