Nr. 142. Die Haulemutter. (I–II.)

I.

Auf dem Zellerfeld war ein Bergmann, der ging abends spät nach Hause, da saß die Haulemutter da und haulte, und hatte das eine Bein auf einem Zaune an der einen Seite des Fahrweges und das andere Bein auf einem Zaune an der andern Seite. Weil der Bergmann nun sehr beherzt war, so ging er gerade unter der Haulemutter durch. In dem Augenblicke aber schlug sie ihm den Hut vom Kopfe. Der Bergmann ließ den Hut liegen; als er aber nach seinem Hause kam, so wohnte dort eine Frau; der sagte er, er habe[123] seinen Hut verloren, den möge sie ihm doch langen; er müsse dort zwischen den beiden Zäunen liegen. Die Frau ging hin und nahm den Hut auf; aber kaum war sie damit in dem Hause angelangt, so war auch schon die Haulemutter draußen und haulte ganz furchtbar und bedrohte das ganze Haus. Da haben sie ihr den Hut aus dem Fenster geworfen und damit hat sie sich beruhiget, aber der Hut ist am andern Morgen auf der Straße in lauter Fäden zerrissen gewesen.

II.

Ein Bergschmied vom Klausthal fuhr vor fünfzig bis sechzig Jahren eines morgens früh um ein Uhr an. Wie er am Zellbach durch das sogenannte Prachtgäßchen kam, hörte er eine feine und dünne Stimme, welche zu ihm sprach: »Bleiste schtiehn! bleiste schtiehn!« Weil er aber wußte, daß die Frau, welche in dem kleinen Hause an der Straße wohnte, eine Hexe war, so dachte er gleich, das ist die Hexe, die dir einen Schabernack anthun will, und lief was er laufen konnte, daß er fortkam. Aber gleich hörte er hinter sich ein Trappeln und Rappeln, Jauchzen und Schreien, daß ihm Hören und Sehen verging, und doch sah er nichts. Mit einem male that's einen Satz und er fühlte auf seinen Schultern eine schwere Last, gleich als wenn sich ein Mensch darauf setzte und mit den Beinen vorn herunterhinge. Er fühlte auch, wie die Finger gleich Krallen in die Haut eingeschlagen wurden. Und das Ding verließ ihn nicht eher, bis er die Gaipelthür aufgemacht, an welcher er matt und erschöpft auf dem unteren Burgstädter Zuge ankam. Dann aber gab's ihm einen derben Schlag in den Rücken, daß er ohnmächtig im Gaipel hinstürzte und erst nach einigen Stunden sich von seiner Not erholen konnte. Des abends, als er nach Hause kam, hatte er noch die schwarzen Flecke auf Schultern und Rücken.


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TextGrid Repository (2012). Pröhle, Heinrich. 142. Die Haulemutter. (I-II.). Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-838C-E