[70] Ibrahim

An meinen Carl.


Eh Ferdinand mit frommer Wuth
Die Mauren von sich stieß,
Floß Omars junges Heldenblut
Durch Gusmanns Ritterspieß.
Aus Furcht der Rache (reich und groß
War dieser Saracen)
Floh Gusmann und blieb athemlos
Vor einem Garten stehn.
Hoch war die Mauer, doch er schwang
Sich wie ein Pfeil hinein,
Und fand in einem Bogengang
Den Herrn des Guts allein.
Er fleht um Schutz. Mit seinem Stab
Schlägt Emir Ibrahim
Voll Ernst itzt einen Pfersich ab
Und theilet ihn mit ihm.
Nimm hin, sprach er, du bist mein Gast,
Dies ist des Schutzes Pfand,
Den du von mir zu hoffen hast
Und gab ihm seine Hand.
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Doch plötzlich rief ein Mütterlein
Den edeln Greis hinaus;
Er schloß, um unentdeckt zu seyn,
Den Gast ins Gartenhaus.
Es wurde Mitternacht; es kam
Der neue Gastfreund nicht.
Nun kömmt er; aber bleicher Gram
Entstellet sein Gesicht.
Den du erschlugst, grausamer Christ,
Sprach er, der war mein Sohn:
Schön ist die Rache, schöner ist
Gehaltner Treue Lohn.
Fleuch; vor der Gartenthüre steht
Mein bestes Pferd. Man sucht
Dich an der See. Fleuch nach Toled;
Gott schütze deine Flucht!
Siehst du im Greis den halben Gott?
Wer wohlthut seinem Feind,
Mein Sohn, wär er ein Hottentott,
So ist er Gottes Freund.

Notizen
Entstanden 1784.
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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Pfeffel, Gottlieb Konrad. Ibrahim. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-726F-A