[189] Die Kinder der Einsamkeit

Es war die hold'ste Töchterschaar
Der Einsamkeit beschieden;
Wer ihnen sich gelobt, fürwahr!
Der findet sel'gen Frieden.
Da ist die Ahnung, die beschwingt,
Uns nicht am Staub läßt kleben;
Erkenntnis, die den Willen zwingt
Sich selber aufzugeben;
Die Sammlung, die, der Seele Licht,
In's Große sich versenket;
Die echte Freiheit, länger nicht
Von Furcht und Wunsch beschränket,
Die Liebe, die, nicht mehr verrannt
In selbstisches Verlangen,
Sich von dem einzelnen gewandt
Um alle zu umfangen.
Wer priese nicht die edle Zier
So makelloser Lilien?
Doch, schlimm genug! ergeht's auch hier
Wie manchmal in Familien:
Den Töchtern, liebevoll bestellt
Uns himmelwärts zu tragen,
Sind leider Söhne beigesellt,
Die aus der Art geschlagen.
Der Eigensinn, der störrisch hält
An angemaßtem Rechte,
Der Hochmut, der rings auf der Welt
Nur Thoren sieht und Knechte,
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Der Mißmut, mit sich selbst im Streit,
Der starre Trotz nicht minder,
Sind allesamt der Einsamkeit
Schmachvoll mißrat'ne Kinder.
Drum lasse du in deiner Brust
Nur ihre Töchter walten!
Die bösen Buben aber mußt
Du dir vom Leibe halten.

[191] Wien, 26. November 1872.


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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Paoli, Betty. Die Kinder der Einsamkeit. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-6798-1